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Der homo digitalis und die Kultur

#Siegfried Steinlechner, Redakteur der TV-Kultur


Ich könnte es mir einfach machen: Der Kulturauftrag ist im ORF-Gesetz §4 Öffentlich-rechtlicher Kernauftrag mehrfach festgeschrieben. Darum kümmern wir uns seit mehr als sechs Jahrzehnten mit viel Wissen, Können und Engagement und mit großem Erfolg. Das lässt sich wunderbar mit Zahlen belegen und so ist es gut. So einfach will ich es mir und Ihnen aber nicht machen.

Es geht nämlich um viel mehr als es der gesetzliche Auftrag vermittelt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat darüber hinausgehend als Medium und Institution eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft übernommen, die die diversen privaten Anbieter so nicht erfüllen und für sich beanspruchen können.

Die „kulturelle Verantwortung“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darf keineswegs eng-idealistisch verstanden werden. Vielmehr treten wir für ein offeneres Kulturverständnis ein. Der dem Kulturauftrag zugrundeliegende Kulturbegriff hat die Erweiterung des Begriffs des Kulturellen, die auch die Gesellschaft erfahren hat, nachzuzeichnen. Wir versuchen dabei täglich außerhalb klassischer Genregrenzen und Resorts zu denken und neue kulturelle Bereiche zu erschließen. In unseren Sendegefäßen Aktueller Dienst, Magazin, Matinee, Dokumentarfilm, Musik und Theater und zahlreichen Sonderformaten bieten wir eine ausgewogene Bilanz zwischen Mainstream und alternativen Zugängen. Wir verlassen dabei bewusst immer wieder den sicheren Boden der reinen Berichterstattung, um Personen und Institutionen jenseits des Mainstreams Platz einzuräumen.

Kein kommerzieller Anspruch
Wir öffnen die Grenzen täglich: nebst zahlreicher und breit angelegter Kultur in und aus Österreich zeigen wir wie grenzenlos, grenzüberschreitend und verbindend Kultur ist. Jenseits von „Hoch- und Popkultur“ erstreckt sich unser Angebot auf Vieles, was die Gesellschaft und das Menschsein eigentlich betrifft. Wir kümmern uns um viele Themen, die keinen kommerziellen Anspruch verfolgen. Wir setzen eine große Themenbreite ohne wirtschaftlichen Erfolgsdruck um. Viele unserer Kulturprogramme würden von kommerziellen Anbietern niemals produziert werden, da ihre Umsetzung kein Geld bringt. Zudem verstehe ich unseren Auftrag auch darin, den kommerziellen Angeboten einen ausgewogenen kulturellen Schwerpunkt gegenüber zu setzen. Wir gehen auf die Ansprüche und Interessen der Zuseher/innen ein und achten dabei laufend auf Diversität in Balance zu Publikumsinteressen und aktuellen populärkulturellen „Hits“ und Phänomen. Wir nehmen unsere Verpflichtung zu einer demokratischen, ausgewogenen Haltung jenseits kommerziell getriebener Interessen sehr ernst. Wir bieten laufend Möglichkeiten der Einordnung in Zeiten rasanter gesellschaftlicher Veränderungen.

Die digitale Zukunft
Vieles hat sich im Kulturbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verändert – einiges Wichtige blieb konstant: der Qualitätsanspruch und dessen Umsetzung. Dank Digitalisierung und sozialen Medien konnten wir wesentliche Schritte Richtung Partizipation der Bevölkerung gehen und planen diese in den kommenden Jahren auszubauen. So haben wir uns in den vergangenen Jahren zunehmend mit cross- und transmedialem Storytelling, 360-Grad und Virtual Reality und nicht zuletzt mit diversen Social Media-Kanälen beschäftigt. Mittels „design thinking“-Workshops, der Teilhabe an internationalen Projekten, laufenden Schulungen und Fortbildungen der Kolleg/innen haben wir uns auf die Herausforderungen der (digitalen) Zukunft vorbereitet und erweitern ständig unsere Expertise in diesen Bereichen.

So gehen einige Projekte der EBU auf die Initiative der ORF-Kultur zurück, wie etwa das Songbook, das auch in diesem Jahr fortgesetzt wird und Fernseh- und Onlinewelt miteinander verbindet. Eines der Projekte, das dabei ins Leben gerufen wurde ist „Homo Digitalis“. In einer internationalen Koproduktion mit ARTE, dem BR, dem „Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation“ und dem Futurelab der, „Ars Electronica“ haben wir uns mit der digitalen Zukunft des Menschen auseinandergesetzt. „Homo Digitalis“ besteht aus einem Dokumentarfilm, einer Webserie und einem interaktiven Selbsttest zu der Zukunftsfrage überhaupt: Was macht die digitale Revolution mit uns als Menschen? Und: Was bedeutet das für unsere Zukunft? Was heißt es, wenn der Mensch sich über alle Beschränkungen des Lebens stellt – sich seine Freund/innen und Partner/innen programmiert, wie es ihm passt, sein Gehirn tunet, um selbst halb Mensch, halb künstliche Intelligenz zu sein, und als letzten Schritt seinen eigenen Tod durch gezielte DNA-Manipulation verhindern will? Das Außergewöhnliche daran: „Homo Digitalis“ ist nicht nur eine unterhaltsame, aber doch tiefgreifende Analyse der aktuellen Forschung, es ist auch ein wissenschaftliches Experiment. Auf der Webseite www.homodigitalis.de/at/fr können die Zuseher/innen selbst testen, was mit ihnen passiert, wenn sie mit einem intelligenten Chatbot kommunizieren. Er unterhält sich mit den Nutzer/innen, stellt nebenbei Fragen über deren digitales und analoges Leben und erhebt so Daten, die wissenschaftlich ausgewertet werden. Dabei gibt er den Nutzer/innen immer wieder Feedback – wie stehen sie da im Vergleich zu anderen? Was macht ihr Konsum mit ihrem analogen Leben? Und wie könnten sie die Balance zwischen digital und analog sogar noch verbessern? Die Kernfragen des digitalen Wandels werden angesprochen und damit auf Ängste und Hoffnungen vieler Menschen reagiert.

Im Laufe des Jahres 2018 werden die wissenschaftlichen Auswertungen veröffentlicht und in einem abschließenden Dokumentarfilm reflektiert. Was hat das Publikum in den nächsten Jahren von uns zu erwarten? Wir sind auf dem besten Weg uns für die Zukunft gut aufzustellen. Wir arbeiten zum einen an einem Kulturwandel, am nötigen digitalen Fachwissen und insgesamt an unserer Offenheit gegenüber Veränderungen. Zum anderen machen wir uns aktuell viele Gedanken, wie wir unser öffentlich-rechtliches Kulturangebot in das digitale Zeitalter heben können.


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