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Welche Diversität für welchen Public Value?

Mag.a. Dr.in Petra Herczeg, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien


Diversität macht eine Gesellschaft wertvoller - und diesen gesellschaftlichen Mehrwert müssen die Medien als Reflexionsebene der Gesellschaft widerspiegeln. Dadurch wiederum generieren die Medien für sich und ihre Publika Mehrwert: weil sie für unterschiedliche Publikumssegmente Anknüpfungspunkte bieten, und weil sie für die jeweils "anderen" zusätzliche Informationen bereitstellen, die eine Lebensbewältigung in einer vielfältigen Gesellschaft erleichtern. Erst durch Informiertheit wird ein gesellschaftlicher Dialog (Polylog) möglich, der über die tradierten Stereotypenzuschreibungen hinausgeht.


Diskussionen über "Diversität" und damit verbunden über "Integration" boomen und können in vielerlei Kontexten festgemacht werden: Der Bogen reicht von philosophischen, sozialwissenschaftlichen, politischen bis zu ökonomischen Auseinandersetzungen. In der Wissenschaft werden "die Vorteile der menschlichen Diversität für Diplomatie und Handel, aber auch - noch allgemeiner - für die soziale Adaptabilität" (Allemann-Ghionda 2011: 16) diskutiert. Dies bedeutet, dass jedes Individuum im Rahmen der eigenen Biografie Diversität erfährt und mit ihr umgehen muss. Die unterschiedlichen sozial und geografisch bedingten Werte und Normensysteme sind für die einzelnen Menschen nicht mehr als unveränderlich erlebbar, sondern einem permanenten Wandel unterworfen, beeinflussen einander und schaffen neue Regeln, die wiederum Veränderungen unterworfen sind.

Daraus ergibt sich ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen "Integration" und "Diversität". Das eine ist ohne das andere schwer möglich, und gesellschaftlich wechselseitig bedingt.

Aber wie sieht die "Einbeziehung der anderen" wirklich aus? Wie groß ist das Interesse für die anderen? Und was bedeutet Diversität für die Medien selbst?

Der Begriff bezieht sich sowohl auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen. Diversity Management in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft und mit unterschiedlichsten Typen von Diversität ist der gezielte Umgang mit Vielfalt, die nicht anders denn als Normalität und Ressource zu begreifen ist. Genau unter dieser Prämisse setzen die weiteren Diskurse an, wenn es darum geht, dass Massenmedien in der Mitgestaltung des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft eine essenzielle gesellschaftliche Aufgabe übernehmen. Inwieweit Medien "Deutungsentwürfe der gesellschaftlichen Realität in ihrer Vielfalt" (Röben 2008, 141) darstellen, oder ob sie nur einen bestimmten Ausschnitt der gesellschaftlichen Realität thematisieren, auch daran lässt sich die Qualität medialer Kommunikation bemessen. "Human diversity management" ist einer der Wege, um diese Qualität zum Beispiel hinsichtlich der Repräsentanz von ethnischen Minderheiten bei der Produktion von Medieninhalten (vgl. Trebbe 2009) zu steigern. Aber wie soll "Diversität" in den Medienunternehmen bzw. in den einzelnen Redaktionen gewährleistet werden? In diesem Zusammenhang werden immer wieder Quotenregelungen und neue Qualifikationsprofile für Migrantinnen und Migranten diskutiert, wobei es bei diesen Ansätzen immer auch um die Frage geht, wie Diversität in den alltäglichen Abläufen der Medienbetriebe organisiert werden kann. "Diversity-Mainstreaming", die kontinuierliche Förderung von Vielfalt, hat in den USA Tradition, wo Medienunternehmen durch gesetzliche Vorschriften zu Diversity Management verpflichtet sind. Die "Society of Professional Journalists" geht in ihren ethischen Standards auf den Umgang mit "Diversität" ein und appelliert an die Journalistinnen und Journalisten, auch dann über "Diversity" zu berichten, wenn es unpopulär sein sollte: "Tell the story of the diversity and magnitude of the human experience boldly, even when it is unpopular to do so; Examine their own cultural values and avoid imposing those values on others; Avoid stereotyping by race, gender, age, religion, ethnicity, geography, sexual orientation, disability, physical appearance or social status" (www. spj.org/ethicscode.asp).


Diversity Mainstreaming

In den USA und Kanada werden kontinuierlich Studien durchgeführt, die den Anteil von Journalistinnen und Journalisten mit unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten in den Redaktionen erheben. Die Studienergebnisse dienen als Grundlage, um zumindest mit der Strategie des "Diversity Mainstreaming" über den Stellenwert und das Ziel einer höheren Beteiligung von Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund diskutieren zu können. Allerdings zeigen praktisch alle Erfahrungen: Wenn keine gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden, bleiben erarbeitete Vorschläge der unterschiedlichsten Akteure unverbindlich und daher abhängig von der Initiative einzelner Medienbetreiber.


Public Value ist unabhängig vom Charakter des Mediums schon von der Begrifflichkeit her unweigerlich immer auch mit Diversität verbunden, mit einer inhaltlichen und qualitativen Vielfalt, die sowohl unterschiedliche Akteure einbezieht als auch Themen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Die BBC hat im Jahr 2000 gemeinsam mit anderen Fernsehanstalten das Cultural Diversity Network (CDN) gegründet, mit dem erklärten Ziel, "Diversity" - auch aus ökonomischen Gründen - zu fördern. In den Richtlinien wird empfohlen, Daten der Medienforschung zusammenzuführen, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Networks Vielfalt innerhalb der Vielfalt - "diversity within diversity" - bei der Berichterstattung von Gruppen und Individuen ethnischer Minderheiten näherbringen zu können (vgl. "The CDN Strategy").

In einer aktuellen Studie über die Repräsentanz von Migrantinnen und Migranten in den österreichischen Hörfunknachrichtensendungen von zwei privaten (Radio Arabella, Radio Engery) und drei öffentlich-rechtlichen (Ö1, Ö3, Radio Wien) Radiosendern zeigte sich, dass es hier im Untersuchungszeitraum geringe Unterschiede zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Radiosendern gab und dass die Berichterstattung fair und ausgewogen war (vgl. Brantner/Herczeg 2011), auch wenn anzumerken ist, dass Migrantinnen und Migranten als Akteure in den Hörfunknachrichten insgesamt weniger Artikulationschancen hatten als die klassischen etablierten Akteure wie etwa Politiker/innen oder auch Behördenvertreter/innen. Aber genau darum geht es, um eine Chancengleichheit im Diskurs, die nicht nur den Fokus auf die etablierten Sprecher/ innen legt, sondern eine qualitative Vielfalt der Diskussion ermöglicht. Ethnische Diversität ist als gesellschaftliche Normalität zu begreifen, indem die Bedürfnisse unterschiedlicher ethnischer Gruppen im Kanon der Medienangebote berücksichtigt, aber nicht als Alleinstellungsmerkmal klassifiziert werden sollten.

Gesellschaftlicher Mehrwert durch Diversität

Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1775) hat darauf verwiesen, dass Ungleichheit, also Macht- und Statusunterschiede, nicht von Natur aus vorkommen, sondern dass Ungleichheit von Menschen gemacht ist. Diese These hat zu seiner Zeit für heftige Diskussionen gesorgt und ist auch heute noch in den Diversitätsdiskursen als eine der Leitargumentationen zu finden. In den gegenwärtigen Debatten können zwei diametral entgegengesetzte Argumentationslinien ausgemacht werden: einerseits eine "Rhetorik des Zelebrierens von Diversität und die Realpolitik und Praxis der Ablehnung von Diversität zugunsten eines Neo-Assimilationismus" (Allemann-Ghionda 2011: 23). Die EU reagiert auf dieses Problem mit der Empfehlung einer zielgruppenübergreifenden, ressourcenorientierten Diversitäts-Politik, der sich besonders öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verpflichtet fühlen müssten.

Public Value - als gesellschaftlicher Mehrwert - ist dem Publikum verpflichtet, und wie auch Rousseau meint, kann das Gemeinsame in den verschiedenen Interessen das gesellschaftliche Band bilden. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben die Möglichkeit, dieses Band für die Gesellschaft bereitzustellen. •

Literaturhinweis: Allemann-Ghionda, Cristina (2011): Orte und Worte der Diversität - gestern und heute. In: Allemann-Ghionda, Cristina/ Bukow, Wolf-Dietrich (Hrsg.): Orte der Diversität. Formate, Arrangements und Inszenierungen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 15-35.

Brantner, Cornelia/Herczeg, Petra (2011): Diversität und Rundfunk. Die Integrationsleistung des österreichischen Hörfunks - Die Repräsentanz von MigrantInnen in Radionachrichtensendungen. Projektbericht. Universität Wien. Röben, Bärbel (2008): Migrantinnen in den Medien. Diversität in der journalistischen Produktion - am Beispiel Frankfurt/Main. In: Wischermann, Ulla/ Thomas, Tanja (Hrsg.): Medien - Diversität - Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden: VS Verlag, S. 141-159.

Trebbe, Joachim (2009): Ethnische Minderheiten, Massenmedien und Integration: eine Untersuchung zu massenmedialer Repräsentation und Medienwirkungen. Wiesbaden: VS Verlag.

http://www.creativediversitynetwork.org/pdfs/The_CDN_Strategy06_09_11.pdf

www.spj.org/ethicscode.asp


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© ORF/Günther Pichlkostner
DialogForum »Wie lecker ist Österreichisch?«
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Texte 7, u.a. mit Beiträgen von Kati Förster, Petra Herczeg und Ingrid Paus-Hasebrink abspielen
Texte 7
u.a. mit Beiträgen von Kati Förster, Petra Herczeg und Ingrid Paus-Hasebrink