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Journalismus in der Krise

Schweiz

Transkription
An der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern trudeln nach und nach die jungen Journalistinnen und Journalisten ein. 2009 wurde MAZ vom Verein für Qualität im Journalismus mit dem Schweizer Medien Award ausgezeichnet. Gelobt wurden die ideale Verbindung von Theorie und Praxis in der Ausbildung und das allgemeine Engagement für Qualitätsjournalismus. Vortragende an diesem Vormittag ist Cornelia Kazis. Cornelia Kazis ist Redakteurin beim Schweizer Radio DRS 1und DRS 2 in Basel. Daneben schreibt sie für NZZ Folio, die Zeitschrift der Neuen Züricher Zeitung.

„Was mir hier auffällt ist, dass natürlich Journalismus immer noch ein Traumberuf ist für viele junge Menschen. Ich hab das Gefühl, es gibt hier Studierende, die haben einfach nette Aufsätze geschrieben und die kommen ziemlich auf die Welt, was das auch für Knochenarbeit ist. Was das auch für eine persönliche Auseinandersetzung ist mit Themen, mit Menschen bedeutet. Mein Tun und Lassen hier ist vor allem, dass sie weniger in die Breite, an der Oberfläche Dinge beschreiben, sondern dass sie wirklich in die Tiefe gehen. Dass sie Details vertrauen, dass sie ihre Wahrnehmung schärfen – das hat meiner Meinung nach sehr viel mit Journalismus zu tun. Also die Wahrheit nehmen.“

Richtig hinschauen, bei der Sache sein. Genau beobachten und beschreiben. Das kann Cornelia Kazis. Ihre preisgekrönten Reportagen sind Meisterwerke eines emotional-berührenden und gleichzeitig distanzierten Journalismus. „Letzte Tage – Protokolle des Sterbens“ erhielt im Jahr 2000 den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Sie begleitet darin Menschen in einem Hospiz. „Erschreckenden Nähe“, ausgezeichnet mit dem Züricher Journalistenpreis 2003, greift das Tabuthema des Ekels in der Pflege auf.

„Tabuthema meint man schon, das sei so etwas Mächtiges, aber es ist eigentlich kein Thema gewesen und dass das einen Preis gewonnen hat, hat mich extrem gefreut. In Zeiten, wo ja nur die ganz großen, weltbewegenden, auch politischen Themen überhaupt beachtet werden. Das hat mich sehr gefreut, nicht nur für mich, sondern auch für den Journalismus.“

Cornelia Kazis genießt den Ruf einer vertrauenswürdigen Journalistin, die sich vor allem für soziale Themen engagiert. Diese Vertrauen, aber auch ihre Position als Angestellte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ermöglichten es ihr, qualitativ hochwertigen Journalismus zu machen, sagt sie.

„Man kriegt auch viel Vertrauen, wenn man Zeit hat. Also wenn man sagt „Sie können sich das in Ruhe noch einmal überlegen, schlafen Sie noch mal drüber, ich rufe Sie gerne in ein bis zwei Tagen noch einmal an“. Qualitätsjournalismus hat sehr wesentlich mit Zeitressourcen zu tun. Also zum Beispiel die Geschichte mit dem Ekel und der Scham – das war kein Auftrag vom Rundfunk, sondern ein Auftrag vom NZZ Folio. Da bin ich frei, aber auch die haben noch Ressourcen, die natürlich – verglichen mit anderen, beispielsweise mit meinen Studierenden - da lerne ich viel, wie eng deren Ressourcen sind. Da muss man auch ehrlich sein und sagen, wenn die nur zwei Stunden Zeit haben, okay, dann kann man kein Portrait schreiben zum Beispiel.“

„Wir suchen vor allem junge Menschen mit Leidenschaft. Leute, die Journalist / Journalistin sein wollen, nicht irgendwie Kommunikation machen. Es könnte ja auch Public Relation sein, weil wir sind überzeugt, dass nur leidenschaftliche Journalisten diese schwierige Zeit überleben und dann auch dem Journalismus gerecht werden.“

Sylvia Egli von Matt leitet das MAZ seit zehn Jahren. Für die Ausbildung am MAZ, sei es die zweijährige Diplomausbildung oder der Masterstudiengang, gibt es ein strenges Auswahlverfahren. Genommen werden nur die besten. Eine umfassende Allgemeinbildung und Interesse am Weltgeschehen werden vorausgesetzt und geprüft. Die Bewerber müssen eine kritische, offene Haltung für Themen und Techniken mitbringen. So wie genügend Geld.

