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Public Value als Wertschöpfungsbegriff

Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt


"Public Value" - ein Begriff, der vor Jahren nur einem kleinen Kreis von Insidern in der amerikanischen öffentlichen Verwaltung bekannt war, ist via England zu einem medienstrategischen Imperativ geworden. Public Value wird gnadenlos inflationär gebraucht und scheint zum Zentralbegriff der Debatte über die Natur und Aufgabe von Medien in der Medien- und Informationsgesellschaft im Allgemeinen und zu jener von Öffentlich-Rechtlichen im Besonderen geworden zu sein, wie es etwa im Sonderheft 2/2010 des "Medien Journals" oder einem der jüngst erschienenen Sammelbände (Karmasin/Gonser/Süssenbacher 2010, Gundlach 2011) dokumentiert wird.


Öffentlich-rechtliche Sender in Europa - allen voran die BBC, aber auch ARD und ZDF und nicht zuletzt der ORF - bezeichnen Public Value denn auch als ihre Kernkompetenz und sehen in der Produktion von Public Value die Legitimation für die Refinanzierung durch Gebühren. Der Begriff wird auch in der hier vorliegenden Publikation breit diskutiert: Public Value wird begriffsgeschichtlich rekonstruiert (etwa in Heft 3 der "Texte") in seiner Orientierungsleistung diskutiert (wie das Heft 2 der "Texte" tat), als Medienwirkungsbegriff entfaltet (etwa von Helmut Scherer in Ausgabe 5 der "Texte") oder als Prozessbegriff entwickelt (etwa von Larissa Krainer im selben Heft). Über die Herkunft des Begriffs und seine unterschiedlichen Interpretationen ist in jüngster Zeit genug geschrieben worden - von Akademikern, Praktikern, Medienjournalisten, Medienpolitikern. Davon soll hier also nicht die Rede sein. Der Beitrag will jedoch ein Schlaglicht werfen auf einen Aspekt der zeitgeistigen Debatte, der - zumindest meines Erachtens nach - zu kurz kommt: auf jenen der Wertschöpfung.


Ich schlage daher vor, Public Value als Wertschöpfungsbegriff zu verstehen. Damit ist gemeint, dass Public Value eine bestimmte Form medialer Wertschöpfung (man könnte auch sagen: Qualität) beschreibt. Public Value genügt bestimmten formalen Voraussetzungen (etwa Ausgewogenheit und Pluralität), bindet sich redaktionell an bestimmte Werthaltungen (etwa die Einhaltung von Trennungsgrundsätzen), macht nur eine bestimmte Form von Unterhaltung (etwa eine, die die Menschenwürde unbedingt achtet), leistet Beiträge zu regionalen, lokalen Identität (etwa durch eine regional fokussierte Berichterstattung und Programmplanung), fördert Kritik und Reflexion, erlegt sich im kaufmännischen Bereich bestimmte Grenzen auf (etwa keine "gekauften" Geschichten zu machen), fördert und fordert regionale mediale Wertschöpfung, ist offen für Kritik und Anregungen der Stakeholder, investiert in Aus- und Weiterbildung und stellt sich selbst immer wieder öffentlich die Frage, ob man noch auf dem richtigen Kurs sei. Diese (sicher noch zu ergänzenden Punkte) können in konkrete Maßnahmen im Management umgesetzt werden: in der Organisation, in der strategischen Planung, in der Preis- und Produktgestaltung, in der internen und externen Aus- und Weiterbildung, im Branding und in der Kommunikation nach innen und außen. So verstanden könnte Public-Value-Management angewandtes Stakeholder-Management sein und Beiträge zur Wertschöpfung aller Stakeholder liefern. Denn gerade öffentlich-rechtliche Unternehmungen sind bei allem Zwang zur Aufrechterhaltung eines finanziellen Gleichgewichts und einer angemessen Liquidität, bei allen Notwendigkeiten der Sparsamkeit und Effizienz vor allen den Stakeholdern verpflichtet. Die Anspruchsgruppen sind ebenso vielfältig wie dispers, aber jedenfalls nicht nur Politik, Publikum und Werbewirtschaft (auch wenn diese wichtige Ansprüche vertreten), sondern eben auch die Mitarbeiter/ innen, die Kreativwirtschaft, Gebietskörperschaften, Zeitungen, freie Medien, Zeitschriften, Privatsender, Blogger etc. und die sogenannte "Public Sphere". Versteht man Public Value als Wertschöpfungsbegriff, dann realisiert man unternehmerische Strategien, die Wertschöpfung für alle Stakeholder im Blick haben und dies auch nach innen und außen kommunizieren und diskutieren. So könnte der Vorschlag von Larissa Krainer, Public Value als Prozessbegriff zu entfalten, ins Management transferiert werden, denn es wird stets strittig sein, welche Ansprüche warum, in welchem Ausmaß befriedigt werden.


Ins kommunikationswissenschaftliche gewendet, bedeutet Public Value, einen produktiven Beitrag zur Qualität von Öffentlichkeit und Beiträge zur medialen Wertschöpfung zu leisten. Damit ist der Begriff nicht nur auf den redaktionellen Teil zu beschränken, sondern umfasst auch alle kaufmännischen und alle Managementaktivitäten des Medienunternehmens. Anders formuliert: Es ist eben nicht egal, wie man jenes Geld verdient, das in redaktionelle Qualität investiert wird. Public Value als Wertschöpfungsbergriff umfasst alle Stufen medialer Produktion und ist als strategischer Imperativ der Produktion aufzufassen.


So besehen ist die Produktion von Public Value keine Frage der Refinanzierung oder der Rechtsform des Mediums, sondern eine der Strategie und der Unternehmenskultur. Aus medienökonomischer Perspektive können also auch private Rundfunk- und Fernsehsender, "freie" (nichtkommerzielle) Medien und Printmedien Public Value produzieren.


Passiert das? Bezogen auf die deutschsprachige Medienlandschaft kann man wohl zu Recht behaupten, dass einige (freilich nicht alle) Anbieter in der Tat Public Value in diesem Sinne anbieten (etwa Tageszeitungen im Qualitätssegment, politische Wochenmagazine, aber zum Teil auch Sender wie Servus TV). Alleinstellungsmerkmal öffentlich-rechtlicher Sender ist Public Value aber nicht.


Wollen öffentlich-rechtliche Sender dem Gebührensplitting (das ja hinter solcherlei Argumenten vermutet wird) oder gar der Privatisierung erfolgreich entgegentreten, dann müssen sie nachweisen, dass sie Public Value besser und in höherem Umfang (mit einem höheren Anteil am Programm) herstellen und dass sie genuine Wertschöpfungsbeiträge auch im ökonomischen Sinne leisten. In Bezug auf den ORF heißt dies aus meiner Perspektive, dass Public Value nicht nur auf den redaktionellen Bereich beschränkt bleiben sollte (auch wenn das einen wesentlichen Teil der Public-Value- Debatte ausmacht), sondern auch in den Unternehmensstrukturen und im kaufmännischen Bereich relevante und nachvollziehbare Unterschiede macht.


