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Chancengleichheit

Christa Hofmann, Weltjournal

Transkription
Chancengleichheit wird in Norwegen besonders großgeschrieben. In der Politik und in staatlichen Betrieben gilt schon lange eine Frauenquote. Jetzt gibt es sie auch in der Privatwirtschaft, und das ist weltweit einzigartig. Börsennotierte Unternehmen müssen ihren Aufsichtsrat zu 40 Prozent mit Frauen besetzen. Kirsti Kierulf ist eine dieser Frauen. Abteilungsleiterin einer internationalen Consultingfirma, Aufsichtsrätin in fünf Unternehmen – von Technologie bis Immobilien. „Es gibt so viele Frauen, die Führungsqualitäten und Erfahrung haben, wenn wir Quoten nicht als Instrument für einen Wandel einsetzen, würde es noch tausend Jahre dauern, bis sie zum Zug kommen. Wir würden bloß weiter die herkömmlichen männlichen Muster reproduzieren und die Innovationskraft verlieren, die in der Vielfalt liegt.“ Kirstis persönlicher Karriere hat das Quotengesetz Chancen eröffnet, die sie sonst vielleicht nicht gehabt hätte. „Die Quote hat mir die enorme Möglichkeit gegeben, Teil dieser Wirtschaftselite zu sein. Selbst beizutragen, aber auch etwas zurückzubekommen. Ohne dieses Gesetz hätte ich diese Chance nie gehabt.“ Die Quote zum Gesetz zu machen – dieser Vorstoß kam von einem Mann, vom damaligen konservativen Wirtschaftsminister. Damals war der Frauenanteil in norwegischen Aufsichtsräten gerade mal sieben Prozent, so wie übrigens noch immer in Österreich. „Ich wollte, dass die gesamte Bevölkerung zur Wirtschaft beiträgt. Burschen und Mädchen sind die letzten 20, 30 Jahre gleich ausgebildet worden. Mit der Quote sollte dieses Potenzial genutzt werden. In erster Linie, um die Unternehmen produktiver zu machen, weniger aus Gründen der Gleichberechtigung.“ „Bevor sie die Quotenregelung angekündigt haben, haben sie kein einziges Regierungsmitglied konsultiert, nicht einmal aus Ihrer eigenen Partei. Warum eigentlich?“ „Ganz einfach. Wenn ich gefragt hätte, wäre die Antwort ‚Nein‘ gewesen. Also habe ich es gemacht, ohne jemanden zu fragen. Nicht den Premierminister, nicht meinen Parteichef, nicht den Parlamentsklub – niemanden. Das war Kalkül. Ich wusste, nur so würde ich die Quotenregelung durchsetzen können. Und ich habe es geschafft.“ „Wie war die Reaktion?“ „Es war die Hölle, ein Riesentumult, aber nach eineinhalb Jahren, als das Quotengesetz ins Parlament kam, wurde es von fast allen Parteien unterstützt. Das ist doch der Grund, warum es in Norwegen jetzt außer Frage steht.“ Überall sonst ist die Quote sehr wohl Thema. Jede Woche kommen Interviewanfragen, überall will man mehr wissen über Norwegens Erfahrungen mit den Frauen in der Wirtschaft. Die künftigen weiblichen Führungskräfte sind davon noch unbelastet. Benja Stig Fagerland ist Unternehmensberaterin und bildet Frauen für Leitungsfunktionen aus. Um die Töchter kümmern sich beide Eltern gleichermaßen, eine Voraussetzung für weibliche Karrieren. „Mein Mann macht eher 60 Prozent der Kinderbetreuung und ich 40 Prozent. Er bringt die Mädchen in der Früh in die Schule und er ist im Elternverein.“ „Das ist doch Teil der Gleichberechtigung, dass beide, Vater und Mutter, natürlich je nachdem, wie es der Job erlaubt, sich um die Kinder kümmern.