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Journalismus in der Krise

Glaubwürdigkeit

Transkription
„Unser Ruf oder unser ganzes Ansehen steht und fällt mit unserer Glaubwürdigkeit.“

Friedrich Orter ist einer der renommiertesten Reporter unseres Landes. Bekannt durch seine fundierten und analytischen Fernsehberichte aus vielen Krisengebieten der Welt, dem Balkan, dem Irak oder Afghanistan etwa. Zusammenhänge aufzuzeigen und aus eigener Anschauung zu schildern, darum geht es ihm. Nicht um die rasche, die oberflächliche Sensationsgier befriedigende Story.

„Gleichzeitig haben wir doch noch als kritische Journalisten, glaube ich, auch jetzt im brutaler werdenden Konkurrenzkampf das zu verkörpern, was man so ein bisschen euphemistisch die „Vierte Gewalt“ nennt. Das wird natürlich immer schwieriger, weil wir uns natürlich bewusst sein müssen, dass wir auch unglaublichen ökonomischen Zwängen ausgesetzt sind. Das gilt nicht nur bei den Privaten, das gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Bereich.“

Friedrich Orter arbeitet seit 35 Jahren für den ORF und weiß daher aus eigener Erfahrung über die enormen Veränderungen in der Medienwelt Bescheid.

„Damals hatten wir wirklich das Monopol, also unser Unternehmen war der Nachrichtenvermittler schlechthin. Inzwischen hat sich nicht nur eine technologische Revolution ereignet, heute ist der Reporter vor Ort live überall mit Hilfe der modernen Technik. Das heißt, er ist doppelt gefordert. Er muss rund um die Uhr bereit sein zu berichten, kommt unter unglaublichen Druck, dass er nicht mehr wirklich recherchieren kann, nicht mehr reflektieren kann. Er muss präsent, er muss live sein. Das ist eine große Herausforderung, weil sie natürlich zur Verflachung der Berichterstattung führt und nicht mehr das, was guten Journalismus eben ausmachen soll: gründlich zu recherchieren, zu analysieren, zu hinterfragen und dann erst eine Schlussfolgerung zu ziehen. Da muss man aber sagen in der Schlacht des Konkurrenzkampfes geht es nur mehr darum, präsent zu sein: Wer als erstes vor Ort ist, vermittelt vermeintlich die wichtigste Nachricht des Tages. Die muss aber nicht stimmen. Und es gibt ja dann genügend Beispiele, wenn man das später analysiert, was da oft für Patzer passieren.“

In ganz Europa ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck geraten. Durch die Konkurrenz von privaten Anbietern, gehen die Marktanteile zurück, die Werbeeinnahmen sinken. Die Wirtschafts- und Finanzkrise trägt zur ökonomischen Misere bei. Vor diesem Hintergrund den Öffentlich-rechtlichen die Existenzberechtigung abzusprechenwäre fatal, meint Otfried Jarren, Ordinarius am Institut für Publizistik und Medienforschung der Universität Zürich.

„Je mehr wir ökonomische Schließungen, Zwänge und Druck haben im privatwirtschaftlichen Bereich, desto mehr wird man sich daran erfreuen können, dass es öffentlichen Rundfunk gibt, der sozusagen die nötige Äquidistanz von Politik, Wirtschaft und zu den Rezipienten halten kann. Das bedeutet aber, dass ein Teil der Medien – und davon bin ich auch überzeugt – der Qualitätsmedien, die ja jetzt auch weniger Werbeeinnahmen haben, stärker zu den Rezipienten rutschen werden. Das heißt, man wird mehr Geld von den Rezipienten verlangen müssen.“

Reinhard Christl, Leiter des Instituts für Journalismus- und Medienmanagement an der Fachhochschule Wien hat soeben gemeinsam mit Daniela Süssenbacher im Falter-Verlag ein Buch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa herausgebracht. Sein Fazit lautet:

„Wir brauchen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist in Europa, in allen modernen Mediendemokratien ein zentrales Element des Mediensystems. Ich glaube, wir brauchen besonders in Österreich einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil wir in Österreich ohnehin sehr wenig Qualitätsjournalismus haben, weil Österreichs Zeitungen, Österreichs Magazine, Österreichs Privatfernsehsender sehr kleine Redaktionen haben. Diese Redaktionen leiden unter chronischer Finanznot und der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Finanzierungsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Gebühren ist in so einem kleinen, wirtschaftlich schwachen Land die einzige Möglichkeit, Qualitätsjournalismus wirklich in ausreichender Form anzubieten.“

„A democracy to be affective it needs to be informed. It also needs to be tuned into what is happening in society.”

Informierte Bürgerinnen und Bürger sind das Rückgrat einer funktionierenden Demokratie, betont James Curran, Leider des Media Research Centers an der Goldsmiths University in London.

„Im Großen und Ganzen sind Länder mit öffentlich-rechtlichen Medienanstalten bestens versorgt. Weil die Bevölkerung über andere gesellschaftliche Gruppen, über relevante Entwicklungen und auch über die Aktivitäten ihrer politischen Vertreter besser informiert ist.“

James Curran stützt sich dabei auf eine Studie, die das Media Research Center vor kurzem in den USA, Großbritannien, Dänemark und Finnland durchgeführt hat. Untersucht wurden die Auswirkungen verschiedener Mediensysteme auf den Wissensstand der jeweiligen Bevölkerung. So setzen die Medien in Finnland und Dänemark sehr auf einen Servicecharakter für die Öffentlichkeit und legen großen Wert auf Nachrichten- und Informationsprogramme.

„Im Gegensatz dazu spielen in den USA Nachrichtenprogramme eine untergeordnete Rolle. Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich mehr auf berühmte Persönlichkeiten, als auf politische Themen. Die Studie hat ergeben, dass dort wo die Medien stark marktwissenschaftlich orientiert sind, anders berichtet wird als in Ländern mit einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Entsprechend unterscheidet sich auch der Wissensstand der Bürger. Die Amerikaner wissen erstaunlich wenig über die eigene und auch über internationale Politik, weil sie so wenig darüber erfahren. Finnen und Dänen schneiden im Vergleich dazu viel besser ab, weil sie von ihren Medien besser versorgt werden. Es ist ja erstaunlich, dass drei Jahre nach der Invasion im Irak 49 Prozent der Amerikaner immer noch glauben, dass dort Massenvernichtungswaffen gefunden wurden.“

Auch Friedrich Orter ist überzeugt, dass er seine fundierte, gründliche Berichterstattung am besten in dem Umfeld machen kann, das ihm sein Sender und auch seine Position dort bietet.

„In dem Ausmaß, wie ich hier im ORF die Möglichkeit habe, habe ich wahrscheinlich nirgendwo, als Freier oder im Privaten. Vielleicht einmal oder zweimal. Denn Sie dürfen ja eines auch nicht vergessen: Es ist ja selbst bei uns schon schwierig, im Zeitalter der Quotendiktatur, so würde ich fast sagen, Themen auch in unserer eigenen Redaktion, also in der Auslandsredaktion des ORF unterzubringen. Weil eben es gemessen wird, wie viele Leute interessiert das noch? Wer schaut zu? Ich glaube man kann immer noch, wenn man es mit genug Engagement – und das ist ja glaube ich das Wichtigste, oder manche sagen dazu Empathie – durchsetzt, Themen vorzuschlagen, von denen man glaub, dass sie doch öffentliches Interesse finden, das man damit durchkommt.“

Auf die demokratiepolitische Aufgabe des Journalismus kommt auch Klaus Unterberger zu sprechen, der im ORF die Abteilung Public Value leitet. Er befasst sich mit dem Aspekt des Gemeinwohls, den der Öffentlich-rechtliche zu erfüllen hat.

„Im letzten Juli wurde in Österreich eine Wertestudie präsentiert, mit einer ganzen Reihe von sehr interessanten Daten. Eine davon war, dass nur mehr 50 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher mit der Art und Weise zufrieden sind, wie hier Demokratie funktioniert. Ich glaube, dass das ein Alarmzeichen für die politische Kultur unseres Landes ist und glaube, dass wirklich jeder aufgerufen ist, das ernst zu nehmen. Und das weist aber auch darauf hin, wie wichtig es ist, dass man eine qualifizierte Öffentlichkeit schafft. Wie wichtig man die Frage der Öffentlichkeit in Österreich nimmt. Die Frage der politischen Kultur. Und damit natürlich auch der Qualität der Kommunikation im Land – das betrifft Private wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“

„Es braucht einen Ort der Unaufgeregtheit. Und es braucht einen Ort, der nicht durch Kommerz und durch Auflagen bestimmten Form der Auseinandersetzung mit öffentlichen Themen getragen wird. Und ich glaube deshalb ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine absolute Notwendigkeit.“

Auch in der Schweiz, dem Eldorado des Qualitätsjournalismus, steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Kostendruck. Das spüren die Redakteure vom werbefreien Kultursender DRS 2, der mit Ö1 vergleichbar ist. Christoph Keller ist Redakteur bei der politischen Hintergrundsendung „Kontext“ in Basel. Für jede Sendung gibt es ein bestimmtes Zeitbudget, das nicht überschritten werden darf. Ein Interview muss also auf Anhieb passen und auch Reflexionszeit gibt es nicht mehr wie früher.

„Wir müssen über unsere Leistungen stündlich abrechnen. Es gibt einen bestimmten, sogenannten „Overhead“, den wir für Sitzungen einsetzen dürfen. Der ist sehr knapp begrenzt. Das heißt, wir können hier mit den Gebührengeldern, die uns ja gewissermaßen am Leben halten, nur sehr zurückhaltend umgehen.“

Stichwort Finanzierung. Das sogenannte „Amsterdamer Protokoll“ von 1997 legt fest, dass der Öffentlich-rechtliche für seine Finanzierung einerseits Gebühren, oder wie in manchen Ländern Steuern einheben darf und andererseits dafür einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten muss. In dem Dokument betont die EU die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft. Öffentlich-rechtliche sind also verpflichtet, ein Programm zu machen, das bestimmten Kriterien entspricht. Zusätzlich müssen sie etwas fürs Gemeinwohl tun, Public Value bieten. Daher brauche die Öffentlich-rechtlichen eine Kultur klarer Unterscheidbarkeit, erklärt Otfried Jarren. Der größte Fehler wäre es, das öffentlich-rechtliche Programm an das der Privaten anzupassen.

„Dieser Anpassungsansatz kann nicht funktionieren in einem Markt, wo man eigentlich differenzieren muss. Denn die Anpassung hat ja zu Folge, dass „war oft he same“, da wird überall das Gleiche dann sein. Da wird man sich fragen: „Ja, warum zahle ich für den ORF-Kanal A oder B, wenn ich das ja woanders auch bekomme?“

Umgekehrt liegt genau in den gesellschaftlich wertvollen Sendungen und Programmen die Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Öffentlich-rechtliche ist eben mehr als ein bloßes Geschäftsmodell, erklärt Klaus Unterberger am Beispiel der Information im ORF.

„Wie Sie wissen hat der ORF insgesamt 26 Korrespondentinnen und Korrespondenten weltweit und da ist es schon erheblich, ob ich hier einen Zugang zu einer Nachrichtenquelle habe auch in fernen Kulturen, oder ob ich das nicht habe und nur ausschließlich auf Agenturmeldungen Vertrauen muss, deren Zuverlässigkeit vielleicht manchmal nicht so klar ist. Das macht einen wirklichen Unterschied, ob ich hier auch aus österreichischer Perspektive Nachrichten und Information einholen kann und die im Übrigen in der gesamten Medienstruktur des ORF letztendlich zur Verfügung stelle – nicht nur in Ö1, dem kulturellen Qualitätsjuwel des ORF, sondern auch in den News-Flashes von ORF eins, selbstverständlich auch in den Nachrichten auf Ö3 und den anderen Nachrichtenquellen, die wir in unserem Portfolio haben.“

