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Trau ! Schau ! Wem ? In Zeiten des globalen Jahrmarkts ist Vertrauen die wichtigste Währung

Mag. Markus L. Blömeke, FH Joanneum


Herr Houghton, eine Zeitung und die Glaskugel

Die Zeitung war noch ein junges Medium an diesem Mittwoch, den 14. Mai 1692, als der Londoner Verleger John Houghton, ein weitgehend vergessener Visionär seiner Zeit, seine Idee in die Tat umsetzte.
Houghton war Herausgeber einer Qualitäts-Wochenzeitung mit dem sperrigen Titel»A collection for improvement of husbandry and trade«, zu Deutsch etwa »Eine Schrift für den Fortschritt in Landwirtschaft und Handel«, und damit war er Herausgeber von so etwas wie einem Prototyp der deutschen »WirtschaftsWoche«. Und an eben diesem 14. Mai 1692 führte Houghton ein neues Element mit der Aura des Offiziellen in den Journalismus ein: Spekulation.
An diesem Tag nämlich veröffentlichte Houghton – so sagen es Historiker, und wir müssen ihnen da vertrauen – die erste Wettervorhersage im westlichen Journalismus. Bis dahin hatten sich Zeitungen zumeist wenigstens dem Anschein nach darauf beschränkt, Faktisches zu berichten – darunter, ganz wie bei heutigen Boulevard-zeitungen, Geschichten über Monster und Missbildungen, vermeintliche Kometeneinschläge und dergleichen mehr; nicht immer glaubwürdig, aber immerhin angeblich reportierend.

Nun also Wettervorhersagen

Die Wettervorhersage als Paradebeispiel für eine Kernprämisse einer funktionierenden Produzenten-Rezipienten-Beziehung

Man mag die Wettervorhersage als solche heute als etwas zutiefst Profanes begreifen, da sie auf technischen Verfahren fußt und ihr Nutzen stets ein kurzfristiger zu sein scheint, und dennoch sind die Mechanismen, die sich an ihre Verkündigung anschließen, wissenschaftlich hochinteressant, läuft doch hier lehrbuchhaft ein Prozess ab, der ohne die wichtigste Währung eines Medienunternehmens sofort zu Ende wäre. Die Rede ist von Vertrauen.
Der Rezipient1 – Online-Redaktionen bezeichnen ihn gern als »User«, was immer ein wenig despektierlich klingt – sieht die Wettervorhersage im Fernsehen meist vorgetragen von einem vergeistigt aussehenden Meteorologen; ein Beitrag, den theoretisch immer genauso gut der Moderator leisten könnte. Der Rezipient folgt ihr häufig selbst dann, wenn sie zwecks Generierung zusätzlicher Werbeeinnahmen recht unfreundlich von der eigentlichen Nachrichtensendung abgeschnitten und einem Werbespot für Hustensaft nachgeordnet worden ist. Und in erstaunlich vielen Fällen richtet nun der Rezipient am eben Gesehenen und Gehörten sein Verhalten aus, legt eine dickere Jacke für den nächsten Tag heraus, stellt einen lang geplanten Badeausflug in Frage, warnt seinen Erntehelfer vor; lässt Winterreifen aufziehen; stellt den Wecker so, dass er früher aufwacht als sonst. Warum tut er das? Weil er dem vergeistigt aussehenden Meteorologen vertraut, dem eingeblendeten Diplom, das für dessen Kompetenz bürgt, und auch dem zumeist modisch bedenklichen, aber bürokratisch wirkenden und damit ironischerweise Vertrauen einflößenden Anzug. Und weil er, ohne freilich bewusst darüber zu reflektieren, dem Sender vertraut, der eben diesen Meteorologen eingestellt hat – dahingehend etwa, dass der Sender sich davon überzeugt hat, dass das Diplom des Meteorologen echt ist, dass letzterer bei der Verkündigung der Wettervorhersage klar bei Verstand sein werde etc. pp. Noch davor muss der Rezipient dem Wetterdienst vertrauen, einem für ihn unbekannten, abstrakten Gebilde, von dem er häufig nicht einmal weiß, wo es überhaupt seinen Sitz hat. Wir erinnern uns: Jahrzehntelang leitete die Tagesschau zum Wetter mit den Worten »Aus Frankfurt nun die Wettervorhersage« über, was dabei keineswegs ein Hinweis auf den Sitz des Deutschen Wetterdienstes war (der nämlich saß schon immer in Offenbach am Main), sondern vielmehr die für das Wetter zuständige Redaktion des Hessischen Rundfunks ansprach, die eben in Frankfurt am Main saß. So kann man sich irren.

»Public Value«: ein marktökonomischer Terminus auf dem Fundament des Naturrechts

Die Diskussion über »Public Value« ist nur scheinbar neu. Tatsächlich ist sie so alt wie die Diskussion über die Funktion des Staates und das Verhältnis zu seinem Bürger. Man muss nicht den Kontraktualismus bemühen, damit klar ist, dass der Bürger im Gegenzug für die Abgabe elementarer Rechte an den Staat bestimmte Gegenleistungen einfordert, einfordern kann. Der Hinweis »Public Value« ist der moderne, aus dem Vokabular von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre konstruierte Verweis auf Güter, deren monetärer Wert schwer zu quantifizieren ist, wenngleich ihr Vorhandensein erst das Leben des Bürgers lebenswert macht. Saubere Luft ist solch ein »Public Value«, Rede- und Reisefreiheit sind es ebenso. Hinzu kommen abstraktere Güter, deren Wert an den zivilisierteren Orten der Welt längst anerkannt ist. Es waren die Vereinten Nationen, die bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert – und damit viel früher als Mark H. Moore oder die BBC – einen wesentlichen »Public Value« benannten: »Freedom from fear«, das Grundreht auf ein Leben ohne Angst, wurde von den Vereinten Nationen 1948 in der UN-Menschenrechtsdeklaration in den Rang eines schützenswerten Gutes erhoben, womit die Generalversammlung unter anderem der naturrechtlichen Argumentation folgte, die der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika zugrunde liegt. Dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk zwingend der Sphäre des »Public Value« zuzuordnen ist, ist im Zeitalter der Informationsgesellschaften evident; wie hoch dieser Wert anzusetzen ist, hängt indes ganz wesentlich von dem Vertrauen ab, das er bei denen besitzt, die ihn finanzieren.

Vertrauen als Konstitutiv moderner Gesellschaften

Moderne Gesellschaftssysteme – diktatorische fallen eindeutig nicht darunter – basieren fast ausnahmslos auf dem Prinzip von Vertrauensvorschuss und Vertrauenserfüllung. Unser gesamtes Wirtschaftssystem basiert bekanntlich auf etwas, das eigentlich überhaupt keinen Wert hat, nämlich Geld. Ein Hundert-Euro-Schein kostet in der Produktion maximal 16 Cent; die Vorstellung, dass der Schein ohne den Tauschwert des Geldes zu kaum mehr als zum Heizen taugt, ist für ältere Menschen nicht neu. Keine Währung ohne Vertrauen; in der Postmoderne stellt erst Vertrauen einen Wert abstrakter Güter her.

Öffentlich-rechtliche Sender als Konstitutiv der Marktwirtschaft

Reduktionistisch betrachtet, befinden sich öffentlich-rechtliche Sender im 21. Jahrhundert in einer ausgesprochen günstigen Ausgangsposition. Es kann ihnen nicht qua Konstruktion unterstellt werden, dass sie Privatinteressen von Verlegern verfolgen. Ihre Grundstrukturen sind – ebenfalls reduktionistisch betrachtet – fast immer transparent und klar. Ihre Rezipienten erwerben dank der Gebühr ein Recht auf Mitbestimmung und Gehör. Die grundsätzliche Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Sender von ökonomischen Partikularinteressen ermöglicht journalistische Unabhängigkeit, was wiederum Faktizität ebenso ermöglichen kann wie das Aufzeigen von Missständen und Manipulationen.Eben diese journalistische Unabhängigkeit ist nicht nur ein Grundpfeiler einer offenen demokratischen Gesellschaft. Sie ermöglicht auch dem Bürger erst die Teilnahme am Markt auf Basis rationaler, faktenbegründeter Entscheidungen und ist damit Grundvoraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft. Vertrauen und ökonomische Tauschgeschäfte am Beispiel der Sendung »Konkret«

