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Verantwortung als Format der Zukunft

Mag. Matthias Bogner, Österreichischer Behindertensportverband


Lassen wir uns das Thema öffentlich-rechtliches Fernsehen und Sport nach dem im Sport gängigen Grundsatz „keep it simple“ abhandeln. Gehen wir nicht auf die Zusammenhänge von Sport(-Konsument), Wirtschaft und Medien ein und verzichten wir auch auf die üblicherweise beim einschlägigen Kapitel zu thematisierenden Aspekte wie Werbefreiheit, Vielfalt, Reflexion und Tradition, um nur ein paar Schlagworte anzuführen. Vergegenwärtigen wir uns eingangs allgemein bekannte Fakten ohne wissenschaftlichen Anspruch und daher auch ohne Zitierung von Quellen. Die Tendenz ist dabei entscheidend und nicht die Korrektheit der Zahlen in der Nuance.

Westlichen Jugendlichen wird seit Jahrzehnten zunehmende Neigung zu Fettleibigkeit attestiert; österreichische Jugendliche sind davon nicht ausgenommen.

Zum einen werden hiefür die Essgewohnheiten der modernen Gesellschaft verantwortlich gemacht (Stichwort Fastfood mit hohem Fettanteil, stark gezuckerte Getränke etc.), zum anderen liegt es aber auch an der Freizeitgestaltung. Neue Medien und technisches Equipment wecken heute das Interesse der Jugendlichen; zu den beinahe schon uncoolen Hobbys gehören hingegen Bewegung und Sport.

In der heimischen Bevölkerung ab 14 Jahren ist generell keine sehr hohe Bereitschaft für regelmäßige, körperliche Betätigung festzustellen. Seit Jahren bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen und Umfragen von Meinungsforschungsinstituten, dass weniger als 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung täglich sportlich aktiv sind und mehr als 30 Prozent sich selbst als vollkommen sportabstinent bezeichnen!

Nun, was hat Fettleibigkeit mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen zu tun? Es ist zugegebenermaßen nicht primär Aufgabe der Medien, die Bevölkerung zu gesunder Lebensweise und mehr körperlicher Betätigung zu erziehen, aber Medien haben allemal die Möglichkeit, Menschen nachhaltig zu beeinflussen – positiv wie negativ.

Sportübertragungen und Publikumssendungen mit Showcharakter werden von Programmverantwortlichen, denen die religiöse Mission „life is live” zugrunde liegt (die Einschaltquoten geben ja recht), gegenüber aufwendig recherchierten und gestalteten Hintergrund- und Bildungsbeiträgen naturgemäß vorgezogen – Show und Effekt gewinnen vor hochwertigem Sportjournalismus und kritischer Distanz.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass insbesondere leicht zu konsumierende Dauer-Berieselungssendungen mit gelegentlich emotionalem Wechselspiel, was mit Sport einfach zu gewährleisten ist, die Programmlisten füllen sollen. Hauptsache, das Fernsehgerät läuft den ganzen Tag – ganz im Stile US-amerikanischer Haushalte; „Vorbilder“ dienen zum Bestaunen, Nachahmungstäter/innen passieren zufällig, mit- und nachdenken ist nicht zwingend notwendig.

Österreich ist das Land der passiven Sportkonsumenten und -konsumentinnen. Die höchsten Einschaltquoten erzielen die heimischen Fernsehstationen mit der Übertragung von Sportveranstaltungen. Es ist unbestritten, dass österreichische Fernsehstationen, allen voran der ORF, ihre Sportübertragungen international verglichen auf höchstem Niveau produzieren und ausstrahlen und daher ihre Wirkung auch nicht verfehlen.


Ein wesentlicher Schritt scheint somit geglückt zu sein: Sportübertragungen interessieren. Das ist gut für die Statistik und sehr gut für das Renommee eines Fernsehsenders. Leider lassen sich aber ganz offensichtlich Menschen nicht durch Sportkonsumation via Fernsehen zu sportlicher Aktivität animieren.

