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Es geht nicht nur um Sprache

Marianne Waldhäusl, »heute konkret«


Die bedauernswerten Behinderten, die an den Rollstuhl gefesselt sind, die Mongos, die Spastis, die Taubstummen, die Liliputaner - in unserem Sprachgebrauch gibt es Begriffe, die verwendet werden, ohne, dass wir darüber nachdenken. Doch Sprache hat so unglaublich viel Macht. Sie kann Realität wiedergeben oder verzerrt darstellen. Sie kann beschönigen oder verletzen. Sie kann Barrieren abbauen und Berührungsängste verstärken. Wie Medien mit Sprache und Darstellung in Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung umgehen, ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Aber wie sag‘ ich es: Behinderter? Behinderter Mensch? Mensch mit Beeinträchtigungen? Regelmäßig werden neue Formulierungen vorgeschlagen, kursieren und verflüchtigen sich wieder. Doch diskriminierende Verhaltensweisen ändern sich nicht einfach durch Umbenennung ihrer Bezeichnung. Auch neue Wortschöpfungen nehmen eine negative Bedeutung an, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern. Journalistinnen und Journalisten spielen bei dieser Veränderung eine große Rolle. Denn was Text und Bild ausdrücken, hat Einfluss auf Betroffene, aber auch auf die Wahrnehmung der Zuseherinnen und Zuseher. Es gilt also, Sprache und Gestaltung mit Respekt und Gefühl einzusetzen.

Selbst unter Menschen mit Behinderungen sind manche Bezeichnungen umstritten. Definitiv „out“ zum Beispiel ist die Formulierung „der Behinderte“. Hauptwörtlich gebraucht wird ein Mensch damit auf ein Merkmal reduziert, das alle anderen Eigenschaften dominiert. Das gleiche gilt für „den Blinden“, „die Spastikerin“ oder „den Amputierten“. Zum Vergleich: der Ausdruck „Blondine“, lässt andere Assoziation im Kopf entstehen, als „eine Frau mit blondem Haar“.
Behinderte Menschen wollen nicht über ihre körperliche Eigenart definiert werden. Sie sind Menschen mit einem Namen, einer persönlichen Geschichte. Viele Betroffene plädieren für die Bezeichnung „Menschen mit Behinderungen“ oder „behinderte Menschen“, weil diese das „behindert sein“ wie auch das „behindert werden“ gleichermaßen ausdrückt und unterstreicht, dass eine Behinderung nicht den ganzen Menschen ausmacht . Doch es geht in Beiträgen über Menschen mit Behinderung nicht nur um Sprache. Es geht auch um die Bilder, die die Protagonistin oder den Protagonisten mit Behinderung meist nur in Extremen darstellen - als hilfloses Opfer oder als Superhelden - und damit schnell zur Gratwanderung zwischen Bericht und zur Schaustellung werden können.

Als Journalistinnen und Journalisten sind wir in diesem Zusammenhang immer öfter Kritiken ausgesetzt, die wir vielleicht (noch) nicht immer nachvollziehen können. Vor allem, weil durch die Außensicht auf einen Menschen mit Behinderung ein großer Unterschied zur Realität entstehen kann. Nicht behinderte Menschen denken zum Beispiel oft, dass Menschen mit Behinderung zwangsläufig an ihrer Behinderung „leiden“. Hier gilt es durch einen offenen, empathischen Zugang tradierte Vorstellungen zu reflektieren.
Es kommen also Aspekte auf uns zu, die wir vielleicht noch nie angedacht haben oder anders empfinden. Diese Hürde gilt es zu überwinden. Denn noch sind viele Kritiken berechtigt. Wenn etwa in einem Nachrichten-Beitrag ein Mädchen mit Behinderung verbal „an den Rollstuhl gefesselt” wird, ist das sicher kein gutes Beispiel für Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft. Formulierungen und Darstellungen in den Medien haben nicht nur Einfluss auf Menschen mit Behinderung, sondern auch auf alle anderen Rezipientinnen und Rezipienten.
Doch bei allem gebotenen Feingefühl: Was Fakt ist, muss Fakt bleiben dürfen. Wenn z.B. eine junge Frau erzählt, dass sie durch eine Fehlbehandlung seit Jahren Schmerzen hat, sodass sie nicht mehr arbeiten kann, ihren Freund verloren hat, ihren Job und ihr Haus, dann muss das auch als „Leid” bezeichnet werden dürfen. Vor allem, wenn sie selber es so empfindet.

Unbestritten, Medien können wesentlich dazu beitragen, Klischees und Vorurteile zu schüren oder abzubauen. Als Journalistinnen sind wir Meinungsbildner und tragen nicht zuletzt deshalb auch Verantwortung: für das Bild, das wir von Menschen mit Behinderung zeichnen, für den Kontext, in dem wir sie darstellen, und für die Formulierungen, die wir wählen. Genau deshalb nimmt die UN-Behindertenrechtskonvention Journalistinnen und Journalisten nun verstärkt in die Pflicht und verlangt von uns bewusstseinsbildendes Verhalten.

Fußnoten:
1 Vgl. Ulla Fix, Institut für Germanistik der Uni Leipzig
2 Vgl. Martin Ladstätter, Bizeps; Klaus Voget, ÖZIV



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