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Journalismus in der Krise

Die Schweinegrippe

Transkription
„Das Schlechteste was man über den Journalismus sagen kann, ist der Umgang mit der Schweinegrippe“

Wolf Schneider, langjähriger Journalist, Gründer der Henri-Nannen Journalismus-Schule in Hamburg, Ausbildner.

„Die Schweinegrippe ist eine zur Hälfte von der Pharmaindustrie und zur Hälfte vom Journalismus inszenierte öffentliche Aufregung. Dass die Pharmaindustrie dahinter steckt haben mehrere prominente Leute behauptet, ich zitiere also nur, zum Beispiel der Präsident der Bundesärztekammer hat das in der Tagesschau behauptet und meinen Journalistenkollegen rechne ich übel an, sie haben sich sofort im Fernsehen auf die ersten Bilder mit dem Mundschutz – da gab´s also vielleicht 5000 Mexikaner mit dem Mundschutz – und sie hätten auch hundert Millionen Mexikaner ohne Mundschutz filmen können. Aber das macht das Fernsehen natürlich nicht. Man kann natürlich, wenn alle von Schweinegrippe reden, in der eigenen Zeitung nicht sagen „ich berichte gar nicht drüber“. Aber ich würde in lockerer Folge, wenn es meine Zeitung wäre, auf Seite eins so einmal in der Woche einen Kasten setzen mit der Überschrift: „ Warum wir über die Schweinegrippe nicht berichten“. Und dann würde ich die Relation herstellen zu dem, was wirklich auf der Welt los ist, ja!“

„Das strukturelle Problem, das wir auf Grund der Kommerzialisierung haben, besteht darin, dass Journalisten Informationen aus zweiter Hand von PR- oder Nachrichtenagenturen verarbeiten, ohne sie zu prüfen. Das führt dazu, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Stories produziert werden, die falsche und verzerrte Informationen enthalten.“

Nick Davies, britischer Buchautor und Guardian-Journalist, stützt seine Aussage auf eine Studie der Cardiff-Universität in England, für die die Artikel fünf großer britischer Zeitungen analysiert wurden. Rund 70 Prozent der Stories stammten von Nachrichtenagenturen oder PR-Agenturen. Zum Teil eins zu eins, zum Teil überarbeitet. Denn die News-Factories, wie Nick Davies die britischen Medienunternehmen bezeichnet, müssen heute mit weniger Personal mehr Output erzielen. Printjournalisten würden immer häufiger zu Multimedia-Editoren, die eine Geschichte für mehrere Kanäle aufbereiteten. Der Zeitdruck führe dazu, dass sich die Inhalte aus immer weniger Quellen speisten. Press Agency und Reuters sind das Herzstück der britischen Medienindustrie, schreibt Nick Davies in seinem Buch „Flat Earth News“.

„Man kann sich nicht darauf verlassen, dass Nachrichtenagenturen die Wahrheit über die Welt verbreiten. Wenn man sich mit den Journalisten die dort arbeiten unterhält, dann meinen die auch, es sei nicht ihr Job, die Wahrheit zu berichten. Vielmehr sehen sie es als ihre Aufgabe, präzise wiederzugeben, was jemand sagt. Zum Beispiel ein Politiker. Und nicht herauszufinden, ob das Gesagte auch der Wahrheit entspricht.“

Doch genau das sei die Aufgabe von Journalisten und Reportern, plädiert Nick Davies für eine verantwortungsbewusste Berichterstattung. Neben den großen Nachrichtenagenturen, sind es vor allem die PR-Unternehmen, die den Journalisten immer öfter die Arbeit abnehmen. Auch im wörtlichen Sinn. So gibt es heute in vielen Ländern bereits mehr PR-Berater als Journalisten. Doch PR – also Public Relations – bedient politische oder kommerzielle Interessen von Kunden, die dafür bezahlen. Echter Journalismus hingegen steht im Dienste der Öffentlichkeit und vertritt die Interessen von Lesern, Hörern und Zusehern.

