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Prof. Mag. Kurt Brazda Leuchttürme im digitalen Dickicht Die Pandemie erzeugte in uns allen nicht nur das Gefühl beklemmender Verunsicherung, sie machte uns auch deutlich, wie sehr wir uns immer mehr im digitalen Dickicht verirren. Ein Dickicht, das übervoll ist an Versprechen bis Verheißungen, an dystopischen Drohungen bis zynischen Überlebensstrategien, an offener Diskriminierung, befeuert von populistischen Schuldzuweisungen. Krude Verschwörungstheorien geistern wie untote Botschaften durch das Netz, der Unterschied zwischen richtig und falsch ist kaum mehr auszunehmen, denn Halbwahrheiten als perfideste Form der Lüge durchseuchen die Medienlandschaft und treten mit jener Überzeugungskraft auf, die Lügen erst auf der Basis ihres teilweisen Wahrheitsgehalts Plausibilität verleihen.

Der Journalismus, der im vorigen Jahrhundert noch den Anspruch stellen konnte, als Korrektiv die vierte Gewalt im Staat zu sein, scheint zu zerbröseln. Millionen von User/innen haben offensichtlich seinen Platz erfolgreich eingenommen, Menschen, für die so etwas wie Medienethik und soziale Verantwortung nicht existieren. Sie dilettieren nunmehr als Kolumnist/innen und Feuilletonist/innen, sie verfassen wütende bis hetzerische „Leitartikel“, ohne mit diesen Begriffen etwas anfangen zu können, und sehen sich in der Regel auch im Besitz der eigentlichen Wahrheit. Eine „Wahrheit“ allerdings, die sie durch eine fremdbestimmte Journaille von Gratiszeitungen oder Krawallsendern eingebläut bekommen, und, was noch schlimmer ist, von der regierenden Politik selbst.

Die Macht der Bilder, Töne und Worte dient nicht nur Kunst und Kommerz, sondern vor allem der Politik, um kollektive Emotionen zu evozieren. Dabei ist die Wirkmächtigkeit der Bilder wesentlich stärker als die der Sprache, weil sie direkt Gefühle ansprechen, noch bevor der Verstand sich mit der optischen Darstellung befassen kann. Bilder können kaum verbalisiert werden, die Beschreibung ihres Inhaltes ist ein schwacher Abglanz ihrer tatsächlichen Botschaft, die sich voll nur der optischen Wahrnehmung erschließt. Als Beispiel, was Bilder vermögen, sei hier das Foto eines ertrunkenen Kindes an einem Mittelmeerstrand genannt, dessen breite Veröffentlichung 2015 das ungeheure Flüchtlingselend verdeutlichte und damit in Europa für einen Aufschrei sorgte, der umfassende Hilfsbereitschaft generierte. Wochenlang hatten vorher Zeitungen, soziale Medien und Fernsehen darüber berichtet, ohne auch nur annähernd die Menschen so zu berühren, wie es dieses einzelne Bild vermochte. Dabei kam in unserer ganz auf Bewegtbild getrimmten Welt der Tatsache, dass es sich um ein Standfoto handelte, besondere Bedeutung zu. Der Flüchtigkeit des Filmes wurde hier eine Ikone gegenübergestellt, deren Statik sich ins Gedächtnis einbrannte.

Politiker/innen, insbesondere ihre Medienberater/innen, kennen die Macht der Bilder ganz genau und setzen sie, wo es geht, manipulativ ein. Fotos werden nicht nach Wahrhaftigkeit ausgewählt, sondern nur zweckbestimmt, oftmals werden sie nachbearbeitet und nachinszeniert, Vordergrund, Mitte und Hintergrund werden sorgfältig gestellt, Schärfe und Unschärfe genau gesetzt. Die Websites der Politik sind voll von solchen Artefakten.

Botschaften werden genau abgeklopft und auf ihre Breitenwirkung geprüft, bevor sie verkündet werden. Der Akt der Verkündigung wir dabei besonders zelebriert und ritualisiert, er wird zum Hochamt, in dem Inszenierung und Botschaft zu einem „Big Picture“ zusammenfließen.


Dabei bedienen sich nicht nur ausgewiesene Populist/innen dieser Mittel, sondern auch in „lupenreinen“ Demokratien bauen Politiker/innen solche Barrieren zwischen sich und den Menschen, denen sie Rechenschaft schulden. Das Unwort der „Message Control“ beschreibt sehr treffend das Verhältnis dieser Politik zur Wahrheit! Als Zeitzeuge erinnert man sich mit Wehmut an die Pressebegegnungen nach dem Ministerrat in den 70ern, wo Bruno Kreisky sich brummig unter die Journalist/innen mischte, um sich auch den unangenehmsten Fragen zu stellen.

