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© ORF/Altes Geld
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Wie der Würstelfreitag entstanden ist

Public Value Bericht 2015/16: Mag.a (FH) Karin Haager – Kogründerin von Flimmit



Als wir im Herbst 2008 zu viert unser erstes Start-up-Büro eröffneten, war sofort klar, dass wir mittags selbst für unser leibliches Wohl sorgen wollten. Doch wer kochte am fünften Tag der Woche? Schnell war der Würstelfreitag erfunden. Es gibt ihn bis heute als Jour fixe mit Open House für kreative Termine vor, während und nach dem Essen. Bekannterweise ist es vom leiblichen Wohl nicht weit zum seelischen – Filme übers Internet schauen? Das musst du sehen!

Ambitioniert, neugierig entschlossen und mit Erfahrung aus den Bereichen Technik und Film waren Förderer die ersten, die Ihre Türen öffneten, und wir bekamen 2008 die erste Förderung für die »experimentelle Entwicklung« der Flimmit Video-on-Demand-Plattform von der Austria Wirtschaftsservice GmbH (BM für Wirtschaft) zugesprochen. In den Jahren darauf kam weitere Unterstützung aus der EU (Creative Europe), der FFG (BM für Innovation & Technologie), departure (Stadt Wien) sowie dem Österreichischen Filminstitut (BM Kultur). Diese Gelder hatten wir auch dringend nötig, weil zu diesem Zeitpunkt neben der bewährten »fff-Gruppe« (friends, fools and family) Förderungen für Internetgeschäfte die einzige Möglichkeit einer Kofinanzierung darstellten. Alles war ein Experiment: 2008 gab es in Europa gerade eine Handvoll Video-on-Demand-Anbieter, es existierten noch keine technischen Standards, die mussten wir erst selber entwickeln. Die Filminhaber waren noch unerfahren mit unserem Metier und hatten große Angst vor dem »Napster«Effekt der Musikbranche. Start-up-Fonds waren selber erst in der Start-up-Phase und mit der Vermittlung von Kulturgütern überfordert.

Kurzum: Wir waren viel zu früh dran. Dennoch waren diese Herausforderungen ausschlaggebend für unser heutiges Produkt. Unsere Systeme waren damals aus der Not heraus schon so flexibel und effizient aufgebaut, dass wir sowohl das Hauptprodukt Video-on-Demand als auch unsere Nebenprodukte, wie z. B. eine »Filmsuche«, die heute namhafte Medienvertreter nutzen, stetig am neuesten Stand der Technologie anbieten konnten. Wir waren so »Early Adopters«, dass wir auf Samsung Österreich als einer der ersten Video-Anbieter unsere TV-App starteten.

Von manchen liebevoll »das am längsten überlebende Start-up« genannt, trugen wir maßgeblich zur Entwicklung der Video-on-Demand-Technologie bei und wussten, dass 2014 und 2015 die entscheidenden Jahre werden würden. Mit dem veränderten Konsumverhalten (z. B. Bingewatching) auch neuer Sehergenerationen entwickelten sich neue Formate und die Medienhäuser öffneten sich für uns. Und so war die Beteiligung von ORS comm und ORF Enterprise, den kommerziellen Tochterfirmen des größten österreichischen Medienunternehmens ORF, ein logischer und sinnvoller Schritt in eine gemeinsame innovative Zukunft.