„Die jungen Leute investieren eigentlich sehr viel in ihre Ausbildung. Die meisten zahlen das selbst, und das sind immerhin für die zwei Jahre rund 12.000 Euro. Sie verdienen fast nichts dann in der Redaktion. Also sie investieren, nicht die Medienwirtschaft investiert. Und man spricht sehr viel von Qualität im Moment in der Medienbranche - Verlagsseite und Redaktionsseite. Oft sind das leider heute Lippenbekenntnisse. Wenn es dann wirklich darum geht in Qualität zu investieren, mehr als gratis zu haben ist die nicht. Dann fehlt der Tatbeweis.“

Der heutige journalistische Nachwuchs sei sehr engagiert, meint Sylvia Egli von Matt. Trotz oder gerade wegen der gestiegenen Anforderungen im Journalismus.

„Sie sagen bei der Aufnahmeprüfung, „ich möchte etwas beitragen zur Demokratie, vielleicht sogar die Welt ein bisschen verändern“. Wenn man die Ebene Arbeitsfeld anspricht, da ist eindeutig, die sind enorm unter Druck. Zeitdruck, finanzieller Druck, gleichzeitig wird die Arbeit komplexer, schwieriger. Die Themen sind vielfältiger, sind auch globaler – also es braucht mehr Wissen, es braucht zugleich auch mehr technische Kompetenzen, weil sie multimedial arbeiten müssten. Und gleichzeitig fehlt die Zeit. Also ich denke die Ansprüche, die heute an Volontäre beispielsweise, aber auch an die älteren Journalisten gestellt werden, sind ungleich höher als noch vor zehn Jahren.“

[Hintergrundgeräusche vom Unterricht an der Journalistenschule]

Christoph Keller, auch er ist Redakteur bei DRS 2 in Basel und seit vielen Jahren Vortragender am MAZ. Was ihm auffällt, ist zunächst einmal die Selbstverständlichkeit, mit der sich die jungen Menschen der verschiedenen Darstellungsformen – Podcast, Radio, Fernsehen und Print – bedienen. Die Inhalte aber kämen oft zu kurz.

„Es gibt so eine Art Tendenz zu einer Form des „Häppchen“-Journalismus, wo eben alles zu bestimmten Formen klar vorgegeben ist. Wo die Texte kurz sein müssen, die Hauptsätze uniform sind, wo man keinen Raum mehr hat fürs Experimentieren, insbesondere mit dem Text, wo die Texte jede Form von Hybridität, jede Art auch von Schrägheit verlieren und wir es wirklich mit einer Art von – ja noch mal - Streamline-Journalismus zu tun haben, der mir schon manchmal auch ein bisschen Angst macht.“

„Wäre es zumutbar, zu wissen wie groß Deutschland ist in Österreich, könnte man beinahe auch im Kopf haben. 356.000, Österreich 84.000, Bayern 70.000, die Schweiz – sollten Sie wissen – 41.000.“

Am Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg hat Wolf Schneider gerade den ersten Teil seines Seminars „Deutsch für Profis“ beendet. Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Washington, Chefredakteur der Welt, Verlagsleiter beim Stern – das sind nur einige Stationen aus der Laufbahn Wolf Schneiders. Vor rund 30 Jahren gründete er die Henri-Nannen Journalistenschule in Hamburg und kämpft seither als Stil-Dozent und Buchautor gegen den Niedergang der deutschen Sprache und des Bildungsniveaus im Journalismus an.