Die Digitalisierung ist gerade dabei, unsere Welt zu verändern, viel schneller noch als es der Buchdruck im 15.und 16. Jahrhundert vermochte. Der Begriff der „Erwerbsarbeit“ beispielsweise wird immer fragwürdiger in einem wirtschaftlichen Environment, in welchem die digitale Sturmflut Arbeitsplätze vernichtet, ohne entsprechende Substitute zu schaffen. Es kommt zu gesellschaftlichen Umschichtungen, deren deutlichster Effekt die Entstehung eines digitalen Lumpenproletariats darstellt, das einerseits aus älteren Arbeitslosen und andererseits aus hybrid und fragmentarisch bis prekär beschäftigten jungen Menschen besteht, die kaum die Chance auf eine nachhaltige soziale Absicherung haben. Die Schere der Ungleichheit klafft immer weiter auseinander.

Der fortlaufende Prozess der wachsenden Ungleichheit birgt ungeheuren sozialen Sprengstoff in sich und ist so wie Umwelt und Pandemie eine der brennendsten Herausforderungen, der sich die Politik stellen muss.

Doch was bedeutet dies alles für die Demokratie? Einerseits wirkt sich die Digitalisierung verheerend auf den Zusammenhalt der Gesellschaft aus, andererseits erschließt sie ungeahnte Potenziale für Selbst- und Mitbestimmung, für Gerechtigkeit und Humanisierung der Welt. Die Mobilisierung über soziale Netzwerke könnte alle gesellschaftlichen Bereiche mit demokratischem Bewusstsein durchfluten. Warum geschieht dies aber kaum?

Demokratie ist, das hat uns das letzte Jahrhundert wohl deutlich vor Augen geführt, keine Selbstverständlichkeit. Einmal zerstört, braucht es Generationen, sie wiederherzustellen. Sie kann nicht verordnet, sondern sie muss aus Überzeugung gelebt und auch immer wieder neu erkämpft werden. Nach wie vor lauern überall totalitäre Geisteshaltungen, die mit ihrem notorischen Wechselbad von Angst und Verheißung immer wieder Morgenluft wittern. Wie uns die Pandemie gelehrt hat, ist Angst ein treffliches Disziplinierungsmittel, um Menschen ihre Rechte vorzuenthalten. Sie ist eine Fesselung, die die Menschen davon abhält, sich politisch zu betätigen, genauso wie der kräfteraubende Existenzkampf des vorher erwähnten digitalen Lumpenproletariats dieses behindert, sich für seine Rechte politisch zu engagieren. Könnte es ein, dass dahinter nicht Methode steht? Angst und Selbstausbeutung als gewollte Demokratiebremse?

Wenn Journalismus als die vierte Säule des Staates wieder zum wirksame Kontrollmechanismus über die Herrschenden werden soll, so muss er zum Born sozialer Verantwortung werden. Demokratie ist nämlich bei aller Komplexität nichts anderes als die Verantwortung aller für alle. Hier kommt die Abhängigkeit ins Spiel. Immer mehr Medien finden sich in politischer und wirtschaftlicher Gängelung, ihre Nähe zu Politik und Wirtschaft führt zu Selbstzensur, gegebenenfalls auch bis zur „Hofberichterstattung“. Viele Journalist/innen tragen stolz ihre „Freundschaft“ mit den Mächtigen zur Schau, was die zahlreichen „Verlags-Partys“ und die Berichte der Klatschpresse danach deutlich offenlegen. Ein Journalismus aber, der es nicht gelernt hat, Distanz zu halten gegenüber jenen Personen, über die er objektiv zu berichten hat, verspielt schnell seine Glaubwürdigkeit, weil er zum willigen Sprachrohr der jeweils Mächtigen wird.

Wenn dann nur mehr das in der Öffentlichkeit vorkommt, was politisch genehm erscheint, und zwar durch Medien, die durch spezielle Förderung und Werbeanzeigen „gekauft“ sind, beginnt die Demokratie zu bröckeln. Dazu gehört auch die gezielte Ablenkung der Menschen von den brennenden Fragen durch eine boomende mediale Unterhaltungsindustrie.

Das Internet mit seinem niederschwelligen Zugang wird von jenen, die jede Form von Regulativ ablehnen, gerne als das Biotop zeitgemäßer demokratischer Kommunikation gepriesen. Allerdings hat die globale Brutal-Ökonomie, die so wie das Militär auch an der Wiege dieses nicht mehr wegzudenkenden Phänomens stand, längst die Dominanz übernommen und gemeinsam mit ihr auch die willfährige Politik. Während wirtschaftlicher Profit hinter der ubiquitären Verfügbarkeit und der bequemen Dienstleistung jeder Art verschleiert wird, lügen Websites der Politik in einem Maße, dass sich die Balken biegen. Entscheidend ist nicht mehr das Argument, sondern nur das Ranking in der Zahl der Follower/innen. Das scheinbar leichte Einsteigen der Bürger/innen in den digitalen Diskussionsprozess gaukelt die perfekte Demokratisierung vor, während mit manipulativer Hand von internetgeschulten Spindoktor/innen Meinungscluster erzeugt werden. Die Macht der Bilder, Töne und Worte soll gewollte Lebensgefühle und Haltungen evozieren, die die etablierten Gesellschaftsmuster nicht in Frage stellen. In diesem Sinne sind gerade ethische Regulative im digitalen Zeitalter eine unbedingte Notwendigkeit, um die Demokratie nicht durch Versteinerung und daraus folgender Erosion abzuschaffen. Demokratie bedarf wie alles Lebendige stetiger Veränderung, denn der Wandel ist die einzige Konstante des Lebens.

