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Mediale Integration als Aufgabe für den "Rundfunk der Gesellschaft"

Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell, Instiut für Publizistik und Kommaunikationswissenschaft, Universität Wien


Die in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts ins Exil vertriebenen und aus Österreich und anderen Ländern geflüchteten demokratisch gesinnten Journalistinnen und Journalisten sind mir als Forscher ans Herz gewachsen. Mit den von ihnen damals geschaffenen Exilmedien habe ich mich früh und vielfach beschäftigt. Alsbald interessierten mich aber ähnliche Verhältnisse heute: Wie steht es um jene Journalistinnen und Journalisten, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Österreich Asyl fanden? Welche Medien stehen hierher Geflüchteten oder als ArbeitsmigrantInnen gezogenen für das Einleben in eine Zwischen- oder doch neue Heimat wohlwollend und konstruktiv-kritisch zur Verfügung? Wie reagieren die zunächst nur für die Mehrheitsbevölkerung gestalteten Massenmedien auf die ImmigrantInnen?

Es war viele Jahre eine fast nur auf akademischem Boden geführte Auseinandersetzung. Nahezu alle Medien des Landes ließen sich erst gar nicht auf die Debatte ein, ob denn der immer deutlicher werdende demografische Wandel der Gesellschaft auch Nachjustierungen vonseiten der Medien bedürfe. Medienpolitische Initiativen, die der medialen Integration der MigrantInnen hilfreich hätten werden können, blieben zudem lange völlig aus, was aber nicht verwundern konnte: Denn bis vor wenigen Jahren verweigerten dominante Teile der Politik mit der Devise „Österreich ist kein Zuwanderungsland“ die Realität, und der größer werdende Teil der rechtspopulistischen bis -extremen Politik wollte den Prozess am liebsten mit radikalen Mitteln umkehren.
Umso erfreulicher war in diesem Kontext vor fünf Jahren eine Passage im Bewerbungskonzept für die ORF-Generaldirektion von Dr. Alexander Wrabetz, die er auch bei einer Podiumsdiskussion bereits im September 2006 im Rahmen der Ars Electronica in Linz formulierte: Ein „ganz wesentlicher Punkt“ auch in Hinblick auf die Gewinnung neuen, jungen Publikums sei, wie die rund eine Million in Österreich lebenden Menschen „mit
migrantischem Hintergrund an das ORF-Programm herangeführt“ werden können. Das war für österreichische Verhältnisse damals ein Novum aus dem Mund eines Medienmanagers. Dieser Ankündigung folgten Taten: zunächst eine quantitative Umfrage, die zeigte, dass die ORF-Fernsehangebote 2007 von Zuwanderinnen und Zuwanderern mit türkischen Wurzeln deutlich weniger genutzt wurden als von anderen ImmigrantInnen. Dem folgte eine von mir durchgeführte qualitative Studie, die ausleuchten sollte, warum ein Teil der MigrantInnen die ORF-Programmangebote in den Bereichen Fernsehen, Hörfunk und Online wenig oder nicht nutzen. Zugleich ging diese Studie der Frage nach, mit welchen Innovationen und Maßnahmen diese Zuwanderinnen und Zuwanderer stärker vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk angesprochen werden können. In 19 Leitfadengesprächen mit insgesamt 24 Programmverantwortlichen und –entwicklerinnen und -entwicklern im ORF wurden die bisherigen Maßnahmen bilanziert und die Ideen erfasst, die geeignet erschienen, künftig MigrantInnen stärker als Zielgruppen anzusprechen. In der zweiten Projektphase wurde in neun Fokusgruppen-Gesprächsrunden mit MigrantInnen, die die ORF-Angebote viel, wenig oder gar nicht nutzen, weiters mit Vertretern von MigrantInnen-Medien, sowie mit Opinion-Leadern und PolitikerInnen, jeweils mit eigener Migrationserfahrung, ausführlich darüber gesprochen, was an den ORF-Programmangeboten stört oder gefällt und wodurch sie überhaupt bzw. (noch) stärker angesprochen werden könnten.