Die Zielsetzung liegt nahe: Flimmit war niemals nur ein Filmeverkäufer, gemeinsam mit unseren Stakeholdern war es unser Ziel, eine digitale Strategie für den Österreichischen und Europäischen Film am deutschsprachigen Markt erfolgreich umzusetzen. Um die Produkte der Filminhaber nachhaltig anzubieten, entstehen auf unserer Plattform wöchentlich Kollektionen, die bekannte Titel mit weniger bekannten thematisch ergänzen. Wichtig ist uns auch der legale Zugang zu lokalen Inhalten. Jegliches »Hast du das gesehen?« soll bei Flimmit langfristig mit Ja beantwortet werden können. Mit Hochdruck wird an der Klärung der komplizierten Rechtesituation von Archiv-Beständen gearbeitet, weil dieses Hindernis für unsere Kundinnen und Kunden zum Teil undurchschaubar ist. Da sind erste Errungenschaften Balsam für die Seele. Gemeinsam mit dem ORF haben wir zum letztjährigen »60 Jahre Fernsehen«-Jubiläum »Great Moments« eine Archiv-Kollektion aus sechs Jahrzehnten Serien ins Leben gerufen. Serien wie »Der Sonne entgegen«, »Der Leihopa« oder »Wenn das die Nachbarn wüssten« sind teilweise nur mehr auf Flimmit erhältlich. Gleichzeitig arbeiten wir seit Jahren mit verschiedenen Kooperationspartnern. Wir setzen Schwerpunkte mit »Online«-Festivals wie dem MyFrenchFilmFestival, das jährlich ausgewählte französische Filme in der ganzen Welt gleichzeitig online auswertet, oder kooperieren nun erstmals mit der Diagonale, wo ein »Flimmit-Preis« die Kurzfilmemacher und damit den Nachwuchs fördern soll.

Der österreichische Film hat auf Flimmit einen festen Platz, sei es die Hoanzl-Edition »Der österreichische Film« oder der experimentelle Film des österreichischen Vertriebs sixpackfilm, wo unter anderem Virgil Widrichs Oscar-prämierter Kurzfilm »Copy Shop« vertreten ist. Amerikanische VoD-Anbieter wie Netflix und Amazon sorgen aktuell für mediales Aufsehen, da sie nun auch Produzenten werden, die ihre Serien vorab nur online zeigen. Die Vorabauswertung der ORF-eins-Serie »Altes Geld« sowie der »Landkrimis« und aktuell die zweite Staffel der »Vorstadtweiber« zeugen davon, dass wir am Puls der Zeit sind.

Und heute? Flimmit ist stetig gewachsen und heute ein 15-köpfiges Team, das ambitionierter und effizienter nicht sein könnte. Gleichzeitig sind VoD-Plattformen in aller Munde und relevant wie nie. »Cord-Cutters« sind in Amerika bittere Realität, bis zu 15 Prozent der Haushalte kündigten bereits Ihren Kabelzugang. Die »Cord-Nevers«, jene großteils junge Zielgruppe, die niemals einen Kabelzugang hatte, wird in den USA bereits mit 9 Prozent bemessen. Im Medienbudget eines Haushaltes ist durch die verträglichen Abo-Preise der verschiedenen VoD-Anbieter sogar Platz für mehrere Angebote nebeneinander. Lineare Medienanbieter öffnen sich mehr und mehr, denn sie haben festgestellt, dass lineares TV und Video-on-Demand einander bei Weitem nicht kannibalisieren, sondern ergänzen und somit einen Mehrwert für die Konsumentin und den Konsumenten bieten. Mit unserem bisher einzigartigen Beteiligungsansatz sind wir europaweit ein »Best Practice«-Beispiel, denn es gibt viele kleine Länder, die auch an einer digitalen Kulturstrategie arbeiten. Doch für uns immer noch am spannendsten: Flimmit kann in den nächsten Jahren viele innovative Ideen ausprobieren und aus den Ergebnissen Rückschlüsse ziehen, die letztendlich das beste inhaltliche und technische Produkt für jede/n einzelne/n Seher/in im deutschsprachigen Raum erzielen werden.

Vor dem großen Launch im März 2015 wurden wir von den ORF-Direktoren mit einem Begriff identifiziert, der passender nicht sein könnte: Feinkostladen. Flimmit ist DER Feinkostladen für österreichische und europäische Inhalte. Und was gab’s zur Launch-Feier? Richtig. Würstel. Ausnahmsweise nicht an einem Freitag!

Die Autorin
Karin Haager ist Mitbegründerin und CFO der Video-on-Demand-Plattform Flimmit.


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