Die hohe Qualität der Information im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei unbestritten, meint Reinhard Christl. Er schränkt jedoch kritisch ein:

„Es gibt im ORF mit Sicherheit auch Tendenzen, sich vom Öffentlich-rechtlichen weg zu entwickeln. Der ORF steht natürlich unter dem Zwang, Werbeeinnahmen zu generieren, deswegen muss er auf die Quote schauen, die Quote, die ohnehin im Sinken ist. Und dann gibt’s natürlich Programme, die der ORF für sich als öffentlich-rechtlich definiert. Der ORF sagt ja zum Beispiel, der Musikantenstadl ist ein öffentlich-rechtliches Programm. Das würde ich massiv in Zweifel ziehen. Beim Hörfunk ist mit Sicherheit Ö1 das absolute öffentlich-rechtliche Programm. Was Ö3 betrifft, sagen die privaten Konkurrenten immer, das sei das größte Privatradio Österreichs. Das ist meines Erachtens nicht ganz richtig und nicht ganz falsch. Ö3 hat natürlich sehr viele Elemente eines Privatradios, ist ein klassisches Formatradio wie das eben im fachspezifischen Sprachgebrauch heißt. Allerdings hat Ö3 eben schon auch relativ viele Informationselemente – auch relativ aufwendig und teuer gemachte Nachrichten und kurze Journale – die Sie in einem privaten Radioprogramm normalerweise nirgends finden.“

„Nehmen Sie etwa nur den Anteil der österreichischen Filme, der österreichischen Serien mit Unterstützung des ORF für die österreichische Kinoproduktion. Ja wie viele österreichische Kinoprojekte haben die österreichischen Privatsender schon finanziert? Genau gar keine. Ich denke zum Beispiel, als Unterscheidungsmerkmal herausgegriffen, österreichisches Kinderprogramm im Fernsehen. Die Privaten haben genau Null. Ich glaube, dass da immer wieder – man muss nur hinschauen – ja, auch was den Unterhaltungsbereich betrifft. Da ist es uns ein großes Anliegen immer wieder darauf hinzuweisen, dass Unterhaltung selbstverständlich etwas mit der Gesellschaft zu tun hat. Deswegen finden Sie bei uns im Kultur- und Unterhaltungsauftrag auch Bereiche wie etwa „tschuschen:POWER“ im letzten Jahr. Wie etwa den „Schwarzen Löwen“, wie etwa auch einen Tatort, der etwas mit Gesellschaft, mit dem gesellschaftlichen Leben zu tun hat in Unterhaltungssendungen. Also hier die relevante, österreichische Wirklichkeit nicht nur in der Information, sondern auch im fiktionalen Bereich zu integrieren, darauf Bezug zu nehmen: Das finden Sie als Unterscheidungsmerkmal im ORF.“

Dazu kämen die diversen Online Angebote, wie etwa die TVthek zum Herunterladen von Filmen oder die Download-Möglichkeit von Radiosendungen. Für die Aufrechterhaltung des Qualitätsjournalismus im ORF sei auch die Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten, wie sie das Redakteursstatut gewährleistet, unbedingt notwendig, bringt Klaus Unterberger einen weiteren Aspekt. Und er betont auch, wie wichtig eine soziale Absicherung für den Qualitätsjournalismus sei. Wohlwissend, dass das auch in seinem Unternehmen für viele Freie nicht zutrifft. Das jedoch fällt in einen anderen Zuständigkeitsbereich.

