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© AFP PHOTO/ Logan Cyrus
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Türsteher gegen Desinformation

Philip Pfleger, ORF.at


Sean Spicers erster offizieller Auftritt als Sprecher des Weißen Hauses hatte es in sich: »Dies war das größte Publikum, das jemals eine Amtseinführung gesehen hat. Punkt«, rief Spicer den versammelten Journalist/innen bei einer Pressekonferenz Ende Jänner entgegen. In Rage gebracht hatten ihn unter anderem Berichte über das geringe Publikumsinteresse
bei Trumps Amtseinführung in Washington. Gegenüber dem US-TV-Sender NBC sprang Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway Spicer wenig später bei – und schuf einen Begriff, der seither nicht nur in Journalist/innenkreisen die Runde macht.
Spicer habe lediglich „alternative Fakten“ präsentiert, sagte Conway. Das durch Fotos und Videos belegte Faktum, dass Trumps Amtseinführungszeremonie verhältnismäßig schlecht besucht war, tat Conway so – zugespitzt formuliert – als persönliche Ansicht von kleinlichen Kritiker/innen ab.

Bei genauer Betrachtung zeichnet sich hinter der Aussage eine von Populist/innen oft genutzte Strategie ab, die vielleicht nicht neu ist, aber zunehmend zur Herausforderung für den Journalismus und Demokratie an sich wird: Desinformation ist neben getarnter Propaganda in der politischen Auseinandersetzung zum Mittel der Wahl geworden. Es geht nicht mehr darum, die eigenen Lügen wahr erscheinen zu lassen. Vielmehr soll durch eine
vor allem in den Sozialen Netzwerken losgelassene Flut an Fehlinformationen die Glaubwürdigkeit der Gegenseite kompromittiert werden. »Gegenseite« meint hier keineswegs nur politische Kontrahent/innen; auch in Europa gibt es Politiker/innen wie Trump, die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Entscheidungen von Justizbehörden und die Unabhängigkeit kritisch berichtender Medien in Zweifel ziehen. Für Leser/innen wird es zunehmend schwieriger, wahr von falsch zu unterscheiden und nicht im Informationsüberfluss unterzugehen.

In Zeiten allgemeiner Verunsicherung ist es für den Journalismus essenziell, dem Vertrauen des Publikums mit besonders gewissenhafter Arbeit gerecht zu werden. Dem wird auch durch die Maßnahmen der internen ORF-Qualitätssicherung mit Hilfe externe Sozialwissenschaft Rechnung getragen. Für ORF.at als Nachrichtenmedium mit öffentlich-rechtlichem Auftrag bedeutet die neue Mediensituation zweierlei: Einerseits muss die hohe Qualität der schnellen, teilweise sekundenschnellen, Berichterstattung gesichert werden.

Und andererseits gilt es, vertiefende Angebote zu schaffen, um der Leser/innenschaft auch komplexe Themen einfach verständlich näherzubringen. Zum ersten Punkt gehört vor allem die Rückbesinnung auf die Gatekeeper-Funktion des Journalismus. Die Redaktion schlüpft dabei in die Rolle einer/s Türsteher/in, wählt sorgfältig aus, welche Nachrichten auf die »blaue Seite« kommen, prüft Quellen und setzt das Thema in den richtigen Kontext. Besondere Bedeutung bekommt der Gatekeeper in der Echtzeitberichterstattung. ORF.at hat im vergangenen Jahr seine Liveticker forciert. Gerade bei sich entwickelnden Situationen – etwa den Terroranschlägen von Brüssel oder dem Amoklauf in München – kann ein Liveticker der/m Leser/in helfen, im Dickicht von Informationen, Falschmeldungen und Gerüchten die Übersicht zu wahren. Neben der schnellen Berichterstattung wurde das Livetickertool dazu genutzt, um – siehe Punkt zwei – in die Tiefe zu gehen.
In den Jahren 2015 und 2016 begleitete eine Taskforce aus Redaktion und Infodesign, gemeinsam mit den Kolleg/innen der Fernseh- und Radioinformation, den Untersuchungsausschuss zur Pleitebank Hypo Alpe Adria. Die Aufklärung einer der größten
Skandale der Zweiten Republik wurde in verständlicher Form transparent für die Öffentlichkeit aufbereitet. Über einen Zeitraum von 20 Monaten wurden fast alle medienöffentlichen Sitzungen begleitet, 79 an der Zahl. Mehr als 670 Stunden dokumentierten die Kolleg/innen das Geschehen im Ausschuss, 142 Zeugenbefragungen wurden protokolliert. Das Engagement der Kolleg/innen, die nebenbei auch reguläre Dienste absolvierten, war hoch, ebenso der organisatorische Aufwand, den das Projekt mit sich brachte. Doch die Extrakilometer haben sich gelohnt. Fakten statt Glauben – das ist seit jeher der Leitsatz von ORF.at. Im Jahr 2017 gilt er mehr denn je.

Der Autor:
Philip Pfleger ist Redakteur bei ORF.at.



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