Aus medienwirtschaftlicher Perspektive wird Public Value grosso modo als meritorisches Gut aufgefasst, also als eines, von dem unter rein konkurrenzwirtschaftlichen Bedingungen zu wenig produziert werden würde und das deswegen auch dringend der Subvention bedarf. Auch wenn diese Auffassung den Gegebenheiten auf hochkonzentrierten Märkten (und welcher Medienmarkt ist dies nicht?) und den Vorstellungen von den meisten "Programmaufträgen" entspricht, so ist dieser Ansatz für das Management von öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen - so meine ich - nicht ganz tauglich. Wendet man diese Prämissen in konkrete unternehmerische Aktivitäten wie Organisation, Strategie, Marketing, PR etc., dann wirkt der Begriff defensiv und bekommt den Charakter einer Rechtfertigungsmetapher. Gesellschaftliche Privilegien (wie Gebühren) bedürfen fraglos der Legitimation aber ich meine, dass Legitimation keine solide Basis unternehmerischer Strategie sein kann. Ob man Public Value eher reaktiv und legitimatorisch als proaktiv und strategisch auffasst, ist nicht nur eine theoretische Frage, sondern hat ganz konkret Auswirkungen auf Management und Strategie von Medienunternehmen. Sicher: Public Value kostet etwas - etwa wenn man auf das eine oder andere Product-Placement verzichten muss -, aber, so der Kern meines Arguments, Public Value kann auch mehr als nur politische Legitimationsgewinne bringen. Konkrete Beispiele?


Der Debatte z. B., ob der ORF regionale ("österreichische") Wertschöpfung fördert - und dies über die Werbe- und Kreativwirtschaft hinaus, etwa im Bereich des Tourismus oder der Kultur - wird zu ideologisch und zu wenig faktenbasiert geführt. Entweder Public Value leistet Beiträge zu relevanter Wertschöpfung in diesen Bereichen, dann muss man das durch Zahlen und Fakten belegen können. Oder nicht. Dann wäre eine Änderung der Strategie notwendig. Da wären einmal nicht die Redaktionen, sondern Forschungsabteilungen, Marketing und Branding gefordert. Warum z. B. macht der ORF nicht klarer, dass die Qualität von Öffentlichkeit eine Schlüsselfrage der Mediendemokratie ist, und zwar zusammen mit allen anderen, die auch Public Value produzieren? Da wäre die Bereitschaft zur Kooperation oder "Cooptation" und damit die strategische Unternehmensführung gefordert. Denn nur so wird man die politischen Entscheidungsträger überzeugen können, dass es jenseits von partikulären Interessen von Unternehmungen um die Organisation von Wertschöpfung

für die Gesellschaft geht.


Die Frage z. B, warum sich der ORF beim Verkauf von Werbezeiten an Altersgrenzen hält, die weder der soziodemografischen Realität (Stichwort: Best Agers) noch dem Altersschnitt bei vielen Sendungen entspricht? Zumal es ja seltsame Folgen in verzweifelten Verjüngungsversuchen (zumindest eines Programms) gebiert, die dem Ziel der Produktion von Public Value nicht selten einen Bärendienst erweisen. Warum zeigt die ORF-Medienforschung nicht auf, dass auch Menschen jenseits der 50 attraktive Zielgruppen sind, deren Markenpräferenzen keineswegs gefestigt sind? Warum steigt der ORF nicht auch redaktionell in eine Debatte ein, die die Jugendfixierung der Werbewirtschaft vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft kritisch thematisiert? Warum beugt man sich einem System, das man selbst mitproduziert hat? Warum zeigt man nicht, dass "Kukident Fernsehen" ein diffamierender Begriff aus der Frühzeit des dualen Systems ist? Da wären die kaufmännischen Abteilungen gefordert.

In all diesen Bereichen sollte der ORF den Diskurs eröffnen und könnte - so meine Vermutung - Legitimation, Reputation, aber auch Refinanzierungsquellen erschließen. Wenn man den Begriff "Public Value" nicht nur als redaktionelle Aufgabe und als Gebührenlegitimationsgrund versteht, sondern als Imperativ für innovatives und ernst gemeintes Stakeholder-Management.




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"Public Value am Programm diskutieren"
Matthias Karmasin, Universität Klagenfurt
Public Value als Wertschöpfungsbegriff, Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt abspielen
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Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Klagenfurt
Texte 6, u.a. mit Beiträgen von Fritz Hausjell, Christoph J. Virgl und Nicole Gonser abspielen
Texte 6
u.a. mit Beiträgen von Fritz Hausjell, Christoph J. Virgl und Nicole Gonser