„Angenommen, Sie sind für die PR-Arbeit einer Stadtverwaltung zuständig und haben in der Früh zwei Nachrichten am Tisch. Die eine lautet: „ Der Bürgermeister war gestern Nacht so betrunken, dass wir uns überlegen, ihn des Amtes zu entheben.“ Die andere Nachricht betrifft einen Stadtrat, der eine Tapferkeitsmedaille erhält, weil er ein Baby aus einem brennenden Haus gerettet hat. Als Leiter der PR-Abteilung müssen Sie jetzt entscheiden, welche Meldung Sie an die Öffentlichkeit bringen. Es ist keine Frage des Lügens – beide Meldungen sind wahr. Ihr Job ist es aber, die Interessen der Stadtverwaltung zu vertreten. Also werden Sie jene Geschichte auswählen, die ein gutes Licht auf Ihre Stadtverwaltung wirft. Und wenn Sie Glück haben, wird niemand die Geschichte mit dem Betrunkenen aufgreifen. Wenn alle Journalisten die Geschichte aufgreifen, die Sie ihnen geben, dann haben wir als Journalisten bei unserer Verpflichtung versagt: Die Interessen derer zu vertreten, die sich auf uns verlassen. Das aber passiert sehr oft.“

Journalistische Texte müssen frei sein von nicht-deklarierten Einflüssen Dritter. Das ist eines der obersten Gebote seriösen Journalismus. Wenn PR, also bezahlte Werbung, als Journalismus ausgegeben wird, wird dieses Gebot gebrochen. Die Rezipienten, die die Absicht merken, sind verstimmt.

„Das Vertrauen in den Journalismus sinkt von Jahr zu Jahr, und wenn man dann nachfragt warum und wieso, dann ist zum Beispiel dieses unterschwellige „den Menschen etwas aufs Auge drücken zu wollen“. Das mögen die Leute nicht und dann schmeißen sie alles in einen Topf und sagen, die Journalisten sind so. Wenn man aber ganz klar sagen würde „das ist ein anderer Teil, der heißt Public Relations oder sonst irgendwas“, dann wäre das wieder klar. Dann kann ich mich auf die anderen Teile verlassen.“

Werbung und PR hätten durchaus ihre Berechtigung, meinte Meinrad Rahofer, der langjährige Geschäftsführer des Kuratoriums für Journalisten-Ausbildung in Salzburg in einem Interview kurz vor seinem Tod. Aber die Abgrenzung zum Journalismus müsse klar und deutlich erkennbar sein.

„Die Leserschaft hat ja gar nichts dagegen, dass es Werbung gibt. Also dass es PR gibt uns dergleichen, das ist auch ok. Die Leute mögen gerne alle kommentierenden Teile. Das heißt sie mögen gerne Meinung, dezidierte Meinung. Aber sie mögen nicht, dass sie eine Nachricht kriegen und dann irgendwann draufkommen „der will mich in eine Richtung beeinflussen“, das mögen sie nicht gerne.“

Eine Analyse der Internet-Nachrichtenseiten großer Medienunternehmen, wie ABC, CNN, New York Times, Yahoo oder AOL ergab, dass internationale News zum großen Teil von zwei Agenturen übernommen werden. Associated Press und Reuters. In seinem Buch „Flat Earth News“ beschreibt Nick Davies, wie dieser Copy und Paste-Journalismus funktioniert. Alle berichten darüber, worüber alle berichten. Ein Phänomen, das der Journalist und dreifache Familienvater als „Ninja Turtle“-Syndrom bezeichnet. Er selbst musste – trotz anfänglichem Widerstand – dem sozialen Druck nachgeben, seinen Kindern die verhassten, humanoiden Plastikschildkröten kaufen und die Comicserie im Fernsehen über sich ergehen lassen.

