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Eva Pöcksteiner, ORF London Should I stay or should I go 2019 war ein entscheidendes Jahr für den Brexit, obwohl nichts Entscheidendes passiert ist. Aber es war geprägt von schier endlos langen Debatten im Parlament, nächtlichen Abstimmungen und politischen Umwälzungen.


Das Jahr hat für die damalige Premierministerin Theresa May schon mit großen Stolpersteinen begonnen. Ihr Austritts-Abkommen, das sie mit der EU ausverhandelt hat, hatte sie kurz vor Weihnachten wegen großer Widerstände nicht zur Abstimmung im Parlament gebracht und musste es deshalb ins neue Jahr mitnehmen. Es wurden einige Nachverhandlungen durchgeführt und erstmals im Jänner dem Parlament zur Billigung vorgelegt. Da ist der Brexit-Deal von Theresa May jedoch mit Bomben und Granaten durchgefallen. Knackpunkt war vor allem der sogenannte Backstop, der die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland regeln sollte. Theresa May hatte damals mit ihrer konservativen Partei keine Mehrheit im Parlament. Ihre Minderheitsregierung wurde von der nordirischen Unionistenpartei DUP gestützt. Diese war vor allem mit der irischen Grenzfrage nicht zufrieden und stimmte gegen das Abkommen. Genauso auch viele in Mays eigenen konservativen Reihen. Manchen Tory-Parteikollegen, die eigentlich lieber in der EU bleiben wollten, war die Trennung zur Europäischen Union in dem Abkommen zu stark, anderen Tories war sie wieder zu wenig stark, sie wollten einen viel deutlicheren Schnitt mit der EU. Und die Opposition ließ ohnehin kein gutes Haar an dem Austritts-Abkommen.

Fazit: Eine Sackgasse, das Austrittsdatum 31. März konnte nicht gehalten werden. In stundenlangen Debatten im Unterhaus und unzähligen Abstimmungen wurde versucht auszuloten, was eigentlich das Parlament für ein Abkommen will, etwa eines das nahe an einer Zollunion ist oder beim europäischen Binnenmarkt? Für keine Variante gab es eine Mehrheit, abgesehen von einer: Das Parlament wollte keinen ungeregelten Austritt.

Eine entscheidende Rolle kam dabei dem Parlamentssprecher John Bercow zu. Er gelangte mit seinen unterschiedlich intonierten "Order"-Rufen zur Berühmtheit, aber auch durch seine engagierten Bemühungen einen Ausweg aus der Patt-Situation zu finden. Dabei hat er tief in den Geschichtsbüchern und Gesetzestexten gegraben um seine jeweiligen Entscheidungen zu untermauern. Einige haben dem konservativen Bercow vorgeworfen, eher auf der Seite der Brexit-Gegner zu sein, aber im Allgemeinen wurde seine Leistung sehr geschätzt.

Er war es auch, der als Konstante im Parlament geblieben ist, selbst als Premierministerin Theresa May nach zwei weiteren verlorenen Abstimmungen das Handtuch geworfen hat. Ein neuer Parteichef wurde gesucht und nach einem mehrwöchigen parteiinternen Auswahlverfahren blieben zuletzt die beiden ehemaligen Außenminister Jeremy Hunt und Boris Johnson über. Aus der Stichwahl ging Johnson deutlich als Sieger hervor und damit war klar, dass Großbritannien nun auf einen härteren Brexit zusteuert. Um möglichst wenig von seinem Kurs für das neue Austrittsdatum 31. Oktober abgedrängt zu werden, hat Boris Johnson im September das Parlament beurlaubt, was einen riesigen Aufschrei verursacht hat. Mehrere Klagen wurden dagegen eingebracht und schließlich entschied das Gericht, dass die Beurlaubung des Parlaments unrechtmäßig war.

Eine Niederlage für Boris Johnson und es folgte sogleich eine weitere. Sein Abkommen, das er mit der EU nachverhandelt hat, wurde vom Parlament abgelehnt. Also neuerlich eine Sackgasse, auch das Austrittsdatum 31. Oktober war somit nicht haltbar. Die Rufe nach Neuwahlen wurden immer lauter und schließlich willigte Boris Johnson ein und rief diese aus. Es war die erste Wahl im Winter seit den 1920er Jahren. Es war keine normale Parlamentswahl sondern eine Abstimmung über die Zukunft des Landes: ob in der EU, oder außerhalb. Die Wählerinnen und Wähler hatten die Wahl zwischen den Anti-EU-Parteien auf der einen Seite, also den konservativen Tories mit dem Abkommen von Boris Johnson oder der Brexit-Partei von Nigel Farage, der für einen harten Schnitt mit der EU eintrat. Oder einer Pro-EU-Partei auf der anderen Seite, den Liberaldemokraten, die sich für den Verbleib in der EU stark machten. Die Labour-Partei hatte keine klare Brexit-Linie sondern setzte nur auf soziale Themen.

Und die Wählerinnen und Wähler entschieden sich ganz klar für Boris Johnson und seinen Brexit-Kurs. Mit einer satten Mehrheit im Parlament stimmten nun die Abgeordneten deutlich für das Austrittsabkommen und somit stand einem formalen EU-Austritt am 31. Jänner 2020 nichts mehr im Wege. Die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU - also wie es nach der Übergangsperiode weitergeht - werden allerdings noch für viel Diskussionsstoff sorgen.


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