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Zum Public Value von Fernsehunterhaltung

Dr.in Arne Freya Zillich, Universität Jena


Die Diskussion um den Public Value von Fernsehunterhaltung blickt auf eine lange Tradition zurück. Bis in die 1980er Jahre wurde die Nutzung von Medienangeboten zur Unterhaltung als Teil der Massenkultur verpönt und insbesondere unter kultursoziologischen Aspekten kritisch diskutiert. Auch wenn diese Auseinandersetzung heutzutage weniger ideologisch aufgeladen ist, ist sie noch immer normativ geprägt. Gegenwärtig steht den Menschen in westlichen Industrienationen mehr Freizeit und somit mehr Raum für Unterhaltung zur Verfügung als jemals zuvor. Da der Großteil der Berufsarbeit eher psychisch als körperlich beansprucht, wird in der Freizeit vor allem ein psychischer Ausgleich angestrebt. Die Fernsehrezeption zur Unterhaltung stellt eine beliebte und verbreitete Freizeitaktivität dar, da sie es Menschen ohne hohen Aufwand ermöglicht, einen Teil ihrer motivationalen und emotionalen Ressourcen zu regenerieren. Diese Erholung durch Fernsehunterhaltung lässt sich zum einen als Ablenkung vom realen, öffentlichen Leben, als Zerstreuung sowie Flucht aus dem Alltag und damit als gesellschaftlich dysfunktional verstehen. Zum anderen lässt sich Erholung durch Fernsehunterhaltung aber auch als funktional für den Einzelnen und die Gesellschaft begreifen. Denn nur wenn sich der Rezipient von seinen alltäglichen Beanspruchungen erholt, ist er in der Lage, als Bürger am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Zentrale Konfliktlinien dieser Diskussion entspringen unter anderem der Frage, was unter Unterhaltung verstanden und welche Perspektive auf Unterhaltung eingenommen wird:


Aus Sicht der Programmanbieter wird Unterhaltung als ein Merkmal des Fernsehangebots verstanden, das sich vor allem durch einen bestimmten Inhalt und bestimmte formale Gestaltungsmittel auszeichnet. Typisch für Unterhaltungssendungen sind laut Werner Früh ihre Erzählstruktur, ihre hohe Schnittfrequenz sowie der Einsatz von Zooms, Kamerafahrten und Musik. Informationssendungen lassen sich hingegen eher durch eine analysierende, abstrahierende Argumentationsstruktur und den geringeren Einsatz von aktivierenden Gestaltungsmitteln kennzeichnen. Demnach sind Spielfilme, Serien sowie Spielshows typische Unterhaltungsformate, während z. B. Nachrichtensendungen, politische Magazine oder Kultursendungen als Informationsangebote bezeichnet werden. Unterhaltung wird unter dieser Perspektive somit vor allem über ihre Abgrenzung zum Informationsbegriff bestimmt. Hiermit einhergehend wird Informationssendungen zudem meist eine höhere Qualität als Unterhaltungssendungen zugeschrieben. Relevante Qualitätskriterien von Fernsehangeboten, die häufig in der Forschung genannt werden, sind Vielfalt, Relevanz und Professionalität. Diese werden vor allem Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sender attestiert.

Folgt man der Rezipientenperspektive, ist Unterhaltung ein subjektives Erleben des Fernsehzuschauers, welches bei der Nutzung unterschiedlichster Fernsehsendungen erfahren werden kann. Unterhalten kann man sich demnach prinzipiell bei jeglichen Fernsehangeboten, auch bei solchen, die zu Informations- oder Bildungszwecken produziert wurden. Dieser Logik zufolge ist die Dichotomie von hochwertigen Informations-und seichten Unterhaltungssendungen hinfällig, da Unterhaltung immer dann vorliegt, wenn eine bestimmte Fernsehsendung einen Zuschauer unterhält. Nicht nur in der öffentlichen Debatte wurde dieses Unterhaltungserleben lange Zeit mit einem positiven Genusszustand in Form von Heiterkeit, Entspannung oder Zeitvertreib assoziiert. Wie die aktuelle Forschung jedoch zeigt, ist Unterhaltung nicht nur ein rein genussorientiertes Erleben, sondern beinhaltet ebenso ernsthafte und nachdenkliche Zustände. So ist Unterhaltung nach Mary Beth Oliver und Anne Bartsch über das angenehme Erleben hinaus auch durch die Reflexion existentieller Fragen gekennzeichnet, welche die Sinnhaftigkeit des Lebens thematisieren. Diese beziehen sich z. B. auf den Stellenwert von moralischen und intellektuellen Tugenden oder das Streben nach bedeutsamen Erfahrungen. Folglich gibt es vielfältige Facetten von Unterhaltung, die auch als Erlebensqualitäten bezeichnet werden. Der Begriff „Qualität“ wird in diesem Kontext wertneutral verstanden und charakterisiert die Vielschichtigkeit des subjektiven Erlebens, welches sowohl Spannung und empathisches Mitfühlen mit den Fernsehfiguren als auch die Erfahrung eigener intellektueller Fähigkeiten oder die Wertschätzung der künstlerischen Qualität der Fernsehsendung beinhalten kann. Unterhaltung, die durch das Erleben von Nachdenklichkeit, Reflexion und Bewegtsein durch den Fernsehinhalt geprägt ist, ermöglicht Zuschauern nicht nur eine unmittelbar Erholung, sondern kann sie auch längerfristig bereichern, indem sie sich mit der Sinnhaftigkeit und Verletzlichkeit des menschlichen Lebens auseinandersetzen. Auch dies ist ein Bestandteil des Public Value von Fernsehunterhaltung.

Verbindet man die Perspektive der Programmanbieter mit der Rezipientenperspektive, lässt sich argumentieren, dass je nach Inhalt und formaler Machart einer Fernsehsendung jeweils unterschiedliche Facetten von Unterhaltung erlebt werden. So zeigen erste Studien, dass Unterhaltung, die durch das Erleben von Nachdenklichkeit und Bewegtsein durch den Fernsehinhalt geprägt ist, stärker bei nicht-fiktionalen Fernsehangeboten und Dramen erlebt wird. Genussorientierte Unterhaltung hingegen geht stärker mit der Nutzung von Comedyshows und Actionfilmen einher. Hier zeigt sich die zentrale Herausforderung und Chance für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Fernsehanbieter: Weiterhin qualitativ hochwertige Formate zu produzieren und sie gegebenenfalls auch ungeachtet ihrer Einschaltquoten auszustrahlen und so ein Angebot für die Zuschauer zu schaffen, das über das reine genussorientierte Erleben hinausgeht! Auf diese Weise stiften gerade auch unterhaltende Formate einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen.

Dieser Artikel ist in TEXTE 12 (2014) erschienen.


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Zum Public Value von Fernsehunterhaltung
Dr.in Arne Freya Zillich, Universität Jena
Texte 12 - Unterhaltung als öffentlich-rechtliche Auftrag, u.a. mit Beiträgen von Gabriele Siegert, Louis Bosshart und Holger Schramm abspielen
Texte 12 - Unterhaltung als öffentlich-rechtliche Auftrag
u.a. mit Beiträgen von Gabriele Siegert, Louis Bosshart und Holger Schramm