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Dr. Florian Oberhuber Qualitätsprofil Öffentliche-rechtliche Medien stehen nicht nur in Österreich unter verstärktem Druck. Das ist einerseits nicht neu. So hatte beispielsweise schon Margaret Thatcher angestrebt, die Gebühr abzuschaffen und die BBC stattdessen aus Werbung zu finanzieren. Wie der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger argumentiert, gehört die ständige kritische Befragung seiner Legitimität zum Wesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: "Als Rundfunk, der der Gesellschaft verpflichtet ist, muss er sich der öffentlichen Kritik stellen, die dort erhobenen Ansprüche registrieren, Anregungen aufgreifen und sich durch Leistungsnachweise legitimieren."

Wie im Folgenden gezeigt werden soll, können die im Jahr 2011 vom ORF geschaffenen "Qualitätsprofile" als eine Form der produktiven Institutionalisierung eines Qualitätsdiskurses als Reflexionsinstanz und Steuerungsinstrument verstanden werden. Für alle ORF-Medien und Programmbereiche legen sie allgemeine und genrespezifische Auftragswerte offen und machen so Qualität der systematischen Evaluierung und Diskussion zugänglich.

Auf der anderen Seite hat sich der gesellschaftliche Kontext seit Einführung der Qualitätsprofile im Jahr 2011 gewandelt. Politische und soziale Polarisierungsprozesse führten zu einer Beschädigung jenes demokratischen Diskurses, innerhalb dessen die Verständigung über Aufgaben und Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erst möglich wird. Um diesen Diskurs wieder zu stärken, sollte die Zukunft des ORF so breit und offen wie möglich zur Diskussion gestellt werden.

Seit gut drei Jahrzehnten wird im deutschsprachigen Raum systematisch über Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert und die Rolle des Publikums in diesem Zusammenhang reflektiert. Publikums-Akzeptanz und Zielgruppen- Adäquanz, so die etablierte These, ist für Qualität konstitutiv. Denn nur wenn die gebotenen Inhalte auf Seite der Rezipient:innen auch ankommen, verstanden und verarbeitet werden, kann Qualität wirksam und sozial relevant werden. Öffentlich-rechtliche Qualität ist ohne das Publikum also nicht zu haben. Dieses ist daher nicht nur in seiner Rolle der Nutzung, sondern auch als Stakeholder ernst zu nehmen und in die Bemühung um Qualität miteinzubeziehen.

Im ORF ist die Qualitätssicherung als System zur Sicherstellung der Erfüllung des Kernauftrags rechtlich und institutionell verankert und umfasst neben der Programmstrukturanalyse sowie kontinuierlichen, qualitativen und repräsentativen Befragungen unter anderem das im Jahr 2011 entwickelte Instrument der ORF-Qualitätsprofile. Die ORF-Qualitätsprofile werden nicht auf Sendungsebene, sondern für Programmkategorien erstellt und definieren einen Katalog von allgemeinen Auftragswerten sowie genrespezifischen Eigenschaften, die sich auf die unterschiedlichen Bedingungen und Anforderungen der Arbeitspraxis in den einzelnen Programmkategorien beziehen. Der Anspruch ist es, das in den Redaktionen verankerte Qualitätsverständnis explizit zu machen und öffentlich zu kommunizieren. Die Entwicklung dieser Qualitätsprofile versteht der ORF als Teil des laufenden Qualitätsmanagements und somit als kontinuierlichen Prozess, der eine regelmäßige Evaluation mittels Methoden der Publikumsforschung sowie Optimierungsmaßnahmen der Programme umfasst.

Den konzeptuellen Rahmen der Qualitätsprofile geben die 18 Public Value- Kategorien des ORF ab, woraus sich ein breiter Qualitätsbegriff ableitet, der über etablierte Standards des Qualitätsjournalismus hinaus auch weitere Ansprüche etwa der Media Diversity oder der vielfältigen demokratiepolitischen Funktionen des Mediums umfasst. Konkrete Merkmale und Zufriedenheiten mit einzelnen Sendungen sind hingegen nicht Teil der Qualitätsprofile, womit diese klar als Instrument der öffentlich-rechtlichen Qualitätssicherung, nicht der Marktforschung positioniert werden.

