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Kultur im Fernsehen. Ein impliziter Programmimperativ

Univ.-Prof. Dr. Hannes Haas, Universität Wien


Der Wettbewerb auf den Rundfunkmärkten gewinnt an Schärfe. Dass dabei zumindest in Österreich besonders intensiv um einen adäquaten Kulturbegriff gerungen wird, hat nur am Rande mit der stolzen Selbstdefinition des Landes als Kulturnation zu tun. Fernab solcher strategischer Zurüstung lohnt es sich, nicht nur vor dem Hintergrund praktischer Regulierungsprobleme, sondern grundsätzlich darüber nachzudenken, wie dynamischer gesellschaftlicher (und kultureller) Wandel und normative rundfunkpolitische Vorgaben sinnvoll in Einklang gebracht werden können. Die folgenden Überlegungen sollen als Beitrag für eine notwendige Diskussion verstanden werden. Denn Fragen von solcher Tragweite brauchen den Austausch der Argumente, um letztlich auch bei der Weiterentwicklung der Rundfunkgesetze Berücksichtigung zu finden. Schließlich herrscht über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit darüber, dass eine Reform der Rundfunkgesetze angegangen werden muss. Der Kulturauftrag sollte dabei – neben der Reform der Aufsichtsgremien, der Finanzierungsfrage oder der Neuregelung der Online- bzw. Social Media-Möglichkeiten des ORF – eine der zu klärenden Materien sein.


Die Frage, was als Kultur im Fernsehen definiert werden soll, ist aufs engste mit der Frage der Erfüllung des Leistungsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verknüpft (vgl. Fiechtner et al. 2011). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den Auftrag, ein Rundfunk der Gesellschaft zu sein, ein Rundfunk also für alle Bürgerinnen und Bürger. Und er hat neben anderen Aufgaben einen Kulturauftrag zu erfüllen. Wenn dafür der enge, klassische Kulturbegriff einer schmalen Schicht Hochgebildeter zum Maßstab kultureller Praxis erhoben wird, entsteht ein Dilemma. Ist dies mit dem Auftrag, der Rundfunk der Gesellschaft zu sein, vereinbar? Oder ist ein „Rundfunk für alle“ daran zu erkennen, dass er gleich alles und jedes zur Kultur erklärt? In Deutschland sind die Positionen klar. 2009 meinte Reinhard Grätz, Vorsitzender des WDR-Rundfunkrates: „Was heißt Kultur für alle!? Ein Schlagwort? Eines steht für mich fest: Der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die Pflicht, allen Bürgern ein für sie angemessenes Kulturangebot im Programm zu machen“ (zit. in: Schulz et al. 2009: 38).

Die nachfolgende Passage versucht die Spannweite zwischen den Argumentationspolen aufzuzeigen. Die „Alles ist Kultur“-Dokrin behauptet, Fernsehen als Kulturfaktor erfasse auch „alle menschlichen Leistungen und Hervorbringungen unter den Begriff der (Human-)Kultur, [es] ist aus dieser Perspektive der gesamte Rundfunkbereich und seine Hörfunk- und Fernsehprogramme unterschiedslos als Teilbereich der Kultur zuzurechnen“ (Kreutz 1995: 22). Differenzierter argumentiert die deutsche Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann. Sie kritisiert den „Defensivbegriff ‚Kultur’ im Fernsehen“, der so verstaubt-pädagogisch sei, „weil die, die ihn benutzen, ihn für ihre Defensive so brauchen: Schaut her, wir machen doch tolle Kultur ohne Rücksicht auf die Quote, wie unser Auftrag es verlangt. Sie sollten aufhören, so zu argumentieren, stattdessen lieber mit ihrem Vollprogramm als einem Kulturprodukt auftrumpfen und darauf bestehen, dass auch und vor allem der ‚Tatort’ Kultur ist“ (Sichtermann 2008: 31). Hier zeigt sich die Ambivalenz des Umgangs mit dem Kulturbegriff: nach wie vor existiert ein Verständnis von Kultur, das diese im engen Segment der Hochkultur verortet und die Dynamik der kulturellen Entwicklung sowie die längst geführten kulturpolitischen Diskussionen über eine Aufhebung der Unterscheidung zwischen Hoch- und Breitenkultur nicht berücksichtigt. Kann der Gesetzgeber das wollen? Das TV als pädagogische Anstalt, eine Elitenkultur ohne Zuseher? Weischenberg (2008: 27) kritisiert, dass, wer für Kulturprogramme ohne Publikum streite, unter den Generalverdacht der Heuchelei gerate. Dass darüber hinaus auch noch zwischen Sichten auf das Medium Fernsehen als kulturellem Phänomen, als kulturelle Institution und als Kultur vermittelnde Instanz unterschieden werden muss, vereinfacht die Diskussion nicht. Einigkeit herrscht nur dahingehend, dass es unterschiedliche Vorstellungen und Regelungsziele und eben deshalb keinen Konsens über das Kulturverständnis im Fernsehen gibt. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Ergebnissen einer umfassenden Studie über das Schweizer Fernsehen (vgl. Fiechtner et al. 2011). Zwischenfazit also: schwierig!


Da ist eine Paradoxie und sie besteht darin, einen statischen Kulturbegriff für Regulierungszwecke festzulegen, um die Anteile am Programm messbar zu machen, während eine andere Denkschule Kultur als offenen Begriff definiert, als Lern-, Versuchs- und Veränderungsunternehmen, als Akt kreativer Verstörung oder Bestätigung, als Wahrnehmungs- bzw. Interpretationsgrenzen erweiterndes Projekt. Ein alter und überwundener Hochkulturbegriff steht einer Vielzahl moderner Entwürfe gegenüber. Die wissenschaftliche Literatur ist kaum noch überschaubar.


Grosso modo lassen sich vier Dimensionen des Kulturbegriffs unterscheiden: (1) Kultur als Kunst und Hochkultur, (2) Kultur als Lebensart, womit etwa Kultiviertheit, Einstellungen, Geschmack, Kunstsinn oder Manieren gemeint sein können, (3) unterschiedliche Kulturen der weltweiten Gesellschaften und innerhalb einer Gesellschaft (Vorstellungen, Sitten, Religionen, Weltbilder, Bräuche etc.) sowie (4) Kultur als Gegensatz von Natur (z.B. „Kulturlandschaft“, „Agrikultur“) (vgl. Klein 2003: 29ff). In der wissenschaftlichen Verwendung können zwei Arten von Kulturbegriffen unterschieden werden: substanzielle und funktionale. Der substanzielle Kulturbegriff versucht Kultur gegenständlich zu fassen, über hochkulturelle Erscheinungen wie z.B. Oper oder Theater, aber ebenso auch Gegenstände der Volkskultur, des Verhaltens sowie des täglichen Umgangs mit Dingen (Ess-, Weinkultur etc.). Dieser Kulturbegriff ist nicht hinreichend operationalisierbar, er kennt kaum Grenzen, weil alles letztlich irgendwie Kultur ist oder sein kann. Der funktionale Kulturbegriff definiert Kultur als Bedeutungs- und Sinnhorizont einer Gesellschaft. Gegenstände und Ereignisse stehen nicht nur für sich selbst, sondern vermitteln und bedeuten etwas, machen Sinn. Was und welchen Sinn sie aber machen, ist nicht für alle Menschen in der Gesellschaft gleich.


