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Ich bin mehr Umblätterer als Leser...

AO. Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Ing. Georg Hauger, TU Wien


Aufmerksamkeitsverlust? Aufmerksamkeitsbindung durch Service? Verkehr und Mobilität als Beispiel für den Servicegedanken des ORF.

Umwege, so heißt es, erhöhen die Ortskenntnis. Daher sei mit einem Umweg begonnen, der bereits bei der Überschrift beginnt. Dank an Thomas Bernhard für die freundliche Überlassung der Formulierung.

Texte überfliegen. Websites anklicken. „Surfen“ sagt man nicht mehr, obwohl es die fraktionierte Informationsaufnahme besser beschreibt. TV-Kanäle durchzappen. Mobile TV. Radio hören? Podcasts laden. Blogs, Tweets. Reduktion der Information auf Symbole und Abkürzungen. Von Smileys (es geht mir gut), Daumen hoch (gefällt mir) bis zu R.I.P. (zum Ableben einer Person, einer in Konkurs gegangenen Unternehmung oder generell zu „schade, dass es vorbei ist“).

Mit dieser unvollständigen Aufzählung der Informationsaufnahmemöglichkeiten ist zweierlei angedeutet: Änderung des medialen Angebots und Änderung der Nachfrage durch Innovation, sowohl medial als auch strukturell.

Das Spannende daran ist die Frage: Erzeugen Innovationen ein geändertes Verhalten bei Medienkonsumenten oder – etwas tricky – gibt es eine bestimmte Konsumsehn-sucht, die Ausgangspunkt für Innovationen ist?

Wie auch immer, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss man sich dieser Frage von beiden Seiten nähern. Im Gegensatz allerdings zum privaten Mitbewerb ist man
eingebettet in einen öffentlich-rechtlichen Auftrag und noch viel wichtiger: in ein selbst auferlegtes Qualitätsstreben, um nicht zuletzt darin einen USP zu generieren.

Dabei ist es allerdings nicht ganz leicht, entsprechende Qualität (was das genau ist, wird weiter unten noch zu definieren sein) über die relevanten Kanäle zu verbreiten und dabei noch möglichst publikumswirksam zu sein. Die Publikumswirksamkeit ist selbst-verständlich ein Produkt der Zeit und der vorhandenen Möglichkeiten.

In Bezug auf Informationen aus dem Bereich Verkehr und Mobilität fällt einem fast zwangsläufig eine Sendung des ORF-Radios ein, deren Titel aus heutiger Sicht doppelt politisch unkorrekt wäre. Erstens, weil er ein Verkehrsmittel im Namen trägt, das heute in der öffentlichen Meinung (ganz im Gegensatz übrigens zur Nutzung) für fast alles böse und schlechte (also Klimawandel, Zersiedlung, Getötete und Verletzte) verantwortlich ist, und zweitens, weil auf eine gendergerechte Formulierung, mangels Kenntnis einer möglichen Diskriminierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, verzichtet wurde. In der Zeit, in der der „Autofahrer unterwegs“ war, las man Bücher wie „Wo fahr’ ich hin, wo bleib’ ich steh’n“, hörte sich die Tageskurse für den Fremdenverkehr an, ehe Axel Corti schalldämpfte. Aus heutiger Sicht gab es damals keine größeren Verkehrsprobleme. Und wenn doch, zum Beispiel bei Wintersperren lernte man als junger Mensch
so exotische Orte kennen, die immer Doppelnamen zu haben schienen und sich anhörten wie Au-Damüls-Lech-Warth-Alpe-Rauz, wo immer das sein mag, so dachte man damals. Verkehrsnachrichten als Geografie Unterricht? Wie gesagt, Umwege erhöhen die Ortskenntnis. Die Zeit verging, aus der B17, der Triester Bundesstraße, wurde die B17, die ehemalige Triester Bundesstraße, und aus dieser letztendlich irgendwie die A2.

Heute kann man aus einer Vielzahl an Informationsmöglichkeiten des ORF wählen, um sich über die aktuelle Verkehrslage zu informieren. Die Möglichkeiten können als bekannt vorausgesetzt werden. Ebenso deren prinzipielle Qualität.

Um die Nutzung von bzw. gar Entwicklung von Innovationen braucht man sich beim ORF keine Sorgen zu machen.

Wie sieht es aber mit den Inhalten aus? Welche Erwartungen darf man diesbezüglich, zumindest vonseiten der Wissenschaft, haben? Vorweg: Fast alle werden vom ORF erfüllt, man muss schon hyperkritisch sein, um den nur in homöopathischen Dosen vorhandenen Kritikpunkten auf die Spur zu kommen.

Es soll hier nun also der Versuch unternommen werden, quasi exemplarisch für alle Serviceleistungen, nur einige wenige aus dem Verkehrsbereich herauszunehmen, um diese Erwartungen, vor allem aber Verstöße dagegen zu illustrieren. Eigentlich sind diese ganz simpel: Informationen ohne Ideologie. Und genau das ist nicht ganz leicht. Zu groß scheint die Verlockung, Mainstream zu generieren, die Macht dazu hat man ja. Also Themen aufzugreifen, die, weil medienwirksam, publikumswirksam, werbewirksam etc., geeignet sind, Standpunkte, Ideologien eben, oder eben nur besseres Wissen zu transportieren.


