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Identität und Medien

Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien


„Identität“ ist ein zentraler Begriff und ein dominantes Forschungsthema der Geisteswissenschaften. Dabei ist für die Zeit ab dem späten 18. Jahrhundert vor allem die Frage der nationalen Identitätsfindung, die Ausbildung eines modernen Nationalismus ein Leitthema der historischen Beschäftigung mit dem sogenannten langen 19. Jahrhundert, das von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges angesetzt wird.

Dass nationale Identität nicht von der Natur vorgegeben ist, darüber sind sich die meisten Historikerinnen und Historiker einig, wenn auch die Frage, inwiefern die Nationsbildung schon im Mittelalter entstanden ist oder ob diese moderne Solidargemeinschaft nicht in ihrer Entwicklung mit der bürgerlichen Gesellschaft korreliert, heftig diskutiert wird.

Die Entwicklung in Österreich hat zu all diesen Schwierigkeiten der Definition auch noch ein zusätzliches Problem, das in der Geschichte der Staatswerdung liegt. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie, in dem sich die Deutschsprachigen der Monarchie als „Deutsche“ definierten, trat mit der Ausrufung der Republik „Deutsch-Österreich“ am 21. November 1918 ein Staat an, dessen Ziel zunächst in einem Aufgehen in einem größeren deutschen Staat („Anschluss“) gesehen wurde.

Versuche in der Ersten Republik, die Eigenständigkeit identitätsstiftend zu begründen, fehlen zwar nicht, waren aber letztlich nicht sehr erfolgreich. Die Anknüpfung an die große kulturelle Vergangenheit – Haydn, Mozart, Schubert – und die Betonung des Katholizismus in Abgrenzung zum letztlich protestantisch geprägten deutschen Staat waren eine wenig tragfähige Basis für ein erfolgversprechendes  Identitätskonstrukt.

Erst nach dem realen Anschluss 1938 und der nationalsozialistischen Herrschaft begann man nach 1945 eine andere Identität zu konstruieren, die oft mit dem Begriff der „österreichischen Nation“ bezeichnet wird.

In diesem Prozess der Kreation einer „imagined community“ (Benedict Anderson) waren Medien immer schon ein wichtiges Mittel der Verbreitung und Durchsetzung dieser Ideen. Dies gilt nicht nur für nationale Gruppen: Was wäre die Identität der Protestanten ohne die Flugschriften der Frühen Neuzeit, was wäre der österreichische Liberalismus des Bürgertums ohne Zeitungen wie die Neue Freie Presse, die Presse oder das Neue Wiener Tagblatt? Auch die politischen Solidarverbände konstruieren ihre Identität über die entsprechenden Medien, man könnte fragen, wo die Arbeiterbewegung ohne die Arbeiterzeitung, die Christlichsozialen ohne die Reichspost und der Nationalsozialismus ohne das neue Medium des Rundfunks geblieben wären.

Bei der Konstruktion einer österreichischen Identität nach 1945 kam neben den günstigen Rahmenbedingungen – schlechte Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Anschluss, Erstarken des Staates im Wiederaufbau, steigender Lebensstandard und politische und soziale Stabilität im System der Sozialpartnerschaft, Staatsvertrag – der Arbeit der Medien erhebliche Bedeutung zu. Zum Rundfunk, dessen Netz nach 1945 erheblich ausgebaut wurde und der auch anfänglich nicht frei war vom Einfluss der Besatzungsmächte, traten Film und Fernsehen in zunehmendem Ausmaß als Meinungsmacher auf.

Die konstituierenden Elemente des Identitätskonstrukts österreichischer Staatlichkeit und  Eigenständigkeit wurden verpackt in Filme und Fernsehprogramme, die die Schönheit der Landschaft und die Vielfalt der Kultur priesen – so eine Fernsehserie, die sicherlich nicht nur meine Generation prägte, war der „Fenstergucker“, der genau in diese Schiene des Konstrukts der „schönen Heimat“ Österreich passte.

Auch die Vermittlung kultureller und sportlicher Großereignisse, deren Hintergrund ebenfalls die  Stärkung des Gemeinschaftsgefühls war, erfolgte medial, von der Übertragung des Neujahrskonzerts bis zu den Triumphen der alpinen Skifahrer von Toni Sailer über Karl Schranz und Annemarie Pröll bis zu Hermann Maier.