„Genau dasselbe passiert in den Nachrichtenredaktionen. Eine Story erscheint. Es ist klar, dass sie falsch ist oder auch wahr. In jedem Fall ist sie absolut trivial. Die Redaktion will sie vielleicht gar nicht veröffentlichen, weiß aber, dass ihre Leser, Zuschauer oder Hörer in der Früh an der Bushaltestelle oder im Pub am Abend nicht mitreden können, wenn sie es nicht tut. Und alle anderen schon. Sie müssen die Geschichte also aus wirtschaftlichen Gründen bringen. Es nicht zu tun, können sie sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten. Es klingt dumm, dieses „Ninja Turtle“-Syndrom, aber es funktioniert ziemlich gut. Es schafft diesen Konsens der dazu führt, dass alle das Gleiche berichten.“

„Good News, is bad News”, lautet ein altes Prinzip. Frei interpretiert: Wenn nichts los ist, sorgen die Medien dafür, dass etwas los ist. Wolf Schneider hat einmal herausgefunden, dass die Nachrichten-Chefs der vier renommiertesten deutschen Zeitungen an 60 Tagen im Jahr keinen wirklichen Aufmacher haben. An diesen Tagen des medialen Lochs, haben etwa neue Grippeviren ihre Chance.

„Wenn nun an diesen 60 Tagen plötzlich die Mauer einfällt in Berlin oder das World Trade Center einstürzt in New York, dann gibt es keine Schweinegrippe. Aber leider, an jedem 5. Erscheinungstag in Deutschland und manchmal auch drei Wochen hintereinander, stürzt keine Mauer ein, wie schade, und stürzt kein World Trade Center ein, wie schön, also ist nichts Aufregendes los und die Agenturen merken dann „ in dieses Loch hinein machen wir große Meldungen über die Schweinegrippe“, das Fernsehen macht auch die schönen Bilder. Nun denken die Zeitungen, wenn die Agentur das unter Vorrang laufen lässt, dann denkt die Agentur „ach, die Zeitungen machen es ja auch, bringen wir mehr“ – also ein Karussell von sich selbst verstärkenden Nachrichten, eine unglaubliche Verunsicherung von Millionen Hörern und Lesern mit einem Nichts an Nachricht. Eine Schande für den Journalismus.“

Für Michael Frank, den Österreichkorrespondenten der Süddeutschen Zeitung läuft die derzeitige Entwicklung im Journalismus auf eine Zweiteilung hinaus.

„Also wir sollten aufhören, bei vielen Dingen von Journalismus zu reden, sondern das ist Event und Sensationen verbraten. Das hat mit Information überhaupt nicht mehr das Geringste zu tun.“

Die geistige Verengung hat noch eine Ursache: Die Medienkonzentration. Denn die mediale Vielfalt, die nicht zuletzt durch das Trägermedium Internet vorgegaukelt wird, ist nur eine scheinbare. Immer weniger, immer größere Medienkonzerne kontrollieren immer mehr Publikationen. Kleine, unabhängige Verlagshäuser werden geschluckt. Das wirkt sich negativ auf die Meinungsvielfalt aus, warnen alle, denen Qualitätsjournalismus ein Anliegen ist. Michael Frank, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Wien, bringt ein Beispiel aus Deutschland:

„Ein Konzern wie der der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, der WAZ-Konzern, dem ja auch zur Hälfte die Kronen Zeitung gehört, der gibt im Ruhrgebiet glaube ich fünf Qualitätszeitungen heraus, die insgesamt 900 Redakteure haben oder mehr, und da haben die jetzt glaube ich 300 rausgeworfen oder noch mehr und haben den Rest zusammengefasst, zumindest was den Informationsbereich betrifft, zu einer Art Zentralredaktion. Das wird bei uns zum Beispiel sehr heftig diskutiert, und ich sag inzwischen das ist unglaublich, dass wir dann im Ruhrgebiet, das ist ein Bereich von 5 Millionen Einwohnern, plötzlich gleichsam eine Art von Ruhrgebiets-Prawda erscheint, also eine Einheitszeitung. Egal welche Linie sie haben mag, darum geht es nicht. Das heißt, dass die Differenzierungen leiden könnten. Schauen Sie, Blätter wie die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sind ja nicht nur deswegen wichtig, weil sie vielleicht ganz schlau formulieren, sondern weil sie auch mal unterschiedlicher Ansicht sind.“

In den USA, wo die Konzentration schon viel weiter fortgeschritten ist als in Europa, gebe es bereits eine Kehrtwende, berichtet Frank.

