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Der Ritt auf der Rasierklinge

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Duchkowitsch, Universität Wien


Professionelle Medienbeobachter/innen – Medienjournalist/innen und -wissenschaftler/innen haben Ende März 2020 konstatiert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland am Gängelband der Regierung hing. Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren warf den Sendern vor, Bedrohung und exekutive Macht zu präsentieren. Das sei Systemjournalismus. Und die Medienjournalistin Vera Linß forderte, Überwachung und Datenschutz im Kontext mit den Maßnahmen der Regierung stärker in den Fokus zu rücken. Krisenstrategien der Regierung seien weitgehend kritiklos transportiert worden. Darin sieht sie eine unangemessene Art „Service-Journalismus“.
Gelten solche Vorwürfe an die deutschen Sender auch für den ORF? Drei Wochen nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen in Österreich sei eine Zwischenbilanz gezogen. Ja, es mag sein, dass der ORF in erster Linie bloß die Maßnahmen der Regierung ausgestrahlt hat und keine echte Debatte zwischen Expertinnen und Experten über deren Maßnahmen. War der ORF nach Erlass der Ausgangsbeschränkungen es aber nicht primär der Bevölkerung schuldig gewesen, eben diese Maßnahmen pur zu vermitteln und somit Wissen zu schaffen, um Aufklärung für Handeln und Verhalten im Alltag wie im Beruf zu bieten? Wer sonst als der ORF mit seinen professionellen Qualitätsmerkmalen und -instrumenten hätte in Bild und Ton angesichts der rasanten Beschleunigung von Fake News in angeblich „entschleunigter“ Zeit für kognitive Sicherheit und emotionale Geborgenheit in breiten Bevölkerungskreisen sorgen können? Ist es nicht so, dass die immer noch größte „Medienorgel“ in unserem Land wesentlich dazu beigetragen hat, den Gedanken eines Kollektivs in unsäglich schwerer Zeit hoch zu halten und zu transportieren, notwendiges „Wir-Gefühl“ bei alt und jung zu stärken, Kohäsion zu bewirken, an die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger in der Zivilgesellschaft (offensichtlich inzwischen erfolgreich) appellierend? Wurde der ursprüngliche Sinn einer Nachricht, sich nämlich danach zu richten, um sich danach persönlich ausrichten zu können, in diversen Nachrichtensendungen und Magazinen des ORF nicht weitgehend erfüllt, von Anleitungen für das Herstellen einer Maske bis hin zu einem Report über die derzeitige Lage von obdachlosen Menschen?
ORF1 hat im März 2020 seine höchste Reichweite seit Sendebeginn erzielt. Die Reichweiten im März waren bestimmt von der Berichterstattung, mit welcher der ORF in allen vier TV-Sendern die Menschen in Österreich informiert hat: Die aktuellen „ZIB“- Nachrichten plus 125 Sondersendungen bzw. solche mit Corona Schwerpunkt sahen beinahe sieben Millionen. Das sind 92 Prozent der heimischen TV-Bevölkerung ab zwölf Jahren. Warum bloß? Weil der ORF „Systemjournalismus“ betrieben hat?
Ungeachtet dessen sollte sich der ORF im Sinn des Public Value sehr bald seiner starken Sozialmarken nachhaltig besinnen. Sie würden darin bestehen, Menschen im derzeitigen Katastrophenfall der schnellen Corona-Virus-Ausbreitung noch konsequenter als bisher zu unterstützen, also „Humanitarian Broadcasting“ zu betreiben. Sie würden ferner dann sichtbar werden, wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie auch sonstige Experten und Expertinnen zu Wort kommen, die demokratiepolitische Bedenken im Licht von Maßnahmen der Regierung bis dato fast nur in privaten Kanälen äußern. Dies unter dem Motto: rechte Programminhalte zur rechten Zeit im ausreichenden Maß. Dann würde der Ritt auf der Rasierklinge gelingen, auf der einen Seite nichts zu verharmlosen und nicht den Eindruck zu erwecken, die Maßnahmen der Regierung seien übertrieben und auf der anderen Seite Handeln und Verhalten der Regierung gemäß der Funktion von Medien als vierte Gewalt, die den öffentlich-rechtlich Rundfunk besonders auszeichnet, distanziert zu betrachten und, falls erforderlich, auch zu kritisieren.*


* Dieser Text wurde bereits im Frühjahr 2020 verfasst.


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