Einige der Befunde aus dem zweiten Teil der Studie werden hier nun resümiert. Auch wenn die Aussagen gelegentlich den Eindruck vermitteln, sie würden für alle MigrantInnen gelten, so liegt das oft am Weglassen relativierender Beifügungen wie „viele“, „die meisten“ oder „die überwiegende Zahl der Gesprächsteilnehmer/innen“, um zum einen nicht ermüdend zu formulieren und zum anderen Tendenzen akzentuiert herauszuarbeiten.

1. MigrantInnen fühlen sich nicht als „selbstverständlicher Teil“ der österreichischen Gesellschaft in den Medien wahrgenommen, meiden daher zum Teil diese Medien und wenden sich jenen aus ihren Herkunftsländern bzw. spezifischen Medienangeboten für MigrantInnen zu, die in den letzten Jahren übrigens deutlich an Zahl und Auflage bzw. Reichweite zugenommen haben.

2. Österreichische Mainstream-Medien haben, das wird immer wieder festgestellt, MigrantInnen als Zielgruppe vernachlässigt.

3. Dies ließe sich auch daran ablesen, dass es ganz wenig Forschung zu MigrantInnen als Mediennutzerinnen und -nutzer in Österreich gibt.

4. Viele Gesprächsteilnehmer, vor allem gut gebildete, fühlen sich wiederum bevormundet, erleben den ORF und andere österreichische Medien als paternalistisch, weil ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet wird, sondern z. B. zumeist NichtmigrantInnen äußern dürften, was für Zugewanderte gut sei, diese aber selbst selten zu Wort kämen.

5. Zugleich wird von einigen Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern die Studie begrüßt und positiv vermerkt, dass der ORF offensichtlich etwas verändern möchte. Allerdings reagierten etliche Teilnehmer/innen auch mit Sarkasmus: Alles käme reichlich spät, wenn es denn überhaupt komme. Die Meinungen gingen hier insgesamt ziemlich auseinander.

6. Am häufigsten wird mehr Repräsentanz im Programm gefordert, sowohl inhaltlich als auch in der Präsentation. Kritisiert wird, dass mitunter immer die gleichen Personen als Vertreter etwa der Muslime im ORF befragt würden, das würde der Vielfalt innerhalb der Communitys nicht Rechnung tragen. Zum Beispiel kämen säkulare Türkinnen und Türken im ORF vergleichsweise wenig zu Wort.

7. In manchen Programmen (explizit wird „Wien heute“ genannt) würden MigrantInnen bei Straßenumfragen inzwischen zu verschiedenen Themen zu Wort kommen – und dies werde registriert und sei wichtig. In den meisten Programmen geschehe die Inklusion jedoch selten oder gar nicht, vermitteln die befragten MigrantInnen. Dabei sollte – das wurde bei fast allen Gesprächspartnerinnen und -partnern deutlich – das in den Medien vermittelte Bild „bunt“ sein, „weil die Gesellschaft ist schon bunt. Warum sollen die anderen ausgeschlossen werden?“ Außerdem rühme sich das Land ja, dass es sehr viele MigrantInnen aufnehme.

8. An die Medienpolitik (und nicht an den ORF) werden Forderungen gerichtet, in den Gremien (z. B. Publikumsrat) vertreten zu sein.

9. Die MigrantInnen fühlten sich zum Befragungszeitpunkt – Anfang 2009 – von den österreichischen Fernseh- und Radiosendern noch nicht als Zielgruppe entdeckt und umworben.

10. Kritik wird mehrfach am Personal-Recruiting geübt; MigrantInnen würde ein allfälliger Akzent angelastet, während es beispielsweise gegen Bewerber/innen mit Tiroler Akzent keine Vorbehalte gäbe. Es wird von MigrantInnenseite zumindest als Fehler gesehen, noch am sprachlichen Purismus festzuhalten, wenn es um einen nichtösterreichischen Akzent geht. Allerdings wird auch bemerkt, dass das Kriterium offensichtlich nicht durchgehend angewandt wurde, wie das Beispiel Paul Lendvai zeige.

11. Vermisst werden explizit gezielte Bemühungen des ORF in den letzten Jahren, neue Mitarbeiter/innen aus dem Migrationsbereich zu gewinnen. Zumindest verzeichnet der ORF bei den MigrantInnen in diesem Zusammenhang ein Imageproblem. In anderen Ländern sei der Rundfunk durchlässig, wird ausgeführt, während hier, in Österreich „ist der ORF irgendwie so eine Welt für sich, glaub ich“, drückte es eine dem ORF sonst
freundlich gesinnte befragte Migrantin aus.

12. Zumeist wird bei den verschiedenen Kritikpunkten am ORF in Bezug auf die mediale Integration die bessere Situation bei deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern vergleichsweise angeführt; die privatwirtschaftliche Konkurrenz im Land und auch in Deutschland werden indes nicht ins Treffen geführt.

13. Über viele MigrantInnengruppen würde einseitig negativ berichtet, zumeist in Zusammenhang mit Kriminalität oder politischen Debatten zu Asyl, Zuwanderung und Integration. Daher werden zum einen ausgleichende Positivberichte über erfolgreiche MigrantInnen begehrt (so wie es diese auch über NichtmigrantInnen gibt). Zugleich erwartet man sich eine faire Berücksichtigung der eigenen Sichtweisen als MigrantInnen und eine Inklusion bei allen Berichterstattungsthemen, die auf den ersten Blick vielleicht nichts mit Migration zu tun hätten, die aber gleichwohl MigrantInnen genauso treffen (Beispiele: Verkehr, Gesundheit, Preisentwicklung, KonsumentInnenschutz usw.).

14. Vertreter von MigrantInnen-Medien stellen fest, dass der ORF in ihren Medien nicht wirbt, während er dies in Mainstream-Medien breit mache. Wenn der ORF Zielgruppen im Migrationsbereich erreichen möchte, müsse er nicht nur sein Programm dort bewerben, sondern auch seine Öffentlichkeits-Aktivitäten in diese Richtung lenken. Eine erstklassige Dokumentation über Istanbul müsse der ORF nur in drei türkischen Medien bewerben, worauf 80 % der „Türkinnen und Türken, die in Österreich leben“, das Programm anschauen würden, wird argumentiert.

15. Ein Vorschlag, um MigrantInnen als Nutzer/innen des ORF-Angebots zu gewinnen, lautet: Beteiligung an einzelnen Sendungen auf OKTO-TV, um diese qualitativ zu verbessern und zugleich andere Programmangebote auf ORF zu bewerben.

16. Aufgabe des ORF sei es, MigrantInnen in den Programmen so medial anzusprechen, dass sie das Gefühl bekommen, dass sie Teil dieser österreichischen Gesellschaft sind. Das bedinge, dass sie bei allen Themen (z. B. bei Straßenumfragen, bei Studiodiskussionen, bei Beiträgen) im Umfang ihrer Stärke in der Gesellschaft zu Wort kommen.

17. MigrantInnen, die aufstiegsorientiert in Österreich leben, sind zunächst und eindeutig an qualitätsvollen Informationen aus Österreich interessiert, wobei den ORFAngeboten ein großes Vertrauen entgegengebracht wird. Ältere, zumeist weibliche MigrantInnen aus dem Herkunftsland Türkei, die Deutsch nicht oder nur schlecht gelernt haben, nutzen indes türkisches Fernsehen.

18. Die ORF-Nachrichten bekommen bei den meisten MigrantInnen – sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen – deutliche Zustimmung. Besonders jene MigrantInnen, die Medienerfahrung auch in anderen europäischen Ländern haben, schätzen die ORF-Nachrichten ob ihrer ausgewogenen Mischung von nationalen, regionalen und internationalen Themen. Lediglich junge Türkinnen und Türken finden türkische Nachrichtensendungen unterhaltsamer.