„Ich halte fest, dass ich glaube, dass der Berufsgruppenschutz und dass starke Rechte für Journalistinnen und Journalisten wichtig sind, dass auch eine soziale Absicherung nicht unbedeutend ist und Auswirkungen auf die Qualität des Produktes hat. Das ist meine Meinung, dazu stehe ich auch und die Rechte, Pflichten und auch die soziale Sicherung, die obliegt dann den Organen, dem Redakteursrat und dem Betriebsrat. Da mische ich mich selbstverständlich nicht ein.“

Versuche der Politik, sich ins öffentliche-rechtliche Programm einzumischen und zu Gunsten ihrer Absichten zu intervenieren, seien abzuwehren, pflichtet Otfried Jarren bei. Nicht zuletzt, weil Interventionen die Legitimität in Frage stellen. Die Politik tue sich damit gewiss schwer, doch man müsse ihr immer wieder klar machen, wie wichtig die journalistische Unabhängigkeit sei, so Jarren und bringt ein Beispiel:

„Man kann am Beispiel Italien lernen, wie schnell eine Demokratie abrutschen kann. Zumindest so weit abrutschen kann, dass man sich fragen muss, ist das eigentlich noch klassisch demokratisch? Wo die Checks and Balances nicht mehr stimmen zwischen den Gewalten, das ist dann meines Erachtens ein Rückschritt in der demokratischen Entwicklung. Man muss da sehr sorgsam sein bei Medien- und Kommunikationssystemen, dass man es nicht sozusagen „vermachtet“, sondern dass man es achtet als einen Teil der Checks ans Balances. Ansonsten sind auch Demokratien, sogar in Mitteleuropa, relativ schnell gefährdet.“

In ganz Europa wird bei den Öffentlich-rechtlichen darüber nachgedacht, wie die Finanzierung in Zukunft gesichert werden kann. Denn überall, außer in Skandinavien, schrumpfen die Marktanteile und damit gehen die Werbeeinnahmen zurück. Der ORF hat derzeit noch einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Christl prognostiziert, dass dieser Marktanteil in den nächsten fünf Jahren auf 30 Prozent sinken wird. Und er plädiert für neue Finanzierungsmodelle.

„Der Anteil der Werbeeinnahmen an den Gesamteinnahmen des ORF war noch vor einigen Jahren ungefähr 50 Prozent, momentan sind wir bei 30 Prozent und wir werden in nicht allzu ferner Zukunft bei 20 Prozent oder in dieser Größenordnung sein. Das heißt, man wird sich hier irgendetwas überlegen müssen und ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, eine Finanzierung über Steuern – das ist inzwischen in vielen europäischen Ländern schon der Fall – und dort wo es nicht der Fall ist, wird zumindest diskutiert, ob man nicht von Gebühren auf Steuerfinanzierung umstellt. Ich glaube, dass die Finanzierung aus Steuern durchaus auch zu rechtfertigen wäre, denn wir finanzieren ja auch Krankenhäuser, Schulen und Universitäten aus Steuermitteln und Qualitätsjournalismus dient ja einer Information der Öffentlichkeit und dient der demokratischen Kultur und sollte daher glaube ich auch das Recht haben, aus öffentlichen Mitteln finanziert zu werden.“

Doch über Finanzierungsmodelle zu entscheiden, obliegt der Politik, die darüber auch öffentlich diskutieren müsste, was bislang noch aussteht. Ein heißes Eisen.

„Wir bekommen – und das wird einige überraschen – pro Tag und pro Gebührenzahler, und das ist in der Regel ja eine Person pro Haushalt, 48 Cent. Eine durchschnittliche Tageszeitung kostet bei uns 1,20 Euro bis hin zu zwei Euro. Für 48 Cent bekommen Sie die gesamte Produktpalette des ORF, inklusive Österreich 1, inklusive FM4, inklusive Fernsehen, inklusive Landesstudios, inklusive neun Radioprogramme, inklusive den Kooperationen, die ja auch mit uns zu tun haben wie 3sat, wie ARTE, wie Bayern Alpha und und und.“