„Wenn man den Blick nach Amerika richtet, wo selbst erzkonservative Leute heute sagen „wir müssen unbedingt Blätter wie die New York Times und die Washington Post und die Los Angeles Times und den Boston Globe retten, weil sonst unsere Gesellschaft untergeht, wenn wir diesen Bereich – dort ist es halt viel krasser als bei uns – Pleite gehen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, also verschwinden lassen. Wir brauchen es zur - sagen wir - politischen und psychischen Gesundheit der Gesellschaft. Sodass es neben dem unglaublichen Schlamm, der natürlich in einem großen Gesellschaftsbild anfällt, auch die ehrenwerten und klaren Dinge gibt. In Deutschland wird das unter diesem Aspekt sehr scharf diskutiert. Zumal wir ja ein Blatt haben auf der anderen Seite, wie die BILD-Zeitung, das heißt wir sind mit all diesen Dingen sehr scharf konfrontiert und hoffen, dass sich das Spektrum erhalten lässt und dass der Untergang einzelner Zeitungen, der unvermeidlich sein wird, nicht dazu führt, dass plötzlich das Spektrum nicht mehr komplett ist. Das wäre ein großes Unglück.“

Auch in der Schweiz, dem Musterland des Qualitätsjournalismus, hat der Konzentrationsjournalismus längst eingesetzt. Im kleinen deutschsprachigen Teil der Schweiz erscheinen zwar immer noch regelmäßig etwa hundert Titel, doch es wird enger. Selbst die renommierte Neue Züricher Zeitung ist bereits Teil der Medienkonzentration, räumt Chefredakteur Markus Spillmann ein, und erklärt den Prozess mit ökonomischen Notwendigkeiten.

„Die NZZ Mediengruppe ihrerseits besitzt die Mehrheit in Sankt Gallen, also in der Ostschweiz und in der Zentralschweiz. Und es gibt nur noch wenige – ich sag jetzt mal formal gesehen, aber auch rechtlich gesehen – unabhängige Verlagshäuser in der Schweiz kleinerer Größe. Ich glaube, diese Arrondierung wird weitergehen. Sie ist letztlich auch wieder eine eher unternehmerisch, betriebswirtschaftliche Größe, als denn eine publizistische, sie sind einfach schlicht gezwungen dazu, zusammen zu arbeiten. Und wenn man das geschickt macht, und ich glaube es gibt eben Modelle, die funktionieren, dann glaube ich persönlich muss die Qualität nicht leiden.“

In Österreich ist die Medienkonzentration besonders hoch. Stichwort: Mediaprint, WAZ, Styria Verlag, Moser Holding oder Russ-Gruppe. Die Entwicklung hat hier schon früher eingesetzt als anderswo. Nach 1945 räumten die Besatzungsmächte den politischen Parteien den Primat in der Verleger- und Herausgeberschaft ein. Private gerieten ins Hintertreffen, etwa bei Papierzuteilung oder Lizenzvergaben, erzählt Josef Seethaler von der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er leitet die Kommission für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung am Zentrum für Sozialwissenschaften.

„Die Amerikaner sind die ersten, die das entdecken. Zumindest ist das unser Quellenstand. Die kommen drauf, dass da ein Fehler in der Pressepolitik passiert ist, ein begründbarer Fehler, weil man sich einfach von den Parteien erwartet hat, dass sie die Aufgabe der Redemokratisierung der Bevölkerung nach den Jahren des Nationalsozialismus besser bewältigen können. Aber letztendlich doch ein Fehler, weil das ja eigentlich die Ausbildung eines entsprechend finanzstarken, privaten Unternehmer-Sektors im Zeitungsbereich, im Medienbereich mehr oder weniger verhindert hat.“

Die Parteizeitungen aber waren schon in der ersten Republik unpopulär, erzählt Josef Seethaler. Das war nach 1945 nicht anders.