Die vierte Säule im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung muss durch Leuchttürme geprägt sein, die über jede Form von Abhängigkeit erhaben sind. In einer durch Fake News durchseuchten Medienlandschaft wird Glaubwürdigkeit das höchste Gut. Der immer wieder von Partikularinteressen in Frage gestellte öffentlich-rechtliche Status von Medien ist aus meiner Sicht die einzige Garantie, die Gesellschaft in all ihrer Diversität zu spiegeln. Damit ist nicht mehr nur das zu sehen und zu hören, hinter dem ein kommerzielles oder politisches Kalkül, sehr oft camoufliert, zu vermuten ist, sondern die faszinierende Breite von Lebensrealitäten und Haltungen, deren Kenntnis und Akzeptanz mit allen Zwischentönen erst ein respektvolles Miteinander ermöglicht.

Wenn der ORF nunmehr seinen Platz im digitalen Konzert einnehmen soll, darf ihm gerade als öffentlich-rechtliches Medium kein Zugang zu sozialen Medien gesetzlich verwehrt werden. Darüber hinaus muss er mit der entsprechenden Finanzkraft ausgestattet werden, um seinen Auftrag auch erfüllen zu können. Aktuell wäre daher die Refundierung der wegen Gebührenbefreiungen fehlenden Mittel durch die öffentliche Hand geboten.

Die dringend anzustrebende Unabhängigkeit von parteipolitischen Begehrlichkeiten, die derzeit nicht gegeben ist, hängt elementar an der Gebührenhoheit. Ein durch das Staatsbudget finanzierter ORF fiele unweigerlich in die fatale Abhängigkeit der jeweils Regierenden und verkäme zum „Staatsfunk“. Gleichzeitig ist es wichtig, die Leitungsorgane mit ausgewiesenen Fachleuten zu besetzen, um Nähe zu politischen Parteien möglichst zu unterbinden. Ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen sollte allen Staatsbürger/innen gehören und somit zu einem wesentlichen Identifikationsfaktor nach innen wie nach außen werden!

Der entscheidende Terminus ist aber die soziale Verantwortung. Wenn etwas den ernsthaft betriebenen Journalismus vom Boulevard und den Millionen dilettierenden „Journalist/innen“ im Netz unterscheidet, dann ist es diese Haltung. Ein öffentlich-rechtliches Leitmedium, wie es der ORF ist, muss sich zu einer anerkannten moralischen Instanz in der digitalen Welt hinaufentwickeln.

Er könnte vorzeigen, wie sich Demokratie und Menschenrechte mit der alles durchdringenden Digitalisierung auf einen Nenner bringen lassen. Sein wichtigstes Kapital dabei ist Glaubwürdigkeit im Sinne größtmöglicher Wahrhaftigkeit. Dazu gehört auch interne wirtschaftliche und journalistische Transparenz.

Die marktschreierische Verdumpfung der Menschen, die zum Geschäftsmodell so vieler kommerzieller Medienunternehmen geworden ist, muss der ORF mit qualitätvollen und spannenden Inhalten konterkarieren, die in Darstellung und Interpretation aktuellen Lebensrealitäten entsprechen. Dabei gilt es auch Fantasie für alternative Gesellschaftsmodelle zu entfachen, um die grassierenden Zukunftsängste zu bannen.

Der Mangel an Grundvertrauen, die stetig wachsende Verunsicherung haben so viele auf sich zurückgeworfen, die sich ihre digitalen Inseln und Gefechtsstellungen errichtet haben. Demokratiemüdigkeit wird dabei zu einem ernsten Problem. Die Angst vor dem existenziellen Chaos und die Sehnsucht nach Sicherheit und Freiheit zugleich eint alle Menschen. Die Digitalisierung bedeutet einen zivilisatorischen Umbruch, dessen Ausmaß nicht abzusehen ist, und der daher für viele zum Angstmacher wird. Politik und Wirtschaft werden immer volatiler, vertraute Grundmuster erodieren und neue sind noch nicht gefunden. Dazu die immer deutlicher hervortretende Erkenntnis, dass wir unsere Zivilisation und unsere Biosphäre generell an die Wand fahren, wenn wir so weitermachen.

Sigmund Freud sagt: Die Stimme der Vernunft ist leise und wird daher selten gehört. Öffentlich-rechtliche Medien könnten solche Stimmen der Vernunft werden und gerade die Digitalisierung dazu nützen, dass sie auch entsprechend stark wahrgenommen werden. Sie können entscheidend dazu beitragen, dass für eine humanistische Gesellschaft so entscheidende Grundvertrauen wiederherzustellen, indem sie Achtung von Grundwerten und Stärkung der Demokratie in ihren Inhalten dauerhaft verankern. Moralinsauer? Keineswegs, wenn Leidenschaft, Visionen, Mut und Wahrhaftigkeit im Spiel sind! Der ORF könnte ein derartiger Leuchtturm werden, wenn er es nur will…