Ein Beispiel für eine Sendung, die dazu beiträgt, dass ein freier Markt ermöglicht wird, ist das Verbrauchermagazin »Konkret« des Österreichischen Rundfunks (ORF). Diese Sendung, die bescheiden als »Servicemagazin« gelabelt ist, verfolgt mit in Österreich ungewohnter Unerbittlichkeit von ihr festgestellte Versuche, Verbraucher über die Qualität von Waren und Dienstleistungen hinwegzutäuschen. Die »Konkret«-Redaktion arbeitet dabei mit einer ganz wesentlichen Induktion: dass nämlich Informationen über Güter und Dienstleistungen des täglichen Gebrauchs entscheidungserheblich für das Agieren des Konsumenten am Markt, für seinen Umgang mit dem knappen Gut »Geld« und damit für sein Wohlbefinden sind. Aus programmstrategischer Sicht könnte man dabei nicht ernsthaft behaupten, dass sich diese Sendung in einem günstigen Marktumfeld bewegen würde. Tatsächlich ist in wenigen Segmenten die Konkurrenz größer als in dem der Verbraucherinformation. Die Sendung konkurriert mit zahllosen Zeitschriften, Zeitungsartikeln, Weblgs, von PR-Agenturen vollgeschriebenen Bewertungsportalen wie auch mit unzähligen Sendungen anderer Sender, die Ähnliches versprechen. Dass sie sich dennoch tagtäglich wieder am Medienmarkt behaupten kann, dürfte wesentlich auf zwei Faktoren zurückzuführen sein: zum einen darauf, dass der Sendung die Ernsthaftigkeit, mit der sie produziert wird, ebenso deutlich anzumerken ist wie der Enthusiasmus, mit dem die Macher der Sendung ihr Produkt gestalten; zum anderen darauf, dass der Verbraucher eben aufgrund der oben genannten Unerbittlichkeit der Redaktion eine Unabhängigkeit derselbigen annehmen darf und aufgrund der dadurch entstehenden Vertrauensbasis bereit ist, eine weitere bei ihm knappe Ressource – nämlich Zeit – in die regelmäßige Rezeption der Sendung zu investieren.

Wissenschaft und Praxis

Versuche, die angestrebte Vertrauensbasis zwischen Sendern und Rezipienten herzustellen, konzentrieren sich häufig auf klassische journalistische Parameter, insbesondere auf Faktizität, auf die im reinen News-Journalismus angestrebte Neutralität und auf die Produktionsgeschwindigkeit.
Allein hierüber ein ganz besonders starkes Vertrauen des Rezipienten zum Sender herstellen zu wollen, hieße allerdings, auf ein ganzes Bündel zusätzlicher Möglichkeiten zu verzichten. Interdisziplinäre Betrachtungsweisen ermöglichen problemlos die Identifikation einer Reihe von Ansatzpunkten, an denen mit einem vergleichsweise geringen Aufwand eine beträchtliche Hebelwirkung erzielt werden kann. Auf drei von ihnen sei im Folgenden exemplarisch verwiesen.

