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Von der Berichterstattung in Krisenzeiten zur Krise der Berichterstattung?

Univ.-Prof.in Dr.in Larissa Krainer, Universität Klagenfurt


Krisen bringen Bad News mit sich und Bad News ziehen Berichterstattung nach sich. Berichterstattung erzeugt öffentliche Aufmerksamkeit und öffentliche Aufmerksamkeit löst eine gesteigerte Nachfrage nach Berichterstattung aus. Der Drang nach Informationsbeschaffung nutzt alle ihm zur Verfügung stehenden Kanäle und auf diesen wächst die Bereitschaft zu umfassender Verbreitung von Informationen aller Art. Eine Sorgenspirale setzt sich in Gang und schraubt sich unaufhörlich in die Höhe. Die Fülle der Information schwellt an und vermengt in ihrer Dichte gesicherte Nachrichten mit mehr oder minder bewusster, mehr oder weniger gezielter Desinformation. Fake News sind Bad News der besonderen Art – sie sind zugleich falsch und schlecht, selbst wenn sie als Good News daherkommen. Der realen Gefahr, die von der Bedrohung durch den Virus ausgeht, folgt die digital vermittelte virale Verbreitung von Unklarheit. Sie ist nicht minder ansteckend und nicht minder Krisenphänomen. Der Grad der Ansteckung lässt sich allerdings nicht statistisch erfassen, gegen sie auch keine Impfung entwickeln.
Desinformation kann man nur durch gesicherte Information begegnen, ohne allerdings je gewährleisten zu können, dass sie auch von allen gefunden und rezipiert, verstanden und akzeptiert wird.
Gesellschaftliche Krisen bedürfen vielfacher Reaktionen und betreffen bzw. fordern nahezu alle gesellschaftlichen Subsysteme, politische wie wirtschaftliche, öffentliche wie private. Allerdings: gefordert sind nicht alle in gleicher, sondern jeweils in bestimmter Form. Gemeinsam ist ihnen allen lediglich, dass sie das Geschehen beobachten, aber selbst darin zeigen sich gravierende Unterschiede, wie etwa zwischen der Krisenkommunikation durch politisch Verantwortliche und deren Beobachtung durch alle im Alltag Betroffenen, zwischen journalistischer Professionalität und professioneller Desinformation.
Die Funktion von Medien ist in Krisenzeiten keine prinzipiell andere als sonst, ihre grundlegende Ambivalenz aber möglicherweise partiell deutlicher: Wie vom Ernst der Lage zu informieren, ohne unbotmäßig zu alarmieren? Wie viel mehr Platz und Zeit muss oder soll den Regierenden eingeräumt werden, wie viel weniger kritische Prüfung deren Information ist kurzfristig statthaft? Wie viel Beitrag ist zu leisten, um politische Maßnahmen begleitend zu bewerben, wie wenig kann dennoch auf begleitende Kritik verzichtet werden, wenn etwa Erlässe dem simplen Alltagsverstand widersprechen? Und insgesamt: Wie viel skeptisches Infragestellen ist vertretbar, wenn das Gemeinwohl davon abhängig wird, dass kollektives Vertrauen auf die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen in geteiltes Handeln führt?
Und nicht zuletzt: Wie das Recht der Öffentlichkeit, umfassend informiert zu werden, im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umsetzen, der in Krisenzeiten zum zentralen Informationskanal wird – für Regierende wie Regierte? Eine Antwort auf diese Frage hat Bert Brecht schon 1932, kurz nachdem der Rundfunk auszustrahlen begann, in einer Rede über den Rundfunk mit dem Titel: „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ gegeben, als er meinte, zu den „Verpflichtungen des obersten Beamten gehört es, regelmäßig durch den Rundfunk die Nation von seiner Tätigkeit und der Berechtigung seiner Tätigkeit zu unterrichten. Die Aufgabe des Rundfunks allerdings erschöpft sich nicht damit, diese Berichte weiterzugeben. Er hat über dies hinaus die Einforderung von Berichten zu organisieren, das heißt, die Berichte der Regierenden in Antworten auf die Fragen der Regierten zu verwandeln.“

Dem ist fast 80 Jahre später nicht viel hinzuzufügen, auch wenn die Kanäle, nicht zuletzt durch Digitalisierung, vielfältiger geworden sind. Es bedeutet, den Informationen der Regierenden hinreichend Platz einzuräumen und in Krisenzeiten dem gesteigerten Informationsbedarf Rechnung zu tragen. Analog zu steigern ist aber auch die Aufmerksamkeit darauf, welche vielfältigen Fragen sich daraus ergeben. Sie alle werden bereits auf den diversen Kanälen formuliert und harren teilweise noch ihrer Antwort. Genug Platz für Recherche also, hinreichend Aufgabe für Medien, konkreter Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Berichterstattung in Krisenzeiten ist stets von Krisen der Berichterstattung bedroht. Ersteres ist unabdingbar, Letzteres hingegen vermeidbar.*

* Dieser Text wurde bereits im Frühjahr 2020 verfasst.


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