DE | EN
DE | EN
[Eine Seite zurück]

Public Service - große Bedeutung für kleine Länder

Ladina Heimgartner, SRG SSR Märkte und Qualität


Österreich und die Schweiz haben in Bezug auf die Medienlandschaft eine starke Gemeinsamkeit: Beide haben sie einen Next-Door-Giant-Neighbour, also einen großen (gleichsprachigen) Nachbarstaat, auf dessen Medienangebot die Einwohner­ des Kleinstaates zugreifen können. Im Fall von Österreich ist dies Deutschland, im Fall der Schweiz sind es Deutschland, Frankreich und Italien. Neben diesen „Riesen“ gibt noch weitere und noch größere Riesen, die in der Medienwelt­ mit ihren Angeboten zunehmend an Gewicht gewinnen: globale Riesen­ wie etwa Apple oder Google.

Zwischen all diesen Riesen erscheinen die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser der Kleinstaaten wie Zwerge. Die audiovisuelle Angebotspalette ist zudem mittlerweile so breit, so umfassend und so präzis segmentiert, dass sich etwa Archäologie-Liebhaber weltweit mühelos Zugang zu ihrem Lieblings-Archäologie -Sender verschaffen können. Wer das ganze Jahr über Weihnachtslieder hören möchte, kann das via Internetradio problemlos tun. Es wundert diesbezüglich nicht, dass sich die Ansicht verbreitet, es brauche im Grunde keinen Public Service mehr, zumal der Markt ja scheinbar alle Bedürfnisse abdeckt, die Meinungsvielfalt gewährleistet oder für jede Sparte etwas bereithält.


Doch so einfach ist es nicht.

Medienhäuser mit öffentlich-rechtlichem Auftrag stehen im Dienst der öffentlichen Sache. Für diese haben sie gesetzlich festgelegte „Mehr-Werte“ zu schaffen. Der ORF beispielsweise hat für sich basierend auf dem ORF-Gesetz u. a. den „Österreichwert“ als einen von fünf zentralen Werten definiert. Der „Österreichwert“ ist jener Wert, der auch als „Klammerfunktion“ oder als „nationale Kohäsion“ bezeichnet werden kann. In diesem Zusammenhang spielt die „Identität“ eine wichtige Rolle. Durch „Anchors“, die im ganzen Land bekannt sind, fördern öffentlich-rechtliche Medienhäuser zum Beispiel den landesweiten Zusammenhalt. So ruft wohl beispielsweise das Stichwort „Clown Enrico“ bei vielen jungen Erwachsenen von Oberösterreich bis Kärnten Kindheitserinnerungen wach, „Tom Turbo“ ist bei Kindern im ganzen Land ein Begriff. Oder ganz simpel: Dank des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner flächendeckenden Versorgung werden gemeinsame Erlebnisse ermöglicht. Am deutlichsten zeigt sich dies etwa, wenn bei großen Sportanlässen weite Teile der Bevölkerung gemeinsam mit ihrer Mannschaft mitfiebern.


Neben dem verbindenden, identitätsstiftenden Mehrwert fördern und pflegen Medienhäuser mit öffentlich-rechtlichem Auftrag auch die Vielfalt – den Föderalismus. Im europäischen Kontext betrachtet hat sich beispielsweise auch die föderalistische Aufgabe des ORF in den letzten 20 Jahren gewandelt. So verbindet der ORF heute nicht nur die Allgemeinheit der neun Bundesländer mit der gesamtösterreichischen Allgemeinheit, sondern bindet diese zusätzlich in die Allgemeinheit des Staatenbundes EU an. Public Service verfolgt also auch den staatspolitischen Zweck, auf unterschiedlichen Stufen Öffentlichkeit herzustellen und diese parallel dazu immer wieder aneinander anzubinden. Die Schweiz ist zwar kleiner als Österreich und kein EU-Mitglied, doch setzt sich die Schweiz aus vier Landesteilen zusammen, die nicht nur bezüglich der Sprache ein hohes Maß an Heterogenität aufweisen. Als gemeinsames Medienhaus bietet die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG für die drei größeren Sprachregionen ein umfangmäßig vergleichbares audiovisuelles Angebot, für die rätoromanische Minderheitsregion ein etwas kleineres – ein Angebot jedoch, das in dieser Form durch private Anbieter nicht erbracht werden könnte oder würde.

All diese Elemente – mögen sie noch banal erscheinen – sind von staatspolitischer Relevanz, denn sie verbinden die Menschen und tragen letztlich zur Festigung und zum Zusammenhalt innerhalb des Bundesstaates bei.

Während bislang eher von geistigen Werten die Rede war, so sei hier noch ein Aspekt angesprochen, der bis zum letzten Cent beziffert werden kann:

Während der vergangenen 15 Jahre hat die SRG in der Schweiz mehr als 250 Mio. Euro ins einheimische Filmschaffen investiert. Dies obwohl eine Minute einer konkurrenzfähigen TV-Sendung in der Schweiz mindestens 8.300 Euro kostet, während die beliebtesten US-Serien (z. B. „Desperate Housewives“) für rund 83 Euro zu haben sind. Der ORF investiert jährlich rund 95 Mio. Euro in österreichische Film- und Fernsehproduktionen. Medienhäuser mit öffentlich-rechtlichem Auftrag tragen wesentlich zur Wertschöpfung bei. So schreibt die „Wochenzeitung (WOZ)“ vom 19. Jänner 2011 etwa: „[…] Fast alle freiberuflichen Kameraleute, Tontechniker, Ausstatterinnen und so weiter können letztlich nur dank der Aufträge des Fernsehens von ihrem Beruf leben […].“

Wertschöpfung, Identität, Föderalismus: Öffentlich-rechtliche Medienhäuser erfüllen einen wichtigen staatspolitischen Zweck – ganz besonders trifft dies auf den Public Service der von Riesen umgebenen Kleinstaaten zu. Wer unter den privaten Anbietern leistet puncto nationaler Kohäsion Ähnliches?

Doch müssen wir uns nichts vormachen: Werte sind nicht spektakulär. Es ist schwer, mit Leistungen für die nationale Kohäsion beachtliche Quoten zu generieren oder Begeisterungsstürme in der breiten Masse auszulösen.

Public-Service -Medienhäuser müssen sich unermüdlich für diese Leistungen einsetzen und sie müssen sie unermüdlich sichtbar machen und ins Gespräch bringen. Gelingen kann dies beispielsweise, indem durch Themenschwerpunkte relevante nationale Programmakzente gesetzt werden. Gelingen kann das etwa auch in der Unterhaltung – nämlich durch die Pflege und die Förderung von witzig gehaltvollen eigenen Formaten. Dabei müssen es nicht immer die teuersten und aufwendigsten „Kisten“ sein. Es wird künftig wohl nicht reichen, erfolgreiche Unterhaltungskonserven von privaten Anbietern einfach zu kopieren. Der Public Service wird gefordert sein, seinen Kohäsionsauftrag immerzu neu zu beleuchten und ihn nicht nur kompetent, sondern auch kreativ anzugehen. •

Der Artikel ist in TEXTE I (2012) erschienen.