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Viele feine Unterschiede

#Cedomira Schlapper, Journalistin aus Österreich, Slowenien oder Serbien


Warum soll eine Hausfrau aus Tirol etwas über einen somalischen Kulturverein in Wien erfahren? Und warum soll ein Pensionist aus der Steiermark sich ein Porträt über ein afghanisches Flüchtlingsmädchen, das Schauspielerin werden möchte, anschauen?

"Endlich kommen Sie auch einmal zu uns filmen", sagt mir die bosnischstämmige Pflegehelferin Zahra bei meinem letzten Dreh in unsicherem Deutsch. Sie umarmt mich herzlich zur Begrüßung, obwohl wir uns nicht persönlich kennen und nur im Vorfeld meiner Recherche telefoniert hatten, über ihre Arbeit im Pflegeheim und bosnischen Kulturverein. Solche Begegnungen habe ich als Redakteurin für die Sendung "Heimat Fremde Heimat" laufend. Die Menschen aus den verschiedensten Communitys, die ich bei ihnen zuhause oder bei ihrer Arbeit mit meinem Kamerateam besuchen komme, empfinden es als Privileg, in einer ORF-Sendung als Interviewpartner vorkommen zu dürfen. Denn ihrem Empfinden nach tun sie das viel zu selten und wenn, dann eher im Zusammenhang mit Negativbegriffen wie "integrationsunwillig", "Islamismus", "Terror" und anderen Verbrechen. So empfinden sie es. Obwohl meine Kollegen und Kolleginnen aus der Minderheitenredaktion und ich oft das Gefühl haben, dass wir schon nahezu alle interessanten Projekte von Integrations- und Kulturvereinen oder migrantischen UnternehmerInnen und AktivistInnen im Programm hatten, offensichtlich täuschen wir uns. Denn Projekte und Initiativen, die das Zusammenleben in Österreich stärken und bereichern, poppen seit Jahrzehnten auf wie heißes Popcorn. Es gibt so viele einzelne Personen, die sich täglich in Sachen Integration bemühen, ohne dass das je publik gemacht wird und sie für ihre Verdienste öffentlich gelobt oder gar belohnt werden.

So wie Zahra - sie arbeitet als Altenpflegerin und engagiert sich in einem Kulturverein. In ihrer bosnischen Heimat war sie Universitätsassistentin, bevor der Krieg ausbrach. In Österreich landet sie in der Altenpflege - einem Job, den sie trotz familienfeindlicher Arbeitszeiten und schlechter Bezahlung von Herzen gerne macht. Beim Dreh herrscht kurzzeitig Verwirrung: Zahra (ausgesprochen mit stimmhaftem S: "Sachra") stellt sich als Sara vor - so wie auch viele deutschsprachige Frauen heißen. "Das ist für die Leute hier einfach leichter ", stellt sie klar. Seit sie in Österreich lebe, habe sie sich daran gewöhnt "Sara" zu sein, sagt Zahra schulterzuckend.

Sich erklären macht keine Freude
Ich kann sie verstehen, schließlich heiße ich ja Čedomira - ausgesprochen klingt das wie "Tschedomira". Die Abkürzung meines Namens lautet Čeda ("Tscheda"). Viele Menschen können sich aber auch die Kurzversion meines Vornamens nicht merken (oder machen sich nicht die Mühe) und nennen oder schreiben meinen Namen dann in folgenden Varianten: Keda, Zeda, Jedda, Cheddar, Schedda usw. So wie Zahra, habe ich mich daran gewöhnen müssen. Ich spreche mit Zahra Serbokroatisch, das ich fließend beherrsche, um ihr die Anspannung vor dem Interview zu nehmen und frage sie, ob sie mir ihr liebstes Sevdah-Lied (das sind uralte, traditionelle bosnische Liebeslieder) nennen kann. Es sei derzeit "Čudna jada od Mostara grada" (auf Deutsch: Seltsamer Schmerz aus der Stadt Mostar), aber sie wolle sich nicht festlegen, sagt Zahra lachend. Schon wirkt sie entspannter. Während mein Kamerateam das Setting aufbaut, entsteht, wie so oft, eine Diskussion, welche Sprache Zahra und ich denn nun tatsächlich sprechen - Serbisch, Kroatisch, Bosnisch oder am Ende gar Slowenisch? "Ach so, früher in Jugoslawien habt's eh alle gleich geredet und heute nicht mehr, alles klar!", will es der Kameramann am Ende ungewollt unsensibel auf den Punkt bringen. Ich sehe wie Zahra nervös wird und sich als Bosniakin, die in den 1990er-Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Österreich geflohen war, durch die Frage verunsichert und auch ein wenig gedemütigt fühlt. Sie starrt jetzt auf die eingerahmten Fotos an der Wand über ihrem Büroschreibtisch, auf denen bosnische Sehenswürdigkeiten zu sehen sind, und schweigt. Ich selbst bin Kärntner Slowenin und werde, seit ich denken kann, von meinen Mitmenschen in Österreich (und am häufigsten in Kärnten selbst) gefragt, "was" das eigentlich genau sei. Wenn ich dann auch noch erwähne, dass mein Vorname aus Serbien stammt, herrscht in punkto Identität absolute Verwirrung: "Hä? Bist Du jetzt aus Serbien oder Slowenien?", werde ich (von autochthonen Österreicher/innen, nie von Migrant/innen) so häufig gefragt, dass ich dann aus Trotz gerne antworte, ich sei slowenische oder serbische Migrantin. Je nach Laune, wechsle ich meine Staatsangehörigkeit. Beim ständigen Sich-erklären-Müssen kommt nämlich keine Freude auf. Im Gegenteil, es hinterlässt das Gefühl, nicht ganz dazuzugehören. Dein Name ist Teil Deiner Identität. Genauso, wie Deine Sprache oder Religion. Das ist Dir nur bewusst, wenn das jemand in Frage stellt. Von selbst würde Dir das In-Frage-Stellen Deiner Identität ja nie einfallen.

Warum sollte es auch.
Man übe sich also am besten in Gelassenheit. So wie Zahra. Wir sprechen über ihre Fluchtgeschichte und vergleichen die Situation in den 1990er Jahren, als Österreich an die 90.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien aufnahm, mit den heutigen Flüchtlingsbewegungen. Zahra erklärt uns die vielen Unterschiede aus Ihrer Sicht, sieht aber auch genauso viele Parallelen. "Heute bin ich hier zuhause und werde auch nicht in der Pension nach Bosnien zurückkehren", beantwortet Sie meine Frage nach ihrer Wunsch-Heimat. "Unten habe ich ja nichts mehr", sagt die heute 56-Jährige. Unten ist sie heute eine Fremde. Die Fragen über den Krieg kann Zahra nicht auf Deutsch beantworten - sie findet nicht die richtigen Worte. Sie will lieber in "unserer" Sprache sprechen, verrät sie mir, so fühle sie sich sicherer. Naravno, može! Selbstverständlich ist das möglich! Später werde ich die bosnischen Statements in meinem Beitrag untertiteln. Bei "Heimat Fremde Heimat" ist die Originalsprache immer zu hören - es gibt kein Voice over. Das bedeutet zwar mehr Arbeit für mich als Redakteurin - aber die Zuschauer/innen danken es einem später, weil sie endlich einmal hören konnten "wie dieses Bosnisch schön klingt". Und auch beim nächsten Community-Besuch werde ich berührte Menschen treffen, die sich aufgewertet fühlen, weil "endlich auch einmal unsere Sprache im Fernsehen vorkommt". Mir kommt mein "Migrationshintergrund" sehr zugute und meinen Kolleg/innen in der Redaktion auch. Man kann sich leichter in die Lebensrealität und Denke seines Gegenübers hineinversetzen und stellt dadurch ganz andere Fragen und achtet auf Details, die sonst ungesehen bleiben.

Viele Zuschauer/innen berichten uns, dass sie durch unsere Reportagen und Features über die vielen Communities, die in Österreich leben, ein besseres Gefühl für ihre Mitmenschen gewinnen können. Denn es sind die feinen Unterschiede, um die so viele nicht Bescheid wissen. Wir brauchen mehr migrantische Journalist/innen und mehr Geld für die Berichterstattung über migrantische Themen. Das Thema Diversity wird bei bestehenden und neuen Integrationsproblemen sowie den sich anbahnenden Migrationsbewegungen von großer Bedeutung werden - wenn wir unsere Demokratie behalten und weiter ausbauen und den Ruck in Politik und Gesellschaft Richtung Populismus nicht weiter begünstigen wollen.

Čedomira Schlapper ist 2018 für den "CIVIS-Medienpreis" nominiert.


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