Vertrauensbildung I: Aufmerksamkeitsakquise durch Programminformationen

Die meisten Fernsehsender investieren erhebliche Mengen an Arbeit und Kapital in klassische Programmpromotionen verschiedenster Art. Zugleich werden wesentliche moderne Instrumente der Zuschauergewinnung und -bindung häufig noch vernachlässigt. Ein typisches Beispiel hierfür ist der weitverbreitete Umgang mit dem Programmbegleitangebot »Electronic Program Guide«2 (EPG). In technikaffinen Haushalten hat der EPG schon jetzt völlig neue Rezeptionsschemata hervorgebracht, was wenig verwundert, ermöglicht er doch einen schnellen Überblick ebenso wie die komfortable Vorab-Programmierung von Festplattenrekordern zwecks zeitversetzten Sehens. Ganze Haushalte schauen schon heute fast nur noch aufgezeichnete Sendungen; ein Grund, warum die Arbeitsgemeinschaft Teletest mit Beginn des Jahres 2010 die Messung der zeitversetzten Fernsehnutzung in die Quoten-Auswertung einzubeziehen begonnen hat. Das hierfür verwendete neue System »TV Score« ermöglicht dabei – der GfK sei dank – überdies die Messung der Nutzung von EPG-Daten.
Bereits 1997 hat Christian Breunig eine erhebliche Bedeutung von modernen Programmleitsystemen im digitalen Rundfunkmarkt der Zukunft prognostiziert und dabei explizit auf den EPG hingewiesen.3 Zehn Jahre später musste sich Birgit Stark dann schon mit der Frage auseinandersetzen, ob mit dem EPG nicht ein neuer Gatekeeper entstanden war;4  eine Frage, die man mittlerweile mindestens für einen bestimmten Zuschauertypus ganz klar mit »ja« beantworten kann.
Und obwohl die wissenschaftliche Forschung mit derartigen Erkenntnissen geradezu hausieren geht, finden sich bei einer Reihe von Fernsehsendern in Deutschland wie in Österreich noch immer die klassischen EPG-Todsünden, die dafür verantwortlich sein können, dass der Zuschauer eine Rezeption ganzer Sendungen nicht einmal in Erwägung zieht. Da fehlen bei Diskussionssendungen jegliche Hinweise auf das Thema der aktuellen Sendung. Da fehlen im Spielfilm-Bereich jegliche Hinweise auf die schauspielerische Besetzung, obwohl diese bekanntlich wesentliche Selling-Argumente liefern kann. Und manchmal fehlt gleich die komplette Beschreibung der Sendung, was allerdings immer noch besser erscheint, als wenn durch Verwendung höchst bedenklicher Rechtschreibung und Grammatik zumindest das Vertrauen all jener Zuschauer in den Sender erschüttert wird, die sich halbwegs solider Sprachkenntnisse erfreuen.
Eine These, die aus dieser Beobachtung abgeleitet werden kann, lautet: Die saubere Information über das eigene Programm ist der erste Schritt in der Aufmerksamkeitsakquise; er sollte allen anderen Schritten vorausgehen.

Vertrauensbildung II: Hebung des Produktionsniveaus

Evident ist, dass die technische Qualität des Produzierten ausschlaggebend für die gefühlte Glaubwürdigkeit des jeweiligen Produkts sein kann, dass damit technische Qualität ein Pull- wie ein Push-Faktor, schlimmstenfalls ein Knock-out-Faktor sein kann. Programmvergleiche machen erstaunlicherweise immer wieder sichtbar, dass bei in wesentlichen Bereichen äquivalenter technischer Ausstattung das Produktionsniveau verschiedener Sender z. T. erhebliche Unterschiede aufweist. Einige Sender senden – offenbar ganz ohne Bedenken – Material, das bei anderen Sendern sofort als technisch nicht sendefähig aussortiert würde. Beispielhaft genannt seien hier die immer wieder zu sehenden Bilder, die scheinbar mikrolokale Erdbeben unter Festspielhäusern europäischer Metropolen zeigen, die sich in starkem Bildzittern niederschlagen.