19. Von türkischen MigrantInnen wird mitunter bemängelt, dass politische Ereignisse in der Türkei (z. B. Wahlergebnisse) in ORF-Nachrichtensendungen weniger berücksichtigt würden als aus anderen europäischen Ländern, dabei sei der mögliche EU-Beitritt der Türkei ein wesentliches Thema und die Zahl der interessierten MigrantInnen aus der Türkei in Österreich hoch.

20. Die jungen MigrantInnen wünschen sich u. a. Formate wie Stefan Raabs Wettbewerbe, die „Uri Geller Show“ und mehr „echt fett“.

21. Es fällt der Elterngeneration auf, dass viele ihrer Kinder, obgleich sie zumeist keinen oder wenig Kontakt zum Herkunftsland haben, sich für Geschichte und Kultur des Herkunftslandes der Eltern stark interessieren. Darauf könnte der öffentliche Rundfunk in seinen Programmangeboten etwa für Kinder (noch) stärker reagieren.

22. Themenschwerpunkt über Filmschwerpunkte zu setzen, halten die meisten Befragten für eine gute Idee; nur ein Filmemacher selbst fürchtet, dass dadurch im restlichen Teil des Jahres keine Filme aus dem betreffenden Land mehr gesendet würden.

23. Es gäbe unter den MigrantInnen viele Fachleute für verschiedene Bereiche. Diese sollten vom ORF auch als Expertinnen und Experten in Beiträgen und Sendungen so eingebunden werden – und zwar nicht nur bei sogenannten „Migrations- und Integrationsthemen“ – wie die österreichischen Fachleute ohne Migrationshintergrund, argumentieren einige Gesprächsteilnehmer/innen.

24. Beim Thema Untertitel werden ebenso viele Wünsche entwickelt. Hinweise, dass dies beim österreichischen Publikum wenig Tradition (und Akzeptanz) habe, werden mit drei Argumenten entkräftet: MigrantInnen sind Untertitel öfters gewöhnt und schätzen sie als Hilfe bei der Sprachperfektion; zudem sollte es künftig technisch im
Digital-TV möglich sein, Untertitel nur auf Bedarf individuell zuzuschalten, wodurch österreichische TV-Nutzer/innen ohne Migrationsbezug sich durch (potenzielle) Untertitel nicht gestört fühlen würden.

25. Bei Fußballländerspielen – zum Beispiel bei Türkei gegen Österreich – könnte die Komoderation durch eine/n österreichische/n und eine/n türkische/n, aber gut Deutsch sprechende/n Moderator/in geleistet werden. Zustimmung und Skepsis halten sich bei dieser Idee in etwa die Waage. Ein überzeugendes Argument lautete dabei: Wenn der ORF-Sport damit ein Signal für MigrantInnen setze, indem er kommuniziert „Das Fußballspiel deiner oder deiner Eltern Nationalmannschaft ist für mich genauso viel Wert wie eine deutsche oder französische Mannschaft – und deswegen hol ich mir jetzt einen coolen und angesagten türkischen Moderator, der zusammen mit uns das hier macht“, dann würde dies deutlich wahrgenommen und honoriert werden. Junge türkische MigrantInnen finden die Idee recht gut, weil sie die technische Qualität der österreichischen Fußballübertragungen und den Spaßfaktor türkischer Kommentatoren schätzen.

26. MigrantInnen haben ein Bedürfnis, in Medien als mehr als nur MigrantIn wahrgenommen zu werden: als Student/in, als Frau, als Mann, als Mitarbeiter/in eines Unternehmens, als kritische/r Konsument/in usw. Erst wenn das geschieht, sei Integration tatsächlich erreicht, wird von MigrantInnen argumentiert.

27. Moderne Popmusik aus Herkunftsländern – etwa aus der Türkei oder aus Serbien – fehlt den MigrantInnen, die viel und gerne Ö3 hören, im Musikmix von Ö3 nicht. Man hätte zwar nichts dagegen, vermutet aber, dass die Mehrheit der Ö3-Hörer/innen etwas dagegen hätte. Daher haben sich MigrantInnen daran gewöhnt, Musik aus ihrem Herkunftsland einfach von der CD, am iPod oder auf Radio Orange zu hören.