Ein Drittel der eingehobenen Gebühren landet gar nicht beim ORF, sondern geht in die Kulturförderung der Bundesländer. Reinhard Christl, der in seinem Buch 14 Thesen zur Zukunft des ORF aufstellt, sieht Handlungsbedarf und meint: Rundfunkgebühren gehörten dem Rundfunk und niemandem sonst. Eine weitere seiner Thesen: Österreich solle sich verstärkt an internationalen Vorbildern orientieren. Als Vorzeigemedium und als großes Vorbild gilt immer wieder die BBC, auch wenn diese ebenso schwere Zeiten hinter sich hat. Bei der BBC hat man jedoch – so scheint es – bereits einen gangbaren Weg in die Zukunft gefunden. Nicht zuletzt durch die intensive Nutzung der neuen Medien. Dies geht auch aus dem Buch „Power without Responsibility“ von James Curran und Jean Seaton hervor. „Press, broadcasting and the internet in Britain“ ist der Untertitel der siebenten Auflage des 1981 erschienenen Medienlehrbuches. Die aktuelle Fassung bezieht nun auch die Geschichte der neuen Medien und ihre Bedeutung für das 21. Jahrhundert mit ein. In einem Kapitel widmen sich die Autoren der Frage, wie die altehrwürdige BBC den Sprung ins Internetzeitalter bewältigt hat. Der Befund des Goldsmiths-Professors für Kommunikation und Medien fällt durchaus positiv aus.

„Die BBC erhält auch deshalb so viel Zustimmung, weil sie die neuen Technologien sehr innovativ nutzt. Dazu gehören nicht nur die erfolgreiche Website sondern auch der iPlayer, mit dem man TV- und Radioprogramme gratis im Netz abrufen kann. Die BBC ermöglicht also den Menschen, durch das Internet einen neuen und effizienteren Zugang zu ihren Inhalten. Anders ausgedrückt: sie hat sich selbst neu erfunden, indem sie mit den neuen Technologien neue Angebote für die Öffentlichkeit geschaffen hat. Dadurch ist sie wieder attraktiv geworden.“

Radio und Fernsehen immer und überall. Bereits Anfang des 21. Jahrhunderts begann die BBC diese Vision umzusetzen und ihre Programminhalte auf den digitalen Plattformen zugänglich zu machen. Eine Strategie, die sich bewährt habe, resümiert James Curran. Doch bei der privatwirtschaftlichen Konkurrenz stößt der Online-Erfolg der BBC auf vehemente Kritik.

„In dieser Auseinandersetzung steht die Öffentlichkeit hinter der BBC. Es ist eine beachtliche Leistung, dass die BBC die letzten drei Jahrzehnte neoliberaler Politik durchgestanden hat. Eine Zeit, in der der Markt als Basis für Effizienz und Bürgernähe betrachtet wurde und der Staat als Quelle für Bürokratie und Ineffizienz. Sie ist sogar gestärkt daraus hervorgegangen. Das war nur möglich, weil das Publikum ihre Angebote schätzt und weil sie unabhängig ist. Wegen der Berichterstattung über den Irak-Krieg geriet die BBC in große Konflikte mit der Regierung, weshalb sogar der Boss der BBC gefeuert wurde. Solange sie ihre Unabhängigkeit bewahrt und es ihr gelingt, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, solange wird sie öffentliche Unterstützung bekommen. Das heißt auch, dass die Politiker sich davor hüten werden, die BBC wirklich anzugreifen.“

In Österreich bräuchten wir zunächst einmal eine breite öffentliche Diskussion unter Beteiligung aller wichtigen Spieler inklusive der Politik über den Wert des Journalismus und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, so das Resümee von Reinhard Christl.

„Es muss also so eine große Debatte sein, wo alle, die da irgendwie eine Rolle spielen, sich einig sind und das auch versuchen öffentlich klar zu machen, dass hochwertiger Journalismus etwas ist, was eine Gesellschaft braucht, denn wenn es diesen hochwertigen Journalismus nicht gibt, dann ist eine Gesellschaft nicht informiert und dann ist das schlecht für die Demokratie und dann ist das der ganzen Gesellschaft und dem ganzen Gemeinwesen schädlich.“

Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich an einer konstruktiven Diskussion zu beteiligen.




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