Dass die Wiederholung des berühmtes Tores zum 3:2 in Cordoba – für viele ein wesentliches Element österreichischer Identität im Sieg gegen den „großen Bruder“ – in allen Medien ein Dauerbrenner war und ist, hat man gerade bei der Fußballweltmeisterschaft 2010, an der Österreich gar nicht beteiligt war,  deutlich gemerkt.

Neben dem Rückgriff auf die Naturschönheiten des Landes, die großen kulturellen Leistungen der Vergangenheit und die sportlichen Erfolge wurde auch durch den österreichischen Heimatfilm, der durchaus Elemente der Natur und Kultur, auch des Sports aufnahm, eine andere Schiene der  Identitätsstiftung wichtig. Vor allem in einem nostalgisch unkritischen Umgang mit der Vergangenheit – Franz Joseph, Erzherzog Johann und Sisi waren nicht zufällig Hauptgestalten vieler erfolgreicher Filme – und in einer Verklärung einer angeblich typischen österreichischen Mentalität (man denke nur an den  „Grantler“ Hans Moser und die vielen „wienerisch charmanten“ Damen und Herren der Filmriege der 50er, 60er und noch der 70er Jahre) wurde die Identität des neuen Staates der Zweiten Republik mitgestaltet. Die Konstruktionsarbeit insgesamt war erfolgreich, wie Umfragen zeigen, waren und sind ca. 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Meinung, einer eigenen Nation anzugehören, die restlichen Prozente waren teils ewig Gestrige, teils Menschen, die sich zu keiner Meinung durchringen konnten.

Dieses affirmative Bild österreichischer Identität wird auch durch die Medien der Gegenwart  weitergetragen, die Heldensaga der Sportheroen lebt weiter – wie außer mit Cordoba könnte man die Rolle von Hans Krankl in den Sportredaktionen des ORF sonst erklären? – und auch die oftmalige Wiederholung uralter Spielfilme Samstag nachmittags perpetuiert diese erfolgreichen Identitätskonstrukte.

Als ebenfalls medial vermitteltes Gegenbild dieser naiven Identitätskonstrukte kam mit den 1980er Jahren ein kritischer Umgang mit der Vergangenheit Österreichs und damit auch mit vielen Klischees, die dieses Österreichbild bestimmten, zum Tragen. Speziell nach dem politischen Klimawechsel 1986  (Waldheim-Affäre und Beginn des Aufstieges von Jörg Haider) wurde auf allen Ebenen mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Dekonstruktion von Mythen, Legenden und Klischees begonnen. Auch dabei kam den staatlichen Medien eine wesentliche Rolle zu. Viele Dokumentationen, Diskussionen und Informationssendungen griffen etwa die Probleme des Umgangs der Österreicherinnen und Österreicher mit der Vergangenheit auf – zumindest mit der von 1938 bis 1945, während die Zeit von 1933/34 bis 1938 immer noch ein Tabuthema geblieben ist, wenn auch auf diesem Gebiet die Medien erste Aufbrüche zustande gebracht haben.

Ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Fernsehen, die lange Zeit eine Monopolstellung im Lande hatten, wäre das Bekennen zur Zweiten Republik und der österreichischen Nation ebenso wenig möglich gewesen wie die politische Bildung und die Stärkung der Demokratie. Neben den Institutionen des Staates wie Schulen und andere Bildungsanstalten hat also der staatliche Medienbereich eine wesentliche Funktion im Rahmen der Pflege der Identität Österreichs und auch der politischen Erziehung, die gewährleisten soll, dass diese Identität weiterhin vom Geist der Menschenrechte und der Demokratie bestimmt wird.

Daher ist ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht nur als Gegengewicht gegen die Volksverdummung der Privatsender notwendig, sondern auch als gesellschaftspolitisches Steuerungsorgan für die Grundlinien der Ausrichtung dieses Staates auf seine eigene Identität und sein eigenes Bewusstsein unverzichtbar.


Texte 3, u.a. mit Beträgen von Kurt Imhof, Wolfgang Schulz und Karl Vocelka abspielen
Texte 3
u.a. mit Beträgen von Kurt Imhof, Wolfgang Schulz und Karl Vocelka
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Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien