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DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS

Manuskript der Rede von ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz bei den Medientagen 2012 in Wien


Fernsehen hat unsere Bilder von der Welt seit der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts an geprägt. TV ist das Leitmedium und bleibt es auch. 2011 war europaweit das Jahr mit dem höchsten Fernsehkonsum der Geschichte. In Österreich stieg der TV-Konsum pro Kopf im Durchschnitt von 127 Minuten 1991 auf 167 Minuten pro Tag 2011 auf den bisherigen Höchststand. Wir liegen jetzt mit den ORF-Programmen auch wieder über 50 Prozent, konkret 51 Prozent der Haushalte nutzen täglich die ORF-Programme. HD-Flatscreens führten zu einem unglaublichen Investitionsboom der privaten Haushalte ins Medium TV. Innerhalb von drei Jahren verdoppelte sich der Anteil der HD-fähigen Screens in den Haushalten von 30 auf 64 Prozent.

Das Fernsehen hat Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aber Fernsehen kann nicht nur auf seine Stärke vertrauen: Die TV-Industrie steht vor massiven Veränderungen und der Herausforderung, auf einen gigantischen Technologiesprung richtig zu reagieren:

Mobile Plattformen vom Laptop über iPad bis Smartphone ergänzen die Möglichkeiten. Connected TV wird die Möglichkeiten des Internets erstmals plausibel mit der Convenience des klassischen TV-Geräts verbinden. Zusätzlich zum Antennen-/Kabelanschluss erhalten TV-Geräte einen breitbandigen Anschluss und werden zum Smart-TV.

Die Intelligenz von Smart-TV-Rechnerleistung, Speichermedien und Softwareintegration erreichen das Niveau der aktuellen Tablets. Damit kommen zusätzlich zu den klassischen Fernsehprogrammen alle nur erdenklichen Angebote aus dem Netz auf den Wohnzimmerbildschirm. Die traditionellen Fernsehanbieter werden auf ihrer eigenen Plattform am TV-Screen mit bisher nicht dagewesener Konkurrenz aus dem Netz konfrontiert.

Google und Apple-TV bereiten sich gerade vor, aus „unserem“ Bildschirm ein von diesen Giganten kontrolliertes Display zu machen. Gegen deren Kapitalkraft ist selbst die News Corporation ein Mittelständler, deren Innovations- und Lobbying-Power sind respekteinflößend.

Und demgemäß müssen wir uns vorbereiten, in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Hoheit über die TV-Screens zu behalten. Wir sind gefordert, nicht zur austauschbaren App in einem fremdbestimmten Schirm zu werden! Wir, das sind TV-Unternehmen, egal ob kommerziell oder öffentlich-rechtlich, egal ob national oder in internationalen Gruppen organisiert. Wir müssen uns vorbereiten, aber auch gemeinsam für Rahmenbedingungen kämpfen, die uns gegenüber der neuen Konkurrenz nicht ins Hintertreffen geraten lassen.

– Wir müssen das auf europäischer Ebene EBU und ACT tun. Wir müssen unsere legitimen Interessen definieren und durchsetzen.
– Wir müssen den ungehinderten Access des Publikums zu unseren Inhalten auch über das Breitband sicherstellen.
– Wir müssen sicherstellen, dass wir den Zugang zu für unser Publikum wichtigen Rechten haben.
– Wir müssen sicherstellen, dass unsere Wertschöpfungskette nicht durch Dritte unterbrochen oder geschmälert wird, indem Dritte unsere Contents ganz oder teilweise ohne unsere Zustimmung nutzen bzw. verwerten.
– Wir müssen die Integrität unserer Inhalte sicherstellen.

Das sind diffizile Copyright- und Wettbewerbsregeln – ebenso wie der Kampf um Frequenzen und Regeln für Netzneutralität von Rahmenbedingungen.

Das erfordert aber auch die Vorbereitung in unserem Unternehmen: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Contents auch im Status der finalen Konvergenz auffindbar bleiben: Im ORF arbeiten wir daran, dass unsere Inhalte durch Schaffung in einer komplett neuen Metadatenarchitektur so aufbereitet und beschrieben werden, dass sie gute Chancen haben, von den Suchalgorithmen erfasst zu werden.

Das erfordert die sinnvolle Verbindung und Neuaufstellung von zumindest acht unterschiedlichen Contenterfassungs- und Aufbereitungssystemen und die produktionsnahe Erfassung der Metadaten in neuen, auch fordernden Workflows.

Smart-TV wird auch stark „Social TV“-Funktionen haben. Fernsehen war immer auch sehr stark ein Gemeinschaftsmedium. Gemeinsamer Fernsehkonsum mit Nachbarn, Freunden, in der Familie gehört ebenso zur Folklore wie das Besprechen von Fernsehinhalten am nächsten Tag in der Firma.

Die stark ansteigende Fragmentierung der Gesellschaft führt zu einem steigenden Bedürfnis nach sozialem Austausch mit und über TV-Inhalte:

Social TV ist die kommunikationstechnologische Antwort darauf.

Neben den allgemeinen Social Medias wie Facebook oder Twitter bilden sich spezialisierte neue Medien. Das sind rund um das TV und seine Genres gruppierte Soziale Netze wie Miso oder Tunerfish. Es wird von entscheidender Bedeutung für Fernsehunternehmen sein, diese speziellen Angebote nutzen zu können.

Man diskutiert, was man gerade sieht, und bewertet, was man gesehen hat, oder verabredet sich für kommende Fernsehereignisse. Die Interaktion wird erst am großen Smart-TV-Screen oder am Second Screen, iPhone oder iPad stattfinden – und zwar untereinander und in der Peer Group — nicht unbedingt interaktiv mit dem Sender. Dennoch: Die direkte Anbindung zwischen unserem Smart-TV-Program-Guide und relevanten Social-TV-Netzen in Form von Share- und Recommend-Buttons ist eine Überlebensfrage.

Wir brauchen Deep Links auf einzelne konkrete, auffindbare Inhalte, die der User innerhalb dieser Netze teilen und empfehlen kann, und damit die Möglichkeit zu viraler Ausbreitung.

In der analogen Welt war der Fernsehapparat im Familienwohnzimmer das Lagerfeuer, um das sich die Familie versammelte. In der Smart-TV-Welt übernehmen die Social-TV-Funktionen die Rolle des virtuellen digitalen Lagerfeuers.

Hier müssen die Bestimmungen des ORF-Gesetzes – Stichwort Facebook-Verbot – angepasst und präzisiert werden!

Wir müssen auch die Convenience unseres Produkts erhöhen – die technologische Entwicklung macht linearzeitversetztes Fernsehen möglich, also das nahtlose Zurückspulen des laufenden Programms:

In der Schweiz gibt es seit 2012 beim IPTV-Provider Sunrise das „Comeback-TV“: 40 Sender können bis zu 28 Stunden zurückgespult werden, ohne vorher aufgezeichnet werden zu müssen.

Ähnliches würde in Österreich massive Urheberrechtsprobleme aufwerfen: Eine gemeinsame Anstrengung der österreichischen Sender gemeinsam mit österreichischen Kabelbetreibern wäre hier dennoch sehr zu überlegen.

Dies sind nur drei der Felder, auf denen die disruptive technologische Entwicklung Antworten von uns fordert. Wir arbeiten mit Hochdruck daran und werden uns auch von kleingeistigem Geplänkel nicht davon abhalten lassen.

Entscheidend für den Erfolg ist nicht nur, die digitalen Verkehrswege zu unseren Kunden zu verteidigen und zu schützen, sondern natürlich die unverzichtbaren Contents:
– Live-Information aus der ganzen Welt

– Live-Information aus unseren Regionen

– Unverwechselbarer Topjournalismus

– Live-Shows, Topsport und Kulturhighlights

– und natürlich unverwechselbare eigenständige Fiktion wie „Braunschlag“.

Contents wie diese bleiben auch in Zukunft eine klare Erfolgsstrategie. Mit diesen Inhalten hat Fernsehen auch in der neuen Welt der Konvergenz absolut Zukunft. •


DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS, Manuskript der Rede von ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz bei den Medientagen 2012 in Wien abspielen
DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS
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Auf dem Weg zum Publikum, Dr. Florian Oberhuber, SORA Institute for social Research and Consulting abspielen
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Zeitgeschichtsforschung und Fernsehen: Neue interaktive Kooperationsoptionen, Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien abspielen
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Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Wissenschaft in Österreich, Dr. Josef Seethaler und O. Univ.-Prof. Dr. Helmut Denk abspielen
Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Wissenschaft in Österreich
Dr. Josef Seethaler und O. Univ.-Prof. Dr. Helmut Denk
WERT ÜBER GEBÜHR? Medienethik, Medienverantwortung und Public Value in der pluralistischen Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. h.c. Ulrich H. J. Körtner abspielen
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Univ.-Prof. Dr. h.c. Ulrich H. J. Körtner
Texte 8, u.a. mit Beiträgen von Ulrich J. Körtner, Josef Seethaler und Helmut Denk abspielen
Texte 8
u.a. mit Beiträgen von Ulrich J. Körtner, Josef Seethaler und Helmut Denk