Die flächendeckende Einführung von HDTV nach Jahrzehnten intensiver Forschung bietet Chancen auf eine neuerliche Positionierung von TV als Premium-Medium und führt in diesem Zusammenhang zugleich  enormen neuen Herausforderungen. Denn der Aufrüstung bürgerlicher Wohnzimmer zu Heimkinos und Multimediazentralen steht ein Einsparungszwang bei vielen Sendern gegenüber, der sich häufig in Rückschritten bei Bild- und Tonqualität, bei Beleuchtung, Maske und Regie niederschlägt.
Es ist naheliegend, dass der Umgang mit technischen Defiziten häufig abhängig von den Ressourcen ist, die für die Aus- und Weiterbildung von Produktions- wie Redaktionsbeteiligten zur Verfügung stehen. Ohne bestmögliche Aus- und Weiterbildung ist jedoch ein bestmögliches Produktionsniveau schwer zu erreichen.

Vertrauensbildung III: Selbstvertrauen

Nahezu jeder Mitarbeiter gebührenfinanzierter Sender kennt diese Situation: Während einer Familienfeier oder einer anderen Festivität kommt die Diskussion auf den Sender, bei der der Mitarbeiter arbeitet; dann folgt eine mehr oder weniger qualifizierte, zumeist sehr generelle Programmkritik und schließlich kalkulierbar die Frage: »Was macht Ihr eigentlich mit dem ganzen Geld?« In dieser Situation ist der Mitarbeiter Repräsentant des Senders; dass er auf diese Frage eine sinnvolle Antwort geben kann, ist schon aufgrund der zu erwartenden Multiplikatoreneffekte (»Ich kenn’ jemanden, der bei dem Sender arbeitet, der sagt ... «) von unschätzbarer Bedeutung.

Ein weiterer Aspekt ist schwerer zu fassen und liegt – wohl eben daher – noch weitgehend außerhalb des Fokusses der wissenschaftlichen Forschung: Die Rede ist von der Frage, ob die Programmverantwortlichen an das Produkt, das sie selbst produzieren, glauben.
Dass der Glaube Berge versetzen kann, ist ein Gemeinplatz; dass aber der Glaube des Produzenten an das eigene Produkt lang- bis mittelfristig eine Conditio sine qua non für den Erfolg beim Rezipienten ist, wird meist wenig beachtet. Dabei ist selbst ohne Rizzolattis Spiegelneuronen und das reversive Modell der Simulationstheorie evident, dass der Glaube des Senders an sich und seine Botschaft und das Vertrauen des Empfängers in die Glaubwürdigkeit des Senders zwingend zusammengehören.
Die ritualisierten, gleichwohl oft als schmerzhaft empfundenen Angriffe auf öffentlich-rechtliche Sender und auf das öffentlich-rechtliche System als solches, die in erwartbaren Wellen kommen, führen gelegentlich dazu, dass diejenigen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst mit Leben erfüllen, routinemäßig aus einer Verteidigungsposition heraus argumentieren, wo sie als Wahrer eines wichtigen öffentlichen Gutes mehr als selbstsicher auftreten könnten. Mit den Worten des Politikwissenschaftlers gesprochen: Die regelmäßige Überprüfung des Institutionenvertrauens sollte mit einem Vertrauen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkinstitutionen in sich selbst einhergehen.

Zwar scheint genau das gelegentlich schwierig in Zeiten technologischer Innovationen, in denen neue mediale Biotope entstehen. Doch ist es de facto nicht schwer, die Orientierung zu behalten. Denn die klassische journalistische Recherchefrage »Cui bono?« ist auch anwendbar, wenn es darum geht, zu hinterfragen, warum etwa Blogger mit wenigen Dutzend Lesern am Tag ein Ende des Journalismus, ein Ende des öffentlich-rechtlichen Systems heraufbeschwören.5 Gewarnt sei vor all jenen, die mit bescheidener, manchmal gar mit überhaupt nicht vorhandener wissenschaftlicher Grundlage allein auf dem Behauptungswege den Eindruck erwecken, allein zu wissen, wie die Zukunft aussehen wird. »Das Fernsehen, so wie wir es kennen, ist in spätestens fünf Jahren tot!«6 Das schrieb der kommerziell hocherfolgreiche VJ-Trainer Michael Rosenblum im Jahre 2003 – vor sieben Jahren. Im Jahre 2009 – der Tod des Fernsehens, wie wir es kennen, war schon seit einem Jahr überfällig – ließ er sicherheitshalber wieder eine ganzes, wenngleich kleineres journalistisches Segment sterben und verkündete: »TV-Lokalnachrichten sind tot«7. Lokalsender in aller Welt sendeten trotzig weiter, worauf sich Rosenblum einem neuen vermeintlichen Todeskandidaten widmete: »Network News is Dead« 8, lautete Anfang 2010 die vorerst letzte Todesanzeige aus Rosenblums Bestattungsunternehmen.

Aus Angst vor dem eigenen Tode zu sterben, ist sicherlich eine wenig sinnvolle Idee. Wer stets den Marktschreiern des internationalen Beratungsgeschäfts hinterherlaufen will, geht ein hohes Risiko ein – und kauft dabei vielleicht für viel Geld den Verlust seines Selbstvertrauens ein. Luhmanns Analyse, derzufolge Vertrauen ein »Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität«9 sei, der eine »riskante Vorleistung«10  erfordere, erweist sich in diesem Zusammenhang als äußerst zutreffend; zugleich kann sie umgestellt und angewendet werden wie folgt:
Wer als Medienmacher kein absolutes Vertrauen herstellt, geht ein zu großes Risiko ein. Selbstvertrauen ist dabei ein Schlüssel; nur wer sich selbst traut, dem wird auch vertraut.

Schlussüberlegung

Wenn öffentlich-rechtlicher Rundfunk ein »Public Value« wie saubere Luft und sauberes Wasser ist, dann wird klar, was sein Problem ist: Sein Fehlen würde erst vermisst, wenn er nicht mehr da wäre. Daraus ergibt sich, dass öffentlich-rechtliche Sender nicht nur über ihr mögliches Fehlen, sondern auch über ihr Vorhandensein sprechen müssen und ebenso viel ihrer Kraft in das offensive Vermarkten ihrer Stärken investieren müssen wie in den Erhalt ihrer Verteidigungslinien.

Zum Wetter.

Das Jahr 1692, soviel geben die Archive her, war übrigens ein kaltes Jahr mit einem regnerischen Sommer. Das sagt Joan Self vom »Met Office«, dem staatseigenen Wetterdienst des Vereinigten Königreichs. Wir sind geneigt, der Dame zu vertrauen. Vor der Sendung würden wir ihre Angaben dennoch überprüfen.

1    Hier und im Folgenden sind stets beiderlei Geschlecht gemeint.
2    Dt.: »Elektronischer Programmführer«.
3    Vgl. Christian Breunig: Von der Programmzeitschrift zum TV-Guide: Neue Orientierungshilfen durch Videotext und Internet. In: Media Perspektiven 8 / 1997, S. 442 – 455.
4    Vgl. Birgit Stark: Programmauswahl in digitalen Fernsehwelten: Der EPG als Gatekeeper? Ergebnisse einer Nutzerbefragung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 2 / 2007, S. 223 – 246.
5    Dies stets die Tatsache berücksichtigend, dass die alleinige Argumentation mittels Cui-Bono-Prinzip auch zum Fehlschluss »cum hoc ergo propter hoc« führen kann.
6    Rosenblum, Michael und Zalbertus, Andre: Videojournalismus: Die digitale Revolution. Berlin: Uni-Edition 2003. Klappentext.
7    Interview Mark Joyella mit Michael Rosenblum, http://www.vimeo.com/7768268?pg=embed&sec=7768268. Eingesehen am 3. 5. 2010.
8    Michael Rosenblum: Why Network News is Dead. In: RosenblumTV, 26. 2. 2010, 21.35 Uhr. http://www.rosenblumtv.com/?p=4423. Eingesehen am 3. 2. 2010.
9    Vgl. Luhmann, Niklas: Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: UTB Verlag, 4. Auflage 2000. 1. Aufl. 1968.
10    Ebd., S. 27.


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