Mit der Frage, wie der Sinn in der Gesellschaft verteilt ist, befassen sich Milieu- oder Lebensstilstudien. Pierre Bourdieu (1982) unterscheidet zwischen einem strukturellen (materielle Verhältnisse, Herkunft etc.) und einem kulturellen Habitus, bei dem es auf das soziale Netzwerk ankommt, in dem man sich bewegt und sozialisiert wird, in dem Werte und Einstellungen vermittelt werden. Bourdieu fasst dies mit dem Terminus Geschmack zusammen. Dieser bestimmt im Wesentlichen die soziale Position. Er unterscheidet dabei zwischen einem populären, einem mittleren und einem legitimen Geschmack. Der populäre Geschmack ist auf den Nutzen orientiert, er richtet sich nach der Materialität der Dinge, nach deren Inhalt. Leicht unterhaltende Inhalte werden präferiert, Volksmusik und Schlager haben einen hohen Stellenwert. Der mittlere Geschmack ist ein vorwiegend durch Bildungsinstitutionen vermittelter Geschmack, der weiß, was man gut finden soll, der über kulturelle Kenntnis und Wissen verfügt. Der legitime Geschmack ist als Kennzeichen der Oberschicht von einem selbstverständlichen Umgang mit Kulturprodukten geprägt. Er ist elitär, offen für neue Geschmacks-vorstellungen, die dann in der sozialen Skala nach unten distributiert werden, zunächst den mittleren Geschmack erreichen und schließlich popularisiert werden. (vgl. dazu ausführlich Burkart et al. 2006) Medien können mit Angeboten des populären Geschmacks die größte Reichweite erreichen. Allerdings ist in Gesellschaften mit hohem Bildungsniveau und breit gestreuter Bildung der mittlere Geschmack sozial maßgebend. Tatsächlich bietet aber auch diese Unterscheidung nur ein sehr grobes Raster, weil die individuellen und gruppentypischen Binnendifferenzierungen nicht hinreichend berücksichtigt werden. Das geschieht erst in den Lebensstilstudien. (vgl. Richter 2005) Stark an Konsum und Konsumverhalten vor allem im kulturellen Bereich orientiert, sind

die Lebensstile, die Schulze (1993) in seiner „Erlebnisgesellschaft“ entwickelt. Er stellt diese unterschiedlichen Lebensstile als Milieus vor und unterscheidet: Niveaumilieu, Integrationsmilieu, Harmoniemilieu, Selbstverwirklichungsmilieu und Unterhaltungsmilieu. Mit der Zugehörigkeit zu diesen Milieus sind unterschiedliche kulturelle Vorstellungen und Interessen verbunden. Für die Erfüllung des Kulturauftrags eines öffentlich-rechtlichen Senders ist die Berücksichtigung solcher Publikumsvielfalt unabdingbar. Dies gilt natürlich ebenso für die Programm-und Sendungsangebote, deren Reduzierung auf einen „klassischen (Hoch-)Kulturbegriff“ damit inkompatibel erscheint.

Der Kulturauftrag ist als Teil des Programmauftrags in den gesetzlichen Grundlagen für öffentlich-rechtliche Sender verankert, er findet sich dort als ein Identität stiftendes Merkmal seit der Etablierung dieser Organisationsform. Die Überprüfung der Erfüllung des Auftrags erfolgt in Form von Programmanalysen, deren methodisches Problem darin besteht, dass sie sich an den normativen Anforderungen der Rundfunk-gesetze orientieren, leicht untersuch- und darstellbar sein müssen, aber „dass sich in diesen Sparten die Funktionen, Formate, Inhalte und Zielgruppen vermischen können“ (Krüger 2001: 82). Denn – und das relativiert den Gebrauchswert der Programmanalysen für die Frage nach der Erfüllung des Kulturauftrags beträchtlich – Kultur findet sich auch in den Sparten Information/Bildung oder Musik oder fiktionale bzw. nonfiktionale Unterhaltung, wodurch die tatsächliche Menge an kulturspezifischer Programmleistung statistisch verloren geht (vgl. Katz 2003; Burkart et al. 2006).

Der Kulturauftrag für öffentlich-rechtliche Sender ist so wie der Kultur-begriff hoch divers und vielschichtig, aber er wird in den Rundfunkgesetzen nur sehr vage und unpräzise beschrieben. Das Fehlen dezidierter Festlegung macht ihn daher zu einem impliziten Programmimperativ (vgl. Burkart et al. 2006). Da es sich dabei um kein österreichisches Spezifikum handelt (vgl. die Gesetze für öffentlich-rechtliche Veranstalter in Deutschland oder der Schweiz), darf dem Gesetzgeber eine wohlbegründete Absicht unterstellt werden. Und tatsächlich macht es im Geiste des § 10 EMRK durchaus Sinn, mehr noch: ist es unabdingbar, dass wohl grundlegende Orientierungen vorgegeben sind, die Ausgestaltung und Umsetzung des Auftrags aber weitgehend den Sendern überlassen bleiben muss.

Diesem Anspruch wird auch in der UNESCO Konvention „Kulturelle Vielfalt“ Rechnung getragen: Kulturelle Vielfalt verweist auf eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen, die „auch in den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel und Technologien angewandt werden“ (UNESCO Konvention Vielfalt Art. 4. Nr. 1) deutlich werden. Bei der Bestimmung von „Kultur im Fernsehen“ ist die Frage zu problematisieren, inwiefern ein ausreichendes Ausmaß für konkret definierte Kultur festgelegt werden kann – dies im Spannungsfeld zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen, Programminhaltsbeschreibungen und quotierten Programmanteilen.


Die Definition und Operationalisierung eines Kulturbegriffs steht vor dem Problem, dass eine klinisch saubere Trennung der Kategorien Information, Unterhaltung, Kultur und Sport und damit eindeutige Klassifikationen nicht möglich sind. Hybridformen – und diese Formate, die z.B. Information unterhaltsam aufbereiten, nehmen rasant zu – sind ein Ausdruck des Bemühens, die unterschiedlichen und vielfältigen Entwicklungen der Gesellschaft formal und inhaltlich abzubilden und Programmvielfalt (die sich auf eine qualitative Vielfalt bezieht) zu schaffen. Letztendlich gilt es zu bedenken, dass das, was als Kultur definiert wird, das Ergebnis der Untersuchung bestimmt.

Der Kulturbegriff lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise analytisch fassen (vgl. Fiechtner et al. 2011). Ganz allgemein kann festgehalten werden, dass bei allen unterschiedlichen Kulturzugängen eine große Akzeptanz darüber besteht, dass der Kulturbegriff nicht eng gewählt werden darf. Für das Fernsehen gilt, dass dieses Medium sowohl Produzent, Plattform als auch Teil von Kultur sein kann, denn „Fernsehen vermittelt, reflektiert, beobachtet und kritisiert Kultur“ (Fiechtner et al. 2011: 39). In diesem Spannungsfeld sind auch die Zuordnungen vorzunehmen. Bonfadelli et al. (1998) haben für die Definition des Kulturbegriffs unterschiedliche Dimensionen und damit einhergehende Polaritäten einbezogen:

„– weiter vs. enger, d.h. an Kunstkultur orientierter Kulturbegriff

– statischer (geistiges Erbe einer Zeit) vs. dynamischer Kulturbegriff als Praxis

– Gemeinsamkeit und Integration vs. Pluralismus und Abweichung

– Artefakte (Kulturwerke) vs. Ideen, Wissen, Handlungen

– Normatives vs. deskriptives Kulturverständnis, d.h. Anspruchskultur vs. Populär- bzw. Akzeptanzkultur“ (Bonfadelli et al. 1998: 3f).

Bereits diese Einteilung zeigt, wie schwierig es ist, einen konsensfähigen bzw. auch operationalisierbaren Kulturbegriff zu definieren, und dies umso mehr vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Erwartungshaltungen. Differenziert man den Begriff „Kultur“ in drei Stufen, von eng über mittel bis weit, dann lassen sich sich – nach Simon und Windgasse (2010: 484) – folgende Spezifizierungen vornehmen:

1. Der enge Kulturbegriff

Unter einen engen Kulturbegriff fallen

• Berichte über und Produktion von Kunst, Kultur, Literatur, Theater, Sprachen, Design, Architektur usw.;
• anspruchsvolle Filme (Filme als Kulturgut, also auch Werke der Film-geschichte, kanonisierte Filme; Anm. HH.) wie zum Beispiel gesellschaftskritische Filme, Literaturverfilmungen;

• Experimentalfilme, Portraitfilme;

• anspruchsvolle Musik wie zum Beispiel Klassik, avantgardistische Musik, Jazz, sonstige ernste Musik, darstellende Kunst;
• Kabarett

2. Der mittlere Kulturbegriff

Der mittlere Kulturbegriff erweitert lebensnah die enge Vorstellung der Bewahrer und Verwalter des Kanons (wobei der Kanon im übrigen auch einer steten Weiterentwicklung und Korrektur unterliegt) und umfasst

• Aspekte der Alltagskultur, der regionalen Kultur, von Stadtkultur, Zeitgeschichte;
• Medien (TV, Radio, Presse);

• Kirche und Religion;

• Geistes- und Kulturwissenschaft.

Hier geht es also ganz zentral um die Aktualisierung und Verfestigung von Kultur- und Alltagsgeschichte als eine Form von Wissens- und Kulturgut.

3. Der weite Kulturbegriff

In einem weiten Kulturbegriff finden sich auch populäre Musik, Brauchtum, Karneval und Comedy etc. sowie weitere fiktionale Genres.

Dass mit dem Public Service ein Kulturprogramm im Sinne eines Grundauftrags abgedeckt werden muss, steht außer Streit. Wer sich aber fragt, wie weit die Grenzen zu ziehen sind, welcher der genannten nun der richtige Kulturbegriff ist, muss zunächst eine überzeugende Antwort auf die Frage finden: Gibt es überhaupt einen „richtigen“ Kulturbegriff? Die vorgelegten Argumentationen, theoretischen Ableitungen und empirischen Umsetzungen zeigen deutlich, dass ein enger Kulturbegriff alleine nicht angemessen sein kann, um den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerecht zu werden. Der Kulturbegriff muss von Ideologie und „Geschmacksfragen“ losgelöst diskutiert werden, er impliziert geradezu jene Offenheit und Vielfalt, die, so Fiske (1987), wichtige Gründe für die Popularität des Fernsehens sind und auch sein Dilemma darstellen. Geht es um die Frage nach einem ausgewogenen Maß für Kultur im Fernsehen, kann nur eine mehrdimensionale Perspektive und keine eindimensionale „Kulturquote“ klären, ob die Erfüllung des Leistungsauftrags gegeben ist. „Kultur“ ist auch nicht losgelöst von der Gesellschaft, für die sie und in der sie gemacht wird, zu definieren. Ganz im Gegenteil: So wie sich die Gesellschaft und mit ihr Lebensstile und Werthaltungen entwickeln und verändern, kann auch und gerade ein Phänomenbereich wie Kultur nicht statisch betrachtet werden. Dies impliziert ja geradezu der öffentlich-rechtliche Auftrag, Rundfunk und damit auch ein Kulturangebot für alle zu machen. Es ist die Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass er eine kulturelle Universalität anbieten kann und Kulturleistungen erbringt, die in unterschiedlichen Kategorien von der schöpferischen Wiedergabe bis zur Vermittlung und Distribution eingeordnet werden können. Die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft, die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion und die Vermittlung eines vielfältigen kulturellen Angebots sind nur vor dem Hintergrund eines nicht-klassischen bzw. nicht-engen Kulturbegriffs zu erfüllen. Was für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Kultur zu gelten hat, muss von der Gesellschaft unter Einbeziehung von Diskurs und Expertise festgelegt und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Eine noch so sorgfältig arbeitende Behörde kann und soll diese Definitionsaufgabe aus demokratiepolitischen Gründen nicht übernehmen. Es muss auch auf Publikumsinteressen Bedacht genommen werden, die Berücksichtigung der Publikumsinteressen ist in Form von TeilnehmerInnenbefragungen im Rahmen eines Qualitätssicherungssystems z.B. im § 4a des ORF-Gesetzes gesetzlich vorgeschrieben.
Der Bundeskommunikationssenat hat 2013 entschieden, dass neben dem engen auch ein mittlerer Kulturbegriff (mit kleinen Einschränkungen) bei der Evaluierung der Kulturleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zuzulassen ist. Damit sind die hier angeführten Probleme nicht gelöst. Aber immerhin: es ist ein Fortschritt, den auch jene akzeptieren sollten, die ihn aus strategischem Kalkül bekämpft haben. •