Sollte ein öffentlich-rechtlicher Sender wie der ORF, der Gelder der öffentlichen Hand erhält, mit seiner Programmgestaltung und mit seinen Programminhalten neben seinem Bildungsauftrag nicht auch eine weiterreichende Verantwortung übernehmen?

Der ORF erhält seinen Auftrag bekanntlich im Rahmen des ORF-Geset-zes (vgl. Kernauftrag, Auftrag für ein Sport-Spartenprogramm etc.). Die damit in Verbindung stehende Sorgfaltspflicht des ORF lässt sich – um im Sport zu bleiben – mit der Sorge der Olympischen Bewegung um die Sauberkeit der Olympischen Spiele vergleichen.

Die Organisation und die Ausrichtung der Olympischen Spiele ist eine der Grundaufgaben der Olympischen Bewegung ähnlich wie die Übertragung von Sport für den ORF. So wie das Internationale Olympische Comité für saubere, Doping- und Politikfreie Spiele und sonstige ethische Themen (vgl. Olympische Charta) verantwortlich zeichnet, so hat der ORF auf Basis seines Status als öffentlich-rechtlicher Sender wohl auch eine tiefergehende Sport-Verantwortung.

Erinnern wir uns an die Sport-Programmgestaltung des ORF in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Es wurden Sende-Formate geschaffen, die fundierte Expertise vermittelten, Werte entwickelten und kritische Sportkonsumenten und -konsumentinnen förderten. Es ging nicht wie oftmals heutzutage um Sensationen und nicht um leichte Unterhaltung, sondern um Hintergrundinformation und Vermittlung von sportlichen wie gesellschaftlichen Werten.

Nicht die Konsumation von Sportveranstaltungsübertragungen und Sportshows, sondern die Vermittlung von Sport-Daten und -Fakten, Wissen um den Sport und von Werten des Sports stand im Vordergrund und hat mündige und nicht selten sportaktive Menschen hervorgebracht. Sendungen wie „Das kleine Sport-ABC“, „Sport am Montag“ oder im Hörfunk „Sport und Musik“ haben eine ganze Generation in ihrem Sportverhalten nachhaltig positiv beeinflusst; oftmals wurde lebenslanges Interesse am Sport geweckt und wenn über diese Sendungen gesprochen wird, so bringen sie noch heute ein Leuchten in die Augen der Betroffenen.


Umso erfreulicher, dass der ORF in jüngster Vergangenheit alte Formate wiederentdeckt und weiterentwickelt hat. Seit rund einem Jahr werden auf ORF Sport Plus das Behindertensportmagazin „Ohne Grenzen“ und das Schulsportmagazin „Schule bewegt“ ausgestrahlt, die beide nahezu nahtlos an die zuvor beschriebenen, legendären Formate vergangener Zeiten anschließen.

Mit der Sendereihe „Ohne Grenzen“ trägt der ORF auch ganz wesentlich zur gesellschaftlichen Akzeptanz des Behindertensports und von Menschen mit Behinderung im Allgemeinen bei. Einerseits wird das Thema Sport imposant vermittelt, und andererseits werden auch alle Facetten des Behindertendaseins wie spezielle Bedürfnisse, soziale Einrichtungen und Rehabilitationszentren wiederholt lehrreich dargestellt. Dies stellt eine über den Sport hinausgehende Qualität und beinahe grenzenlose Aufwertung des Magazins „Ohne Grenzen“ dar. Richtungsweisend erscheint auch die eine oder andere neue Detailkonzeption, wie die Moderation der Sendung durch zwei aktuell erfolgreiche Aktive der Behindertensportszene.

Mit den neuen Sendereihen „Ohne Grenzen“ und „Schule bewegt“ liefert der ORF daher im zuvor beschriebenen Umfang einen bedeutenden Beitrag im Sinne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und wird auch seiner weiterreichenden Verantwortung im Sport gerecht.

Erfahrene Medienexpertinnen und -experten bestätigen diese Einschätzung und halten derartige Formate für das Programm der Zukunft von öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen.

Dieser Artikel ist in TEXTE 11 (2014) erschienen.


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