“ Im Auftrag des Wirtschaftsbundes hat Benja weibliche Führungskräfte gesucht. Perlentauchen hieß das Projekt. „Wir wollten die Unternehmen vor allem dazu bringen, die Talente in der eigenen Firma zu finden. Sich bewusst zu werden, dass sie bereits talentierte Frauen im Unternehmen hatten. Sie sollten nach weiblichen Perlen tauchen. Also, die Frauen finden, die die Kompetenz und den Wunsch hatten, Managementfunktionen zu übernehmen, die aber bis jetzt von den Toppositionen ausgeschlossen waren.“ Wir treffen Norwegens prominentesten Gegner der Frauenquote. Trygve Hegnar ist Medientycoon und Schiffseigner. Er tritt öffentlich gegen die Quote auf und sammelt privat Gallionsfiguren – starke Frauen aus Holz. An der Quote stört ihn vor allem der staatliche Eingriff in die Privatwirtschaft. „Ich glaube, dass die meisten Unternehmensbesitzer in Österreich, die werden auch sagen: ‚Wie? Sollte nicht ich über mein Vermögen bestimmen? Wie? Sollte ich das bestimmen, wer im Vorstand sitzen soll? Muss ich eine Frau finden? Muss ich?‘ Man nimmt Rechte von den Eignern weg. Das ist die entscheidende Frage für mich. Und was für mich so seltsam ist, dass niemand gewagt hat ‚Nein‘ zu sagen. Man sagt nicht ‚Nein‘ zu Frauenrechten, man tut das nicht.“ Norwegens Frauen galten seit jeher als unabhängig. Wenn die Männer zur See fuhren, waren sie oft monatelang auf sich allein gestellt. Jetzt ist es die fortschrittliche Familienpolitik, die Norwegen eine hohe Frauenerwerbstätigkeit und gleichzeitig hohe Geburtenrate beschert. Mann und Frau in Familie und Gesellschaft – ein stetes Thema auch norwegischer Künstler. Um die Kinderbetreuung besser aufzuteilen, gibt es in Norwegen in der Karenz 80 Prozent Lohnfortzahlung und verpflichtend: Väterkarenz. Nach der Arbeit bei Kirsti und ihrer Familie. Gleichberechtigung in der Wirtschaft ist keine Frauenfrage, sondern eine Managementfrage, findet auch der Ehemann: „Wenn da zu viele alte Männer sind, alle mit demselben Background, derselben Ausbildung, aus denselben Klubs, das funktioniert nicht. Es braucht mehr Vielfalt im Aufsichtsrat, um auch andere Sichtweisen zu bekommen.“ „Es würde interessant sein, zu sehen, welche Unternehmen in der Wirtschaftskrise gewinnen und welche verlieren. Ich glaube, dass die mit mehr Vielfalt besser positioniert sind.“ Geschäftsfrau Kate Rodin ist überzeugt davon, dass Unternehmen mit mehr Frauen im Management und Aufsichtsrat besser wirtschaften. „Wir in Norwegen haben in der Wirtschaftskrise nicht so viel Schaden erlitten, wie andere Länder. Es ist natürlich nicht die einzige Erklärung, aber man kann nicht darüber hinweg sehen, dass der Einfluss unserer Frauen unsere Position verbessert hat. Vielleicht wurden weniger riskante Entscheidungen getroffen, ich weiß es nicht. Tatsache ist jedenfalls: wir haben diese Quotenregelung und wir sind von der Krise weniger betroffen.“ Welche Vorteile hat es nun für den Mann, wenn die Frau Aufsichtsrätin ist? „Er war bei vielen netten Aufsichtsrat-Dinners.“ „Ja, ich war der Ehegatte, wenn die Aufsichtsräte ihre Partner mitnehmen konnten. Da waren dann ich und viele Ehefrauen. Einmal durfte ich sogar eine Rede halten.“ In Norwegen wird Gleichberechtigung eben großgeschrieben.




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