Gerade im Verkehrsbereich gibt es viel davon. Das beginnt bereits beim Wording: Allein die Tatsache, dass das Wort Verkehr, weil negativ belastet, mehr und mehr durch das positiv konnotierte „Mobilität“ ersetzt wird. Freilich haben die beiden Begriffe unterschiedliche Bedeutungen, aber eben nicht die vermeintlichen: Verkehr ist schlecht, Mobilität ist gut. „Mehr Mobilität bei weniger Verkehr.“ Diese populistische Schwachsinnsformulierung gibt es wirklich. Googlen Sie es. In der Hitparade der ökologischen Ungustln gibt es die Steigerung vom Pkw zum Lkw, weiter über den ausländischen Lkw bis hin zum ausländischen Transit-Lkw. Und schon schwingt durch eine bestimmte Wortwahl (Bilderauswahl) eine unausgesprochene Schuldzuweisung mit. So entsteht Mainstream und gesteuerter Common Sense im eigentlichen Sinne des Wortes, also Hausverstand (der keiner ist). Ein Beispiel? „Die Transitlawine donnert durch die Heimat.“ Wer kennt sie nicht, diese Formulierung? Wer hat nicht die Bilder eines rauchenden Auspuffs aus der Froschperspektive im Kopf. Hustende Kinder im Hintergrund. Edelweiß. Berge. Und natürlich: Der öffentliche Verkehr ist immer gut. Jedenfalls so gut, dass man beim Fordern von Kostenwahrheit im Verkehr beim öffentlichen Verkehr lieber wegsieht.

Verkehrsprobleme sind in der Regel sehr komplexe Probleme. Ihre Lösungen auch. Daher wäre es etwa unseriös, simple Heilsbotschaften von selbst ernannten oder vermeintlichen Experten (manche davon werden sogar als Verkehrspapst bezeichnet) einseitig zu präsentieren. Verglichen mit einer Lawine ist etwa der Lkw-Transit-Verkehrsanteil, egal ob gemessen in Fahrleistung oder Verkehrsaufkommen, ein Schneeball. Der Rest ist hausgemacht – aber das will man ja nicht hören. Stichwort: Feindbildpflege. Hier könnte man endlos Beispiele aufzählen.

Ideologie versteckt sich auch in Panikmache. Jeder fürchtet sich vor Geisterfahrern, vor denen fast täglich ausgiebig gewarnt wird. Durchschnittlich sterben geschätzt ca. fünf Personen pro Jahr bei Geisterfahrerunfällen, rund 200 durch überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol am Steuer. Meldungen, wonach man sich vor Alkolenkern (hier wurde bewusst auf eine gendergerechte Formulierung verzichtet) in Acht nehmen soll, dürften selten sein.


Eine geniale Idee ist die Etablierung der Ö3ver. Hierbei wird Schwarmintelligenz genützt und zusätzlich eine Win-win-win-Situation geschaffen. Die gewarnten Verkehrsteilnehmer erhalten eine aktuelle Information, die Informationsbereitstellungskosten sind

für den ORF vernachlässigbar und der Clou: Die Fische im Schwarm machen mit, weil mit Freiwilligenarbeit Altruismus bewiesen werden kann und der offenbar individuelle Wunsch nach gesellschaftlicher Mitgestaltung ein starkes Motiv ist. Die größte Belohnung ist es freilich, live auf Sendung zu sein. Österreichischer Dialekt in den Verkehrsnachrichten – Umwege erhöhen, ..., aber das hatten wir schon.

Fraglich im Sinne der Verkehrssicherheit ist es freilich, wenn diese Schwarmintelligenz missbraucht wird, etwa zum Warnen vor Radarüberwachung. „Achtung, auf der B54 in St. Ventil am Reifenschlauch Fahrtrichtung Wien wird geblitzt!“ Auch hier dürften Meldungen selten sein, dass in St. Ventil eine Hochzeit zu Ende geht und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, alkoholisierten Fahrern zu begegnen.

Gefährlich wird es auch dann, wenn aus wohlmeinender Information Reaktanz entsteht, wenn man also via Medien gleichsam belehrt wird, etwa, welches Verkehrsmittel für einen bestimmten Fahrtzweck das Beste sei, z. B. bei Großveranstaltungen. Dann nämlich wird unter Umständen das Gegenteil des erwünschten Verhaltens (Mainstream) erreicht, weil eben ein Abwehrverhalten gezeigt wird, gegen Bevormundung. Das ist besonders dann schlimm, wenn die Empfehlung nicht weiter verarbeitet werden kann: „Es wird empfohlen, großräumig auszuweichen!“ Aha. Was macht man mit dieser Empfehlung. Wozu überhaupt eine Empfehlung?

Es ließen sich weitere Beispiele aufzählen. Grundtenor ist, dass beim Segment Service nicht das Ideologische, das Marktschreierische, das Oberlehrerhafte, das Besserwissende gefragt ist, sondern nüchterne Informationsqualität ohne Bewertung bzw. Handlungsanweisungen. Mit der sachlichen, nüchternen Information kann dann der mündige Medienkonsument, und den setzen wir voraus, selbst seine Schlüsse ziehen und Entscheidungen fällen. Das ist dann Servicequalität im Sinne eines Public Value. Kundenbindung und Aufmerksamkeitsbindung gehen damit einher, weil dem Medienkonsumenten auf Augenhöhe begegnet wird. Anderenfalls wird er vielleicht mehr zum

Umblätterer als zum Leser. •


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