Sowohl das Konzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch jenes des Public Value geht über rein marktbezogene Publikumskonzeptionen hinaus und adressiert dieses auch als Bürger:innen und Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft, die aktiv in die Programmentwicklung und die Debatte um Medien-Qualitäten einzubeziehen sind. Der ORF hat den Dialog mit dem Publikum unter anderem in den jährlichen Publikums- und Expert:innengesprächen institutionalisiert. Auch für die empirische Evaluation der Qualitätsprofile wird dieser diskursive Ansatz im Rahmen eines qualitativen Erhebungsverfahrens übernommen. Seit dem Herbst 2011 führt das SORA-Institut im Auftrag des ORF empirische Evaluationsstudien zu den Qualitätsprofilen durch, wobei jedes Jahr ein Programmbereich im Zentrum steht. Dazu wird das jeweilige Qualitätsprofil sowohl als standardisierte Fragenbatterie als auch im Rahmen eines Interview-Leitfadens operationalisiert und das Publikum in Fokusgruppen sowie teilstandardisierten Interviews österreichweit nach der Wichtigkeit der Qualitätsdimensionen sowie nach deren Erfüllung durch die ORF-Angebote befragt. Dieses offene und dialogische Vorgehen erlaubt einen detaillierten Einblick in das Qualitätsverständnis und -bewusstsein des Publikums.

Die Ergebnisse sind für das Anliegen einer Einbeziehung von Nutzer:innen in den Qualitätsdiskurs durchaus vielversprechend, bestätigen sie doch den auch in anderen Studien belegten Befund, wonach das Publikum neben individuellen Leistungserwartungen auch die Legitimität breiterer gesellschaftlicher Ansprüche an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unterstützt. Neben dieser Funktion für den gesellschaftlichen Qualitätsdiskurs erfüllen die Qualitätsprofile zweitens eine Steuerungsfunktion im internen Qualitätsmanagement des ORF, indem sie Wahrnehmungen und Ansprüche des Publikums systematisch erheben und so der internen Reflexion zugänglich machen, um allfällige Lücken zwischen Soll und Ist zu schließen.

Nach mittlerweile elf durchgeführten Evaluationsstudien kann festgehalten werden, dass das befragte Publikum das vom ORF in den Qualitätsprofilen ausformulierte Konzept öffentlich-rechtlicher Qualität breit mitträgt, darunter etwa vielfältige und verständliche Programmgestaltung für alle Bevölkerungsgruppen, starker Österreichbezug oder seriöse Sachinformation und konsequenter Qualitätsjournalismus hinsichtlich Recherche und redaktioneller Arbeit. Dieser Qualitätsbegriff ist über alle Evaluationsrunden nicht nur außerordentlich stabil, sondern erweist sich auch unter jüngeren Bevölkerungsgruppen weiterhin maßgeblich und verfügt über eine hohe Konsensfähigkeit, d. h. sowohl seltene als auch regelmäßige Nutzer:innen können übereinkommen, dass eine Orientierung an diesen Qualitäten im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF legitim, wichtig und unterstützenswert ist.

Allerdings: Das Böckenförde-Theorem, wonach der liberale Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, lässt sich auch auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Bereitschaft einer Gesellschaft - bzw. der relevanten Stakeholder - sich auf einen geweinwohlorientierten Diskurs mit Leitbegriffen wie Qualität und Public Value überhaupt einzulassen. Ebendieser Raum der demokratischen Verständigung ist seit Begründung der Qualitätsprofile durch politische und soziale Polarisierungsprozesse unter Druck geraten. Er beruht auf dem demokratischen Grundvertrauen aller Akteure in den guten Willen der jeweils anderen. Wo dieses Grundvertrauen einer Wahrnehmung der anderen als Feinde weicht, kommt Diskurs zu erliegen, denn die Argumente und Fakten der anderen Seite werden grundsätzlich nicht mehr anerkannt: Die Diskussion über das Öffentlich- Rechtliche weicht einem Machtkampf um die Kontrolle über Medien und Öffentlichkeit. Erosionsprozesse der demokratischen Sphäre zeigen sich empirisch unter anderem in den zahlreichen vergleichenden Rankings zur Demokratie, die Österreich in den letzten Jahren maßgebliche Rückschritte bescheinigen, etwa hinsichtlich mangelnder Transparenz des Regierungshandelns, dem Einfluss finanzstarker Gruppen auf die Gesetzgebung, Korruption oder der Medienfreiheit. Hinsichtlich der politischen Kultur belegen große repräsentative Studien wie der von der SORA-Forscherin Martina Zandonella durchgeführte Österreichische Demokratiemonitor einen massiven Vertrauensverlust. So sank die Zufriedenheit mit dem politischen System im Demokratiemonitor 2022 auf nur mehr 34 % - das ist ein Rückgang um 30 Prozentpunkte im Vergleich zum Erhebungsbeginn 2018. Dahinter stehen im unteren Drittel der Gesellschaft Erfahrungen von Abwertung und Ausschluