
Auf der "Re:Publica", dem größten deutschen Digitalfestival fordern Fachleute stärkere Regulierung von Big Tech, mehr öffentlich-rechtliche Investitionen in europäische soziale Medien und den Aufbau einer europäischen Digital-Infrastruktur.
Wie hältst Du's mit Geschwindigkeit und Richtigkeit? Die Gretchenfrage des Journalismus, so alt wie der Beruf selbst, stellten diesmal ARD und ZDF am Tag eins der Re:publica auf ihrer Bühne in der Mitte der "Station Berlin". Melina Gramsch, Redakteurin, und André Schünke sowie Marcus Bornheim von der "tagesschau" betonten, man müsse klar sagen, was man weiß - und vor allem, was man nicht weiß, führte Bornheim aus. Aber das müsse so schnell wie möglich gesagt sein, um nicht in die "Spekulationsspirale" der Sozialen Medien zu geraten.
Digital von den USA unabhängig werden
Schnelligkeit verspricht, mit dem jüngst aus der Taufe gehobenen "Zentrum für Digitalrechte und Demokratie", "Re:publica"-Gründer Markus Beckedahl. Es reiche nicht aus nur Fakten zu kommunizieren, man müsse auch neue Formate und Narrative entwickeln, die mit Emotionen arbeiten. Schließlich kämpfe man "um die Mitte der Gesellschaft". Beckedahl forderte auch, dass Europa endlich alles tun solle, um von den USA im Digitalen unabhängig zu werden. 99% der Ämter seien auf Microsoft angewiesen, stattdessen brauche es den "Euro Stack", also Hard- und Software aus Europa, und das am besten als Open Source. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei hier wichtig, meinte er, lobte den
Public Space Incubator, zitierte die jüngsten ZDF-Studien zu den Aufgaben öffentlich-rechtlicher Medien in Europa und forderte höhere Investitionen. Zarte Pflänzchen seien Dank der Öffentlich-Rechtlichen am Wachsen, meinte Beckendahl; im Digitalen "das Beste, was es gibt". "Raus aus der Bubble, rein in die Paläste und Hütten", schloss Beckedahl seine Ausführungen.
Plattformen sollten für Inhalte haften
Als nächstes warnten Anwält:innen vor Big Tech: Chan-jo Jun, ein deutscher Rechtsanwalt, der durch Prozesse im Zusammenhang mit Fake News und Hate Speech gegen Meta und Twitter bekannt wurde, und seine Ko-Anwältin Jessica Flint machten auf die Gefahr für die Demokratie aufmerksam, die von diesen Konzernen ausgehe. Die Meinungsfreiheit sei aktuell weniger durch staatliche Organe gefährdet, vielmehr, so Jun, seien es Menschen wie Elon Musk, die die wahre Bedrohung für die Meinungsfreiheit seien. Es brauche bessere Regulierung, denn Grund zur Sorge gebe es genug: Wenn junge Menschen das erste Mal TikTok verwendeten, sähen sie im Zusammenhang mit Politik zuerst 78% Inhalte von der AfD. Diese Überrepräsentation rechter Inhalte sei auf Gewinnmaximierung durch empörende Inhalte zurückzuführen und gefährlich. Es brauche zur Rettung der Demokratie vielmehr Durchsetzung geltender Gesetze und eine Verschärfung im Zusammenhang mit der Verletzung des Persönlichkeitsrechts - denn es sei für Big Tech aktuell billiger, deutsche Gesetze nicht zu beachten als ihnen in allen Punkten Folge zu leisten. "Wir müssen mutiger sein", forderten Flint und Jun abschließend, und: Plattformen sollten künftig wie Medien behandelt werden und für von ihnen verbreitete Inhalte haften.
Schließlich hielt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen, vormaliger Autor der
PUBLIC VALUE TEXTE ("Die neue Macht des Publikums" S.34ff) eine Rede zu "vernetzter Gewalt". Jede:r könne heute, auch dank moderner Fälschungsmethoden, zum Opfer weltweiter Aufmerksamkeit werden. Als Gegenmaßnahmen benannte er Bildung, Regulierung und Selbstschutz - und versuchte humorvoll mit einem neuen kategorischen Imperativ fürs Digitalzeitalter zu schließen: "Handle stets so, dass Dir die öffentlichen Effekte Deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen, aber rechne damit, dass Dir dies nichts nützt."