„Übrigens 1907 sagt man schon auf einem Parteitag der Sozialdemokraten, dass die Arbeiter nicht die Arbeiterzeitung sondern die Kronenzeitung lesen. In der ersten Republik war das auch so. Und in der zweiten war es natürlich nicht anders. Und als quasi der Schutz durch die Besatzungsmächte und der Schutz durch die restriktiven Maßnahmen der Regierung wegfielen, in dem Moment ist die ganze schöne aufgebaute Parteizeitungslandschaft abgebröselt, es wurde eine nach der anderen eingestellt und erstmal in Ausgaben umgewandelt und dann ganz eingestellt. Und in diese Lücken konnten natürlich jetzt nur einigermaßen finanzstarke Unternehmen vorpreschen. Und da gab es kaum welche. Da gab es die Kronen Zeitung, den Kurier und man kann das wunderschön zeigen über die Jahrzehnte: wann immer eine Parteizeitung in irgendeinem Bundesland eingestellt wird, ein paar Wochen später gibt es die entsprechende Regionalausgabe der Kronen Zeitung oder des Kuriers oder beide.“

Initiativen gegen die Medienkonzentration gab es etwa 1977 mit der Gründung der Wiener Stadtzeitung „Falter“. Grundlegenden Richtung: Gegen das Falsche in Politik, Kultur und Programm, für mehr Lebensfreude. 1988 wurde die Tageszeitung der Standard gegründet, die bereits 420.000 Leserinnen und Leser hat. Beides heute etablierte und aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenkende Blätter. Und es gibt auch andere, weniger bekannte Initiativen. 2004 gründeten Klaus Stimeder und Johannes Weyringer die Monatszeitung „Datum – Seiten der Zeit“. Am Beginn stand der Verein für Qualitätsjournalismus, gegründet vor dem Hintergrund der Medienkonzentrationen in Österreich. Begonnen hat alles sehr klein, erzählt Datum-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner.

„Das Datum hat begonnen als relativ kleine Firma in einer Gemeindewohnung mit einem PC, also ein bisschen der Hintergrund, ohne Drucker. So ist das die ersten Jahre produziert worden. Seit zwei Jahren können einige Leute vom Heft leben, es gibt Angestellte. Es gibt eine Reihe von Leuten, die haben einen freien Dienstnehmervertrag. Wir sind summa summarum in der Redaktion um die 10 bis 15 fixe Leute und dann gibt es einen Pool von Autoren und Autorinnen.“

Mittlerweile hat die Monatszeitschrift eine Auflage von zehntausend Stück und 2.300 zahlende Abonnenten. Sie finanziert sich nur über Abos und Werbung, und das obwohl eine Ausgabe immerhin 5,50 € kostet. Ein Beispiel dafür, dass der Leserschaft Qualität durchaus etwas wert ist. Datum greift Themen abseits des Mainstream auf und bürstet Aktuelles gegen den Strich. Die Geschichten umfassen oft mehrere Seiten. Dazu gibt es lange Fotostrecken und Foto-Essays.

„Ich glaube, dass die Zeit dieser bunten, schnellen Magazine vorbei ist. Dass die Leute sich irgendetwas Beständigeres holen möchten und ich glaube, dass die Leute die Sehnsucht nach etwas Ordentlichem haben, auch sich einfach hinzusetzen und in Ruhe zu lesen. Nachdem wir in einer schnellen Medienwelt leben, wo ich jederzeit jede Information via Handy, via Computer abrufen kann, glaube ich gibt’s eine Gegenbewegung, dass man sich wirklich auch wieder sagt ok, man setzt sich bewusst hin und liest ein Magazin.“

Ein Kleinod, nennt Michael Frank die Zeitschrift und unterstützt sie denn auch mit seiner Expertise. Für den Korrespondenten der Süddeutschen in Wien ist „Datum“ eine der beiden nennenswertesten Neugründungen der letzten Zeit in Österreich. Über die andere Neugründung äußert sich Frank nur wenig schmeichelhaft, weshalb sie in einer Sendung über Qualitätsjournalismus erst gar nicht erwähnt werden soll.