Literaturhinweise:

Bonfadelli, Heinz/Meier, Werner A./ Schanne, Michael (1998): Öffentlicher Rundfunk und Kultur. Die SRG zwischen gesellschaftlichem Auftrag und wirtschaftlichem Kalkül. Reihe Diskussionspunkt 36. Zürich: IPMZ.

Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Zur Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt: Suhrkamp.

Burkart, Roland / Haas, Hannes / Richter, Rudolf (2006): Bericht des wissenschaftlichen Beirats zum Qualitätsmonitoring „Kultur“ 2005. Wien: ORF.

Fiechtner, Stephanie/Allemann, Jessica/Trebbe, Joachim (2011): Fernsehkultur. Kultur im Fernsehen. Die Programme der SRG SSR im Jahresvergleich. Chur: Rüegger Verlag.

Fiske, John (1987): Television: Poylsemy and Popularity. In: Critical Studies in Mass Communication, 4, S. 21-26.

Katz, Klaus (2003): Erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kulturauftrag? Zum Beispiel: Das Fernsehprogramm des Westdeutschen Rundfunks. Köln; (= Arbeitspapiere des Instituts für Rund­ funkökonomie an der Universität zu Köln; 167).

Klein, Armin (2003): Kulturpolitik. Eine Einführung. Opladen: Leske+Budrich.

Kreutz, Anja (1995): Kultur im Magazinformat. Zur Geschichte, Form und Funktion von „Aspekte“ und „Titel, Thesen, Temperamente“ im deutschen Fernsehen. Univ. Diss. Siegen. Wiesbaden: DUV.

Krüger, Udo Michael (2001): Programmprofile im dualen Fernsehsystem 1991 – 2000. Eine Studie der ARD/ZDF-Medienkommission. Baden-Baden: Nomos.

Richter, Rudolf (2005): Die Lebensstilgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag.

Schulz, Gabriele/Ernst, Stefanie/ Zimmermann, Olaf (2009): Der WDR als Kulturakteur. Anspruch, Erwartung, Wirklichkeit. Berlin: Deutscher Kulturrat.

Schulze, Gerhard (2005): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main: Campus Verlag [2. Auflage 2005].

Sichtermann, Barbara (2008): Der Defensivbegriff „Kultur“ im Fernsehen. In: puk- Dossier. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk. Beilage zur Zeitung politik und kultur. Berlin.

Simon, Erk/Windgasse, Thomas (2010): Kultur in den WDR-Programmen. Ein Vorschlag zur Operationalisierung des Kulturbegriffs in Hörfunk und Fernsehen. In: Media Perspektiven 10/2010, S. 483-492.

UNESCO Konvention (2007): „Kulturelle Vielfalt. http://www.unesco.at/kultur/ basisdokumente/ue_schutz_kult_vielfalt.pdf

Weischenberg, Siegfried (2008): Auftrag und Wirklichkeit. Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In: puk-Dossier. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk. Beilage zur Zeitung politik und kultur. Berlin.

Dieser Artikel ist in TEXTE 10 (2013) erschienen.


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Univ.-Prof. Dr. Hannes Haas, Universität Wien
Texte 10, u.a. mit Beiträgen von Hannes Haas, Regula Troxler und Klaus Bichler abspielen
Texte 10
u.a. mit Beiträgen von Hannes Haas, Regula Troxler und Klaus Bichler