„Es geht eindeutig bergab mit der Zeichensetzung, es geht eindeutig bergab mit der Kenntnis grammatischer Feinheiten und es geht eindeutig bergab mit dem, was man vielleicht als bürgerliche Gemeinbildung bezeichnen könnte. Also das abrufbare Wissen, das der Journalist als Hintergrund braucht, da geht es mit bergab. Die Zahl der Journalisten, die wissen, wie es auf der Welt zugeht, nimmt tendenziell ab. Sie schreiben viel und wissen wenig.“

Das KFJ ist nur eine von vielen Institutionen der Journalistenausbildung in Österreich. Publizistikinstitute, Fachhochschulen, die Donau Universität Krems oder das Polycollege in Wien bieten Aus- und Weiterbildungen an. Verlage und Redaktionen sparen jedoch bei der Weiterbildung. Am Kuratorium seien derzeit vor allem Kurse für Onlinejournalismus oder Seminare über das Verfassen von Minitexten wie Überschrift, Vorspann oder Bildtext gefragt, erzählte der langjährige Geschäftsführer Meinrad Rahofer in einem Interview kurz vor seinem Tod. Dinge wie Ethik im Journalismus verkaufen sich derzeit nicht besonders gut.

„Wir haben jetzt hauptsächlich Ein- bis Zweitageskurse oder ganz lange Formen. Und die anderen Länder, was weiß ich, Skandinavien oder so, haben sehr viele einwöchige Kurse oder zweiwöchige Kurse. Das ist bei uns nicht verkaufbar, weil ein Freier nicht zwei Wochen weg sein kann von seiner Arbeit. Und der kann einen Tag kommen oder einmal zwei Tage, aber der kann nicht eine Woche weg sein. Also das ist so eine eindeutige Verschiebung. Der weitaus überwiegende Teil kommt aus eigenem Antrieb, das ist nicht neu, das war vor der Krise nicht anders. Es war nur für die leichter zum Chef zu gehen und zu sagen, ich möchte das machen. Das ist jetzt schwieriger.“

Und die Zahl der Freien steigt stetig an. Aus dem einstigen Traumjob ist der Job-Albtraum geworden, meint Franz C. Bauer, Geschäftsführer der Journalisten Gewerkschaft GPA-djp.

„Wir machen die Beobachtung, dass Redaktionen immer stärker auf freie Mitarbeiter ausweichen, wobei das aus unserer Sicht Angestellte sein müssten. Das sind prekäre Dienstverhältnisse und das sind aus meiner Sicht 80 bis 90 Prozent. Es gibt natürlich freie Mitarbeiter und freie Mitarbeiterinnen bei jedem Medium, die wirklich frei sind. Die als Wissenschaftler, als Künstler auch etwas schreiben, aber das sind dann die typischen Freien, die nicht eingebunden sind in den Redaktionsalltag. Aber das ist die Minderheit. Bei weitem die Minderheit. Die große Mehrheit der Freien sind in Wirklichkeit verdeckte Anstellungsverhältnisse.“

Theoretisch könne die Gewerkschaft in diesen Fällen sehr viel tun, praktisch aber ziemlich wenig, meint Franz C. Bauer. Der Grund ist das hohe Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Betroffenen stehen.

„Theoretisch kann man jeden einzelnen Fall einklagen und wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Chancen, da eine Anstellung durch zu setzten sehr groß sind. Das ist die Theorie. In der Praxis ist es so, dass viele der Betroffenen davor zurückschrecken, das auch zu machen, weil man dann die Gefahr läuft, seinen Job zu verlieren. Tatsache ist, dass wenn man klagt, wenn geklagt wird oder auch wenn eine Krankenkassenprüfung kommt, sehr viele dieser Fälle dann korrigiert werden müssen. Aber die selbst Betroffenen, die trauen sich das sehr selten.“

Auf einen Aufruf für diese Sendung meldeten sich in kürzester Zeit dutzende Journalistinnen und Journalisten und erzählen über ihre Arbeitssituation. Die Schilderungen ähneln einander. Viele sprechen vom enormen Druck, prekäre Arbeitsverhältnisse, Dumpinglöhne und zusätzliche Gratistätigkeiten sind an der Tagesordnung. Honorare wurden seit Jahren nicht erhöht oder werden gekürzt. Fast alle arbeiten mehr als 40 Stunden pro Woche. Viele denken daran, diesen Beruf aufzugeben. Viele haben das bereits getan oder müssen nebenbei auch andere Arbeiten machen, wie etwa PR-Texte zu verfassen, um ihre Miete bezahlen zu können. Viele wollen sich nicht öffentlich äußern, aus Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen.

„Ich bin freie Journalistin und schreibe momentan für ein Regionalmedium das 14-tägig erscheint und schreibe dort alles Mögliche. Von PR-Artikeln bis regionale Berichterstattung, Kulturbereich. Im Augenblick ist das so, dass ich mehr oder weniger auf Abruf arbeite. Die Bezahlung ist nicht sehr gut, man muss oft irgendwo hinfahren. Manchmal werden Termine auch abgesagt und man kann den Termin dann nicht einmal verrechnen. Das heißt, man hat oft einen Aufwand und weiß nicht genau, was dann am Schluss dabei rauskommt.“

Eva Woska-Nimmervoll ist 40 Jahre alt. Sie hat Publizistik studiert und diverse Zusatzausbildungen gemacht und sie ist verheiratet. Das zu erwähnen ist deshalb wichtig, weil es ihr das Überleben sichert. Mehrere Jahre arbeitete sie als ständige freie Mitarbeiterin beim ORF Fernsehen. Dann wurde ihr Vertrag nicht mehr verlängert. Heute macht sie mehrere Jobs gleichzeitig: Sie ist Singer-Songwriterin, macht PR, liest Korrekturen, schreibt für eine Monatszeitschrift und das erwähnte Regionalmedium in Niederösterreich.

„Ich werde momentan auf Zeilenhonorar-Basis abgerechnet und für Fotos, die ich liefere. Die Termine werden so wahrgenommen, dass derjenige, der hingeschickt wird – also der Journalist oder die Journalistin – eben für alles zuständig ist. Also man recherchiert sich den ganzen Rahmen selber, man fotografiert dort und man interviewt, man notiert sich alles und man schreibt dann alles. Wenn ich jetzt eine halbe Seite oder so etwas schreibe: ich schätze es sind so um die 70 Euro - wenn ich jetzt Fotos auch dazu mache. Ohne Fotos ist es weniger.“

Von den 70 Euro Honorar werden noch Steuern und Versicherung abgezogen. Wie alle Freien, bekommt sie weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld. Sie sei sehr gerne Journalistin, sagt Eva Woska-Nimmervoll, die die Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen, die Interviews, Recherchen und auch die freie Zeiteinteilung schätzt. Trotzdem weiß sie, dass es so nicht weitergehen kann.

„Also inklusive der anderen Tätigkeiten, die ich mache, also wenn ich jetzt die journalistische Arbeit und die Musik zusammenrechne, das kann sich zwischen 500, 600, 700 Euro mal mehr, mal weniger bewegen. Also wie gesagt: Ohne meiner familiären Absicherung würde das so nicht gehen im Augenblick.“

Spezialthemen des 39-jährigen Gottfried Derka sind Wissenschafts- und Medizinthemen. Der studierte Publizist ist seit fünf Jahren freier Journalist und schreibt für renommierte Publikationen in Österreich und Deutschland.

„Wir freien Journalisten sind in einer ähnlichen Situation wie die Ziegelböhmen vor 120 Jahren. Wir sind austauschbar. Wenn ich jetzt sage „um dieses Geld schreibe ich nicht“, dann werde ich bestenfalls ein Schulterzucken ernten von den Herausgebern oder von den Redakteuren, die sagen „Tut mir Leid, es ist nicht mehr im Topf. Es gibt aber genug andere, die das gerne machen“.

„Die Bedingungen, unter denen freie Mitarbeiter arbeiten müssen, sind aus mehreren Gründen inakzeptabel. Wenn wir vom Sozialrechtlichen einmal absehen und davon, dass das meiste ja ein Rechtsbruch ist, dann ist auch die Möglichkeit, Medien zu gestalten eine sehr eingeschränkte. Journalismus passiert immer aus einer sehr exponierten Situation heraus. Das heißt, Journalisten müssen immer was riskieren und das Problem dabei ist, dass es dann immer wieder auch Interventionen gibt. Und wenn ich als freier Mitarbeiter praktisch unter Stücklohn das herstellen muss und es nicht einer Kündigung bedarf, sondern ich schlicht keinen Auftrag mehr bekomme, dann ist die – sag ich mal - Verlockung für einen Chefredakteur relativ groß, einen unangenehmen freien Mitarbeiter / freie Mitarbeiterin eben nicht mehr zu beschäftigen.“

Auch Gottfried Derka liebt seinen Beruf und hat kein Problem, Abnehmer für seine Geschichten zu finden. Was sich geändert hat ist die Möglichkeit, sich mit dieser Arbeit über Wasser zu halten, sagt der Familienvater einer kleinen Tochter und rechnet vor:

„Es gibt eine große deutsche, sehr renommierte Zeitung, für die ich gerne schreibe, weil es also wirklich ein Renommierblatt ist. Die zahlen für einen Text, der circa 10.000 Zeichen lang ist, 500 Euro. Für 10.000 Zeichen, da kann man ein Thema schon einigermaßen präsentieren, man kann da aber auch Zeit reinstecken. Wenn man jetzt sagt „ok, für diesen Text mit 10.000 Zeichen brauche ich ungefähr vier Tage mit Recherche und Schreiben, wobei das sozusagen Netto-Arbeitszeit ist, das zieht sich natürlich über einen längeren Zeitraum. Ich muss das Thema finden, ich muss es vorschlagen, er muss sich überlegen, will ich die Geschichte oder nicht. Aber sagen wir einmal, Nettoarbeitszeit vier Tage. Wenn man sich das also jetzt ausrechnet, was da an Stundenhonorar herauskommt – sagen wir vier Tage á acht Stunden – sind das also 32 Stunden Arbeitszeit. Da kommt man auf einen Stundensatz von 15 Euro. Von diesen 15 Euro zahle ich meine Sozialversicherung, meine Miete, meine Infrastruktur. Also man kann sicher sagen, man kann die Hälfte wegrechnen und kommt dann auf einen Stundensatz von acht Euro.“

Besonders im Argen liegt laut Gewerkschaft der Online-Bereich, wo das durchschnittliche Einkommen zwischen 1000,- und 1.500,- Euro monatlich liegt. Verlage, Zeitungen und elektronische Medien sehen ihren Online-Auftritt ergänzend. Die Kosten werden auf die Freien abgewälzt, erklärt Reinhard Christl, Leiter des Instituts für Journalismus und Medienmanagement an der Fachhochschule Wien.

„Die Online-Journalismus-Branche hat zwei Probleme: Erstens hat sie noch kein Geschäftsmodell, denn die Inhalte dort sind gratis. Das heißt, man verdient mit diesen Inhalten nichts. Und zweitens gibt’s auch kein wirklich funktionierendes Geschäftsmodell, wie man für den Onlinejournalismus Werbung verkauft. Die doppelseitige Anzeige, die es im Magazin gibt – das Pendant dazu im Internetjournalismus, das gibt es nicht. Ein weiteres Problem des Onlinejournalismus ist, dass er natürlich nicht dem Journalisten-Kollektivvertrag unterliegt und dass dort die Bezahlung teilweise völlig unterirdisch ist.“

„Wir haben im Zusammenhang mit den derzeitigen Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag festgestellt, dass hier Dinge passieren, die man kaum für möglich hält. Da gibt es Vorgaben, die ein Medienunternehmer via Chefredaktion oder wer auch immer, wie lang eine Geschichte an Recherchearbeit konsumieren darf. Das heißt, man muss sich das konkret so vorstellen: Da kriegt der Kollege / die Kollegin eine Meldung auf den Tisch oder ein Thema und es heißt, in einer halben Stunde muss das online stehen. Bedeutet: Dass die Zeit, um das vernünftig zu recherchieren natürlich nicht da ist und auf meine Frage dann: „Ja was tust du denn dann, wenn du die nicht erreichst, die du brauchst?“, war die Antwort: „Ja, dann muss ich es trotzdem reinstellen, weil das Mehr-Recherchieren wird ja nicht bezahlt.“ Das heißt, wir arbeiten da mit den Bedingungen eines Stücklohns oder eines Akkordlohns, der von Vornhinein nahezu ausschließt, dass man gründlich recherchiert.“

Und das schlägt sich zweifellos auf die Qualität nieder. Gleiche Bedingungen für alle. Das soll bei den derzeitigen Verhandlungen für einen neuen Journalistenkollektivvertrag erreicht werden. Denn, wie viele meinen, es könne nicht sein, dass es verschiedene Klassen von Journalisten gäbe – die durch den Kollektivvertrag Geschützten und die Ungeschützten. Denn derzeit werden viele Journalisten und Journalistinnen in Subunternehmen ausgegliedert, in denen der Kollektivvertrag nicht gilt.

„Was wir momentan versuchen bei den Kollektivvertrag-Verhandlungen ist eine Definition von Rahmenbedingungen, unter denen alle Journalistinnen und Journalisten in Österreich arbeiten sollen und dann werden diese Ausgliederungen auch – zumindest wirtschaftlich – nicht mehr notwendig sein. Beziehungsweise wenn man sie macht, dass sie nicht dazu führen, dass die Betroffenen dort schlechtere Bedingungen vorfinden. Ziel dieser Kollektivvertrags-Verhandlungen, die wir führen, ist es, eine umfassende Gültigkeit dieses Kollektivvertrags, die theoretisch besteht aber- wie gesagt – praktisch sehr, sehr schwer durchzusetzen ist, diese umfassende Geltung wieder herzustellen.“

Es könne nicht funktionieren, dass Journalisten zunehmend ins freie Unternehmertum gedrängt oder outgesourced werden, meint auch der Medienwissenschaftsforscher Otfried Jarren von der Universität Zürich.

„Sie wissen nicht, ob das Dritte mitfinanzieren, Peer-Interessen umgesetzt werden, Wirtschaftsinteressen umgesetzt werden. Das können Sie gar nicht mehr feststellen. Zum zweiten führt es natürlich zu einer gewissen Verelendung. Diese Verelendung hat zur Folge, dass diese Personen häufig viele Sachen machen müssen: Werbung, Public Relations, Texte schreiben für ich-weiß-nicht-was und journalistische Aufgaben. Das wird meines Erachtens sozusagen als Bazillus in den normalen publizistischen Kreislauf kommen. Denn wenn wir nicht mehr unterscheiden können, ob das jetzt eigene Interessen sind oder journalistische Positionen, dann könnte es nicht nur Irritationen geben, sondern fatale Entwicklungen. Weil man zum Beispiel auch gar nicht mehr weiß, ob man sich und woher souverän informieren kann oder souverän informiert wird. Und vor allem die Glaubwürdigkeit könnte das gefährden.“

In dieselbe Kerbe schlägt Reinhard Christl von der Fachhochschule Wien.

„Man braucht als Journalist, der kritisch und unabhängig berichten soll, eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit und auch eine gewisse finanzielle Sicherheit. Und deswegen braucht es Arbeitsplätze, die erstens sicher sind und die zweitens auch gut bezahlt sind. Denn wenn jemand sich für jeden Monat überlegen muss, wie er über die Runden kommt, dann kann man von ihm eigentlich nicht verlangen, dass er wirklich kritischen und unabhängigen Journalismus macht. Denn dann ist er absolut anfällig für Bestechung, für Einfluss der Anzeigenabteilung, für Rückgratlosigkeit und für all diese grausligen Dinge.“

Für die Journalistengewerkschaft ist derzeit jedenfalls Feuer am Dach. Sie hat daher eine Petition an Bundeskanzler Werner Faymann geschrieben, in der er auf die arbeitsrechtlichen Verschlechterungen unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise, den drohenden Verlust hunderter Qualitätsarbeitsplätze und die Aushebelung des Kollektivvertrags durch Umgehungshandlungen aufmerksam gemacht wird. Der Präsident der Journalistengewerkschaft Franz C. Bauer zu den Intentionen:

„Wir wollen darauf hinweisen, dass hier ein Bereich existiert, der momentan so wie jeder andere unter der Krise zu leiden hat, der aber aus der Sicht der Demokratie wahnsinnig wichtig ist. Und wenn Qualitätsjournalismus, wenn Qualitätsmedien verloren gehen, dann geht der Demokratie was ganz wichtiges verloren – nämlich ein Korrektiv. Wobei ich allerdings weiß, dass die sogenannten Mächtigen kein sehr großes Interesse haben, ein effizientes Korrektiv vorgesetzt zu bekommen.“

Die Petition trägt das Datum 5. November 2009. Frage an den Gewerkschafter, welche Reaktion er bis Redaktionsschluss dieser Sendung im Februar 2010 bekommen hat:

„Bis jetzt keine.“




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