„Das belegt meine These, dass sich die Gesellschaft entmischt in Leute die sich immer mehr mit Unsinn und oft sogar Lügen abspeisen lassen und auf der anderen Seite es ein kleines, aber qualifiziertes Publikum gibt, dass gerade dürstet nach qualifizierten, anständigen und was ganz wichtig ist – auch gut formulierten, schöngeschriebenen Geschichten. Der Journalismus ist irgendwo auch eine Form der Unterhaltung, selbst wenn es um sehr ernste Dinge geht, nämlich der Unterhaltung im eigentlichen Sinne: durch das schöne Wort, durch das gute Wort, durch die gut geschriebene Geschichte.“

Wer Leuten nachläuft, bekommt nur deren Rücken zu sehen. Unter dieser Devise steht das „Spectrum“, die Samstagsbeilage der Presse, die zum Styria Konzern gehört. Seit mehr als 20 Jahren leitet Karl Woisetschläger die kleine Spectrum-Redaktion. Sein Anspruch:

„Da möchte ich antworten mit einem Zitat von Sigfried Kracauer, der – als einmal die Leserschaft gegen die Provokationen im Feuilleton der alten Frankfurter Zeitung protestierte – als Redakteur entgegnete: Was wir wollen, ist Ihnen die Augen öffnen über gesellschaftliche Zustände und menschliche Verhältnisse, von denen Sie am liebsten nichts wissen möchten. An diesen Attentaten gegen Ihre Gemütsruhe ist uns allerdings viel gelegen.“

Zehn bis 14 Seiten, je nach Anzeigenvorkommen in der restlichen Zeitung, umfassen die „Attentate auf die Gemütsruhe der Leserschaft“ jeden Samstag. Markenzeichen des Spectrums sind Texte, die schon von ihrem Umfang her weit über den Häppchen- oder Krümeljournalismus hinausgehen. Neben der Förderung heimischer Literatur, durch Texte österreichischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen, sowie ausführlichen Buchrezensionen, gibt es eine fixe Architekturseite, Reportagen, Hintergrundberichte sowie Beträge zu Aktuellem, das die Gemüter erhitzt. Wie etwa ein Beitrag zur Kopftuchdiskussion mit dem Titel „Das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen oder unentbehrliches Requisit eines islamischen Feminismus?“.

„Ich muss gleich sagen, dass dieser Beitrag einen Rekord an Postings im Internet gezeitigt hat. Etwa dreihundert Postings, was für einen Spectrum-Beitrag enorm viel ist. Eine Leserbriefseite gezeitigt hat. Eben ungeheure Reaktionen hervorgerufen hat. Uns war bewusst, dass der Betrag sehr, sehr konträr in der Debatte ablaufen wird – er ist also möglicherweise als Provokation auch gedacht.“

Gearbeitet wird mit einem Team von drei fixen Redakteuren und einem Stab freier Autorinnen und Autoren, die für ein Zeilenhonorar schreiben. Täglich trudeln bei Karl Woisetschläger zudem unverlangt eingesandte Manuskripte ein. Außergewöhnlich ist, wie die Redaktion damit umgeht.

„Hier hat das Presse-Spectrum eine wichtige, fast schon singuläre Rolle würde ich meinen. Nämlich die eines Lektorats, das Autoren die Möglichkeit gibt, mitunter erstmals überhaupt zu veröffentlichen. Das Problem am Lektorat sind zwei Dinge. Erstens ist das für einen Zeitungsverlag etwas, was nicht unmittelbar Output bringt. Das zweite Problem am Lektorat ist, dass die Mehrzahl der eingereichten Manuskripte sozusagen in einer Mittellage sind. Sie sind weder schlecht noch sehr gut. Hier herauszufiltern, was man bringen will, was nicht zuletzt eine Frage des Spectrum-Umfanges ist, ist sehr schwierig. Das ist eine extrem zeitaufwendige Sache.“

Auffällig ist, dass das Spectrum mit Ausnahme von Buchinseraten ohne Werbung auskommt. Eine bewusste Entscheidung, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Auffällig ist, dass es inhaltlich und von der Themenauswahl selbstständig und unabhängig vom Rest der Zeitung agiert. Vielleicht sitzen wir in einem Elfenbeinturm, weil der Verlag sagt, diese Beilage leisten wir uns, überlegt Karl Woisetschläger und kommt zu dem Schluss:

„Das Spectrum ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Presse.“




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