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Abseits des Mainstreams

Dorothee Frank, Ö1 Kulturredaktion

Transkription
„28. Oktober 2011 nachmittags. ‚Tschechischer Schriftsteller und Politiker Jirí Grusa gestorben‘, meldet die Austria Presseagentur. Binnen eineinhalb Stunden soll ein kurzer Nachruf auf Sendung gehen. Ich bin in der glücklichen Lage, mich nicht nur auf die Agenturmeldung stützen zu müssen. Da ich Jirí Grusa Anfang der Neunziger Jahre bei einem Literatentreffen in der Nähe von Prag Gedichte lesen hörte, kann ich eigenrecherchiertes Wissen beisteuern. Und die persönliche Einschätzung, dass Grusa nicht nur eine wichtige politische Figur war, sondern zuallererst ein wirklich bedeutender Dichter. Sogar ein Original-Ton von Jirí Grusa lässt sich noch organisieren für den Nachruf. Im digitalisierten Sendungsarchiv findet sich ein ganzes Feature zu seinem Leben als Dichter und Dissident in der CSSR.
Österreich 1 bietet sehr viel Raum für solche Inhalte. Niemand in der Redaktion hat gefragt ‚Jirí wer? Den kennt doch keiner…‘. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, für ein Medium zu arbeiten, das nur massentaugliche Geschichten sendet. In Ö1 kann ich über die Menschen und Themen berichten, die ich persönlich für wichtig halte und anderen vermitteln möchte – auch wenn sie oft weitab vom Mainstream liegen. Und niemand hindert mich, zu den jeweils brisanten Gegenwartsfragen ungewöhnliche Zugänge zu finden. Im Sommer 2011 diskutierten in einem „Kulturjournal Spezial“ der Filmemacher Erwin Wagenhofer und der Sachbuchautor und Manager Klaus Woltron zur Finanzkrise. Sie fanden couragierte und deutliche Worte – deutlicher als so manche Kommentatoren aus der Wirtschaft. Ihre in die Tiefe gehende Analyse deckte Zusammenhänge auf zwischen Finanzmärkten, politischem Versagen, sozialem Unrecht und kulturellen Schäden; Zusammenhänge, die so nicht auf der Hand lagen. Die einzige wesentliche Einschränkung bei unserer Arbeit ist bisweilen der Zeitdruck im ‚schnellen‘ Medium Radio – und die jeweilige Sendungslänge; die lässt sich nun einmal nicht dehnen. Sonst habe zumindest ich nicht das Gefühl, inhaltlich Kompromisse machen zu müssen. Die Anforderungen sind diejenigen, die ich ohnehin an mich selbst stelle – wie auch die vielen exzellenten Kolleginnen und Kollegen, deren Produktionen ich bewundere. Es geht darum, dichte spannende Geschichten zu erzählen und Sendungen radiophon zu ‚komponieren‘. Man soll nicht merken, welche Anstrengung das formale und textliche ‚Erfinden‘ jedes Mal bedeutet. Dies ganz besonders bei den ‚Langsendungen‘ wie dem ‚Radiokolleg‘; in meinem Fall zu Themen wie ‚Was wird aus der europäischen Kultur‘ oder ‚Die Vierte Dimension – wie wir mit Zeit umgehen‘. Trotz zunehmender Personal- und Budgetknappheit halten wir Sendungsgestalter/innen das Programm am Laufen – aber das Sparen lässt sich nicht ad infinitum fortsetzen. Ö1 ist mehr als ein Sender, Ö1 ist eine Kulturinstitution und es lohnt sich wirklich, sie zu erhalten.“




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Abseits des Mainstreams
Dorothee Frank, Ö1 Kulturredaktion