28. Manche Fernseherfahrung in anderen Ländern wurden ins Gespräch eingebracht, als faszinierte Wahrnehmung und mit Skepsis zugleich, ob Ähnliches im österreichischen Fernsehen denkbar wäre: „der türkische Koch, der da in schlechtem oder grottenschlechtem Deutsch im ORF eine Kochsendung bestreitet, so was wäre ja unvorstellbar. (...) Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ankommen würde oder dass der ORF sagen würde, das machen wir, das ist jetzt der Hit. Das wäre eigentlich echt mal was Neues.“

29. Beklagt wird von manchen Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern mangelnder Mut zu Programminnovationen und fehlende Hartnäckigkeit, falls sich Erfolge bei Experimenten nicht gleich einstellen.

30. Kritisiert wird zudem, dass der ORF zum Teil sehr gute Filme und Dokumentationen gestalte bzw. mitfinanziere, dann aber diese erst spätabends ausstrahle.

31. „Heimat, fremde Heimat“ ist breit bekannt und wird vielfach gesehen und fast einhellig positiv gesehen. Es sei lediglich zu wenig und der Titel inzwischen unpassend: „Ich bin ja nicht mehr in fremder Heimat!“

32. „Heimat, fremde Heimat“ werde vom ORF nicht beworben, wird kritisch ins Treffen geführt. Durch Werbung würde nicht nur die Seher/innenzahl erhöht, sondern der Gesellschaft vermittelt, dass die Sendung auch vom ORF wertgeschätzt werde.

33. Die tatsächliche Reichweite von „Heimat, fremde Heimat“ werde durch den Teletest nicht ausgewiesen, da Haushalte mit nichtösterreichischem Haushaltsvorstand – und damit ein großer Teil der MigrantInnen – darin nicht erfasst werden.

34. Kulturelle und religiöse Feiertage aus den Herkunftsländern und -kulturen der in Österreich lebenden MigrantInnen sollten nach Meinung etlicher Befragter im ORF jeweils kurz thematisiert werden, als Information für alle und vor allem als Zeichen des Respekts gegenüber den MigrantInnen. MigrantInnen würden sich dadurch angesprochen fühlen, würden das Gefühl stärken, dazuzugehören: „Ah, da denkt jemand an mich ...“

35. Es wird von Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern angeregt, im ORF nicht nur zu Weihnachten und zu Ostern ein besonderes Filmangebot zu spielen, sondern auch anlässlich islamischer Feste. Wenn man Muslime als ORF-Nutzer/innen stärker gewinnen möchte, müsse man deutliche Zeichen setzen.

Diese Befunde wurden ab Sommer 2010 im ORF intern mehrfach debattiert und im Spätherbst öffentlich präsentiert. Manche Redaktionen zeigten sich besonders interessiert. Etliche Anregungen wurden inzwischen aufgegriffen. Es ist hier nicht der Platz, detailliert eine Zwischenbilanz darüber zu ziehen, welche programmlichen und journalistischen Maßnahmen bereits gesetzt bzw. umgesetzt wurden. Meines Erachtens ist es auch nicht
Aufgabe des Journalismus, Publikumsforderungen eins zu eins nachzukommen. Die Befunde sollen vielmehr als Denkanstöße für die weitere Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Journalismus und des Programmangebots verstanden werden. Migration ist einer von vielen gesellschaftlichen Prozesse, die Medien herausfordern, zumal die öffentlich-rechtlichen, die sich als kritisch konstruktive Begleiter der Gesellschaft – und damit ihren Veränderungen – begreifen. Damit dies für die gesellschaftliche Herausforderung Migration gelingt, muss der dem Gemeinwohl verpflichtete Rundfunk im Grunde das tun, was schon bisher bei großen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen – zum Beispiel beim Weg zur Gleichstellung der Geschlechter – für nötig erachtet wurde:

Da ist zum einen in den Informationsformaten für die breite Berücksichtigung der zugezogenen Bevölkerung in einer nichtstereotypen Art und Weise zu sorgen. Diese Berichterstattung hat dem Umstand Rechnung zu tragen, dass MigrantInnen nicht nur mit Migrationsthemen zu tun haben, sondern alle Aspekte des gesellschaftlichen und individuellen Lebens betreffen wie die hier Aufgewachsenen ohne Migrationshintergrund. Die dafür zu stärkende interkulturelle journalistische Kompetenz erreicht ein Medienunternehmen durch Weiterbildungsmaßnahmen, durch internationalen Erfahrungsaustausch und durch systematische Debatte der Qualität der journalistischen Leistungen.

Bei den nichtjournalistischen – also den nonfiktionalen wie auch fiktionalen – Programmleistungen ist gleichfalls auf Diversität zu achten. Ein „Taxi Orange“ ohne eine/n einzige/n Teilnehmer/in mit Migrationshintergrund (wie in der ersten Staffel), passiert dann nicht mehr, wenn auch in diesem Programmbereich die interkulturelle Kompetenz strukturell weiterentwickelt wird. Dazu würde zweifellos ein explizit formuliertes Selbstverständnis zum Thema Diversität hilfreich sein, das nach innen wie nach außen deutlich kommuniziert wird.

Wenn diese Veränderungsprozesse einhergehen mit einer noch deutlicheren Multikulturalisierung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Medien-Dienstleisters als bisher, dann ist nicht nur ein Zugewinn an interkultureller Kompetenz aus gelebter Erfahrung gewonnen, sondern es ist ein zusätzlicher augenscheinlicher Beweis erbracht, dass eine Medienorganisation bei Auswahl und Förderung seiner Mitarbeiter/innen sich weder von Geschlecht noch von Herkunft, Kultur oder Religion leiten lässt.

Den besten Programminnovationen wird übrigens der volle Erfolg versagt bleiben, wenn Public Relations und Marketing für die Programmangebote jene in Österreich lebenden MigrantInnen, die derzeit nicht oder wenig ORF-Angebote nutzen, nicht gezielt ansprechen – zum Beispiel durch PR gegenüber und Werbung in Ethno-Medien sowie durch andere geeignete Wege des Ethno-Marketings.

Was heißt das alles? Ein Programm für MigrantInnen? Nein, ein Programm von Medienangeboten für die ganze Gesellschaft in ihrer großen Vielfalt. So wie „die MigrantInnen“ keine homogene Gruppe sind, kann auch nicht von „der Mehrheitsgesellschaft“ gesprochen werden. Bei Sichtweisen, Bedürfnissen und Interessen hängen manche Gruppen der schon länger und der noch nicht so lange in diesem Land lebenden Menschen ohnedies zusammen und andere grenzen sich voneinander ab. Damit künftig etwas mehr Begegnung zwischen Gruppen eines Staatsgebiets möglich wird, braucht es auch mediale Integration: also Medien, die möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen zum Thema machen, ihnen ein Forum bieten und auch als Publikum ansprechen.

Die Bestrebungen um gelebte Vielfalt in Medien (aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen) kommt – das wird oft ignoriert – nicht nur den MigrantInnen zugute. Denn an der Entwicklung von „Parallelgesellschaften“ sind zumindest zwei Gruppen beteiligt. Medien haben die Chance, Brücken zu schlagen und andere Lebenswelten (die mitunter so anders nicht sind) zu erschließen, wenn sie genau darauf achten, dass sie nicht selbst nur der eine Teil der einen Parallelgesellschaft sind und mit den „anderen“ eigentlich nichts zu tun haben wollen.

In den letzten vier bis fünf Jahren ist in puncto mediale Integration etwas Bewegung in ein paar österreichische Medien gekommen. Der ORF hat bisher in Summe die meisten Maßnahmen gesetzt und wird diesen Kurs in den kommenden Jahren hoffentlich weiter verstärken. Damit kann er der eigenen Anspruch, „ein Rundfunk der Gesellschaft“ zu sein, jedenfalls überzeugend ausbauen.


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