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Krise, aber diesmal wirklich

Dr. Stefan Gadringer, Universität Salzburg


Das neue Jahrzehnt begann mit schwungvollen Ereignissen. Erstmals sollte eine Regierungskoalition zwischen der ÖVP und den Grünen die Weichen für die großen, zukünftigen Herausforderungen stellen. Beispiele wären die Digitalisierung sämtlicher Gesellschaftsbereiche, Reaktionen auf die Klimakrise oder die Aufrechterhaltung der starken Konjunkturlage. Wenige bezweifeln im Jahr 2020, dass sich die Gesellschaft in einem strukturellen Wandel befindet. Gleichzeitig zeigt sich hier auch gleich die Bedeutung einer terminologischen Einordnung bei der Verwendung von Schlüsselwörtern. Betrachtet man den Medien- und Nachrichtensektor, so bezieht sich der strukturelle Wandel vor allem auf konvergierende Produktions- und Distributionskanäle, veränderte Nutzungsmuster und die stärkere Konkurrenz von zuvor weitgehend getrennten Akteuren. Diese Entwicklungen und Trends wurden kontinuierlich durch wissenschaftliche Studien begleitet und beschrieben. Im Jahr 2011 startete das schweizerische Kompetenzzentrum SwissGIS (Swiss Centre for Studies on the Global Information Society der Universität Zürich) ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Die Krise der Massenmedien“ (Meier, Bonfadelli, & Trappel, 2012). Damit zeigt sich das negativ konnotierte Wort des Wandels – die Krise. Das schweizerische Forschungsprojekt ging vor allem der Frage nach, ob der strukturelle Wandel und die Folgen der globalen Finanzkrise ab 2008 auch eine Krise der (Nachrichten-)Medien zur Folge hätten. Die Forschungsergebnisse zeigten, dass sowohl Vertreter der Nachrichtenmedien, Regulierungsbehörden und andere medienpolitische Akteure sehr darauf bedacht waren, hier explizit nicht von einer Krise zu sprechen (Wenzel, Gadringer, & Trappel, 2016). Latente Problemfelder wie die nachhaltige Finanzierung von Online-Ausgaben, die Ressourcenkürzungen in den Redaktionen oder journalistische Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten waren keine drängenden Probleme und wurden auf die lange Bank geschoben. Das sollte auch so bleiben und bis dato wenig medienpolitische Reaktionen hervorrufen. Bis zum März 2020, nachdem die COVID-19-Pandemie auch in Österreich drastische Maßnahmen forderte. Der Lockdown war für Österreichs Nachrichtenmedien ambivalent. Selten zuvor war das Nachrichteninteresse und der Bedarf an Information derart hoch. Das Wegbrechen von Werbeschaltungen und damit die finanzielle Grundlage der meisten österreichischen Nachrichtenorganisationen ist jedoch die Kehrseite der Medaille. Und damit ist sie da, eine Krise der Nachrichtenmedien.

In den jährlichen Berichten des Digital News Report (www.digitalnewsreport.at bzw. www.digitalnewsreport.org) zeigten sich bereits latente Problemfelder in der österreichischen Nachrichtenlandschaft. Die Corona-Pandemie wirkte hier wie ein Brandbeschleuniger und bestrafte auf drastische Weise jene, deren Organisationsstrukturen an einen zunehmend digitaler werdenden Rezipientinnen- und Rezipientenmarkt noch nicht angepasst sind.

Wegbrechende Werbeeinnahmen und geringe Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten
März 2020, steigende Covid-19-Fallzahlen in Tiroler Wintersportorten und auch in anderen Teilen des Landes, dazu dichter werdende Gerüchte, dass ein kompletter Lockdown erfolgen wird. In dieser Krisensituation ist gut aufbereitete Information essenziell. Die österreichischen Nachrichtenmedien kamen dem auch nach und verzeichneten Rekord-Nutzungszahlen. Am stärksten wurden Rundfunkbeiträge und die jeweiligen Online-Ausgaben genutzt. Die Nutzung letzterer bringt zwar erhöhten App-/Website-Traffic, eine Refinanzierung der eingesetzten Ressourcen ist aber problematisch, weil die meisten Inhalte kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Einnahmen kommen aus dem Verkauf von Online-Werbung bzw. über Querfinanzierung durch andere Distributionskanäle der jeweiligen Nachrichtenmarken (zumeist Print). Die Einnahmen auf dem Werbemarkt sind aufgrund des strukturellen Wandels ohnehin schon rückläufig, zusätzlich wurden Werbeschaltungen in der Lockdown-Zeit massiv reduziert. Am konkreten Beispiel der Werbeeinnahmen für den ORF zeigt sich dieser Rückgang: von 2017 auf 2019 gab es einen Rückgang der Werbeeinnahmen von 216 auf 203 Mio. – Einnahmen aus der Online-Werbung blieben mit 16 Mio. konstant. Wenngleich der ORF auch noch auf Einnahmen aus der Rundfunkgebühr zurückgreifen kann, offenbarte sich bereits vor der Corona-Krise ein Finanzierungsproblem, das für rein werbefinanzierte Medien umso schwieriger zu bewältigen ist. Generell gilt: direkte Bezahlung für Nachrichteninhalte bzw. Modelle dafür stecken noch in der Anfangsphase.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich am Horizont. Die Bereitschaft für Online-Nachrichten zu bezahlen steigt. Die Daten des Digital News Report zeigen einen konstanten Anstieg von 2016 bis 2020 um 4 Prozentpunkte (2016: 6,6 %; 2017: 7,4 %; 2018: 8,5 %; 2019: 9,1 %; 2020: 10,6 %). Etwas stärker ist dieser Trend sogar in der Altersgruppe von 18-34 Jahren.

Public Service Elemente
Die Schwierigkeit, nachhaltige Direkt-Bezahlmodelle zu etablieren, ist in der österreichischen Medienmarkt besonders hoch. Die öffentlich-rechtlichen Angebote des ORF, die eben auch mit Gebühren finanziert sind, werden kostenlos zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Dabei ist der ORF in den Bereichen Rundfunk sehr dominant (80 % der Befragten nutzen ORF-Marken offline, 36 % nutzen das Online-Angebot; vgl. Digital News Report 2020).
Die starke Dominanz der öffentlich-rechtlichen Angebote lässt sich mit der Lenkungswirkung für den gesamten Medienmarkt und dem Setzen von journalistischen Standards rechtfertigen (Trappel, 2012). Öffentliche Medien unterliegen erhöhten Anforderungen was Integrität, Sorgfalt und Seriosität in der Berichterstattung, im Umgang mit Quellen und in der Interaktion. Fehlverhalten fällt daher in der öffentlichen Debatte oftmals auf das gesamte öffentlich-rechtliche System und deren Legitimation zurück. Im Hinblick auf eine Neuausrichtung der öffentlich-rechtlichen SRG SSR in der Schweiz führt Kurt Imhof folgende Punkte an (Imhof, 2012):
• Vermeidung der Anpassung an den Softnews-Mainstream
• Verstärkte Integrationsleistungen
• Versachlichung der politischen Auseinandersetzung
• Verstärkung der außenpolitischen Berichterstattung, sowie der Kultur- und Wirtschaftsberichterstattung
• Ausbau der Online-Berichterstattung
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie und die Rahmenbedingungen für den ORF müssten noch weitere Aspekte hinzugefügt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung von Expertinnen und Experten (WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen etc.) wesentlich dazu beitragen, glaubwürdigere Berichterstattung bereitzustellen und damit das Vertrauen in Nachrichten zu stärken. Allerdings erfordert die Interaktion mit Expertinnen und Experten hohes Fachwissen und Vermittlungskompetenz. Speziell die Wissenschaftsressorts wurden oft aufgrund von Sparmaßnahmen ausgedünnt. Zur speziellen Informationsvermittlung, die den Gesundheitsbereich und die Auswirkungen der Pandemie betreffen, sind diese Ressorts jedoch ein wichtiger Baustein.
Beim Ausbau der Online-Berichterstattung entstehen weitere Problemfelder für die österreichische Medienlandschaft. Einerseits ist Rundfunk und die Verbreitung von Inhalten über das Rundfunknetzwerk relativ stark und eindeutig reguliert. Im Onlinebereich zeigen sich die Eigenschaften eines konvergierenden Medienmarkts mit unterschiedlichen Konkurrenzsituationen. Öffentlich-rechtliche Angebote konkurrieren mit privat-kommerziellen Angeboten. Hier ist ein adaptierter und zeitgemäßer medienpolitischer Rahmen erforderlich, der über die Jahre hinweg kaum angepasst wurde.

Medienförderung und Subventionen
Eine Anpassung – zurecht von mehreren Seiten gefordert – betrifft auch die Neuregelung der Medienförderung. Gerade die Corona-Pandemie machte deutlich, dass speziell für Qualitäts-Tagespresse die Medienförderung ein wesentlicher Baustein in der Finanzierung ist. Da wirkte es umso verwunderlicher, die erste Tranche einer Sonderausschüttung frei nach dem Gießkannenprinzip an alle Medien zu vergeben. Diese Vorgehensweise ist mehr als veraltet, wird der Zweckmäßigkeit, die sich durch den strukturellen Wandel ergeben hat, nicht gerecht und wurde auch in früheren Studien widerlegt (etwa durch die vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebene Haas-Studie aus dem Jahr 2013).
Im digitalen Nachrichtenbereich wären mögliche Förderkriterien die Ausrichtung an bestimmten Qualitätsstandards, die Etablierung von inhaltlicher Vielfalt und die Sicherstellung von Aus- und Weiterbildung von Journalistinnen und Journalisten. Zudem würde sich die Möglichkeit ergeben, Kooperationen zu fördern. Diese Kooperationen könnten sowohl zwischen etablierten Playern entstehen, oder auch für kleine journalistische Projekte ein Anreiz sein. An dieser Stelle ist anzumerken, dass gerade am österreichischen Medienmarkt sehr wenig Digital-Born/Digital-Only-Nachrichtenmarken existieren bzw. sich erfolgreich etablieren konnten.

Nachrichtennutzung über etablierte Marken vs. Information in Social Media Vertrauen in Nachrichten und Nachrichtenmedien
Das anfangs erwähnte, schweizerische Forschungsprojekt stellte in einer Folgepublikation zurecht die Frage „Gehen in den Leuchttürmen [den Leitmedien] die Lichter aus?“. Erste Studienergebnisse zeigen, dass die Leitmedien gerade zu Beginn der Pandemie bzw. des Lockdowns die wesentliche Anlaufstelle für die Informationsbeschaffung waren (Nielsen, Fletcher, Newman, Brennen, & Howard, 2020). Dabei kam es aber zu unterschiedlichen Nutzungsmustern zwischen Angeboten von Leitmedien und Informationen, die über Plattformen und Social Media veröffentlicht und abgerufen wurden.
Das dahinterstehende Problem ist die Verbreitung von Desinformation, Fake News und bewusster Irreführung. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass Desinformation über sämtliche Kanäle verbreitet wird. Allerdings sind redaktionelle Strukturen und journalistische Routine effiziente Mittel zur Vermeidung. Im Gegenteil dazu gab in der Untersuchung des Reuters Institute etwa ein Drittel der Befragten an, mit „bottom-up-misinformation“ konfrontiert gewesen zu sein (Nielsen et al., 2020). Signifikante Nutzungsunterschiede, entweder eine stärkere Nutzung von etablierten Nachrichtenmarken oder eine stärkere Informationsnutzung über Social Media und Plattformen zeigten sich anhand von drei soziodemografischen Aspekten: Alter, Einkommen und formaler Bildungsgrad. Tendenziell nutzen verstärkt ältere Personen mit höherem Einkommen und höherem formalen Bildungsgrad die Angebote von etablierten Nachrichtenmarken. Umgekehrt zeigte sich, dass bei jüngeren und niedriger gebildeten Personen die Nutzung von Informations- und Kommunikationsangeboten in sozialen Netzwerken stärker ausgeprägt war.
Die Coronavirus-Pandemie bietet demnach auch eine Chance für etablierte (Leit-)Medien, die Markenreputation zu stärken bzw. aufzubauen. Umgekehrt besteht auch das Risiko, dass sich Desinformation und bewusste Falschmeldungen in sozialen Netzwerken verbreitet und es dadurch zu polarisierten Öffentlichkeiten kommen kann.

Conclusio – ein adaptierter Rahmen für Nachrichten
Die Coronavirus-Pandemie stellt eine Krise für sämtliche Nachrichtenmedien dar. Die wohl größte Gefahr ist das Wegbrechen der Geschäftsgrundlage aufgrund fehlender oder reduzierter Werbeeinnahmen. Die österreichische Nachrichtenlandschaft ist immer noch geprägt durch eine starke Nutzung von Printprodukten, wenngleich dieser Trend konstant rückläufig, aber im internationalen Vergleich immer noch hoch ist. Diese „bequeme“ Situation erfordert nun umso größeren Handlungsbedarf und größere Anstrengungen, digitale Angebote abseits von Werbefinanzierung zu schaffen.
Für die etablierten Leitmedien besteht im digitalen Bereich wohl die Notwendigkeit der Kooperation, um gegen internationale Player bestehen zu können. Die aktuelle Lage bietet eine Chance, mit gesteigertem Interesse an Nachrichten und höherem Vertrauen in die Berichterstattung eine starke Reputation bei Nutzerinnen und Nutzern zu erlangen.

Nichts desto trotz ist eine Anpassung der medienpolitischen Rahmenbedingungen notwendig. Angekündigte und wieder verschobene Reformen müssen angegangen werden, um einen Nachrichtenmarkt zu etablieren, der im digitalen Bereich attraktiv ist und den vorherrschenden Nutzungsmustern entspricht.

Imhof, K. (2012). Krise des Informationsjournalismus. In W. A. Meier, H. Bonfadelli, & J. Trappel (Eds.), Gehen in den Leuchttürmen die Lichter aus? Was aus den Schweizer Leitmedien wird (pp. 69-80). Wien/Zürich/Berlin: LIT Verlag.

Meier, W. A., Bonfadelli, H., & Trappel, J. (Eds.). (2012). Gehen in den Leuchttürmen die Lichter aus? Was aus den Schweizer Leitmedien wird. Wien/Zürich/Berlin: LIT Verlag.

Nielsen, R. K., Fletcher, R., Newman, N., Brennen, J. S., & Howard, P. N. (2020). Navigating the ‘Infodemic’:  How People in Six Countries Access  and Rate News and Information  about Coronavirus. Retrieved from Oxford: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2020-04/Navigating%20the%20Coronavirus%20Infodemic%20FINAL.pdf

Trappel, J. (2012). Baustellen der Medienpolitik. Die Krisenfolgen im Medienpolitikdiskurs. In W. A. Meier, H. Bonfadelli, & J. Trappel (Eds.), Gehen in den Leuchttürmen die Lichter aus? Was aus den Schweizer Leitmedien wird (pp. 277-295). Wien/Zürich/Berlin: LIT Verlag.

Wenzel, C., Gadringer, S., & Trappel, J. (2016). Media Policy and Regulation in Times of Crisis. In S. Simpson, M. Puppis, & H. Van den Bulck (Eds.), European Media Policy for the Twenty-First Century. Assessing the Past, Setting Agendas for the Future (pp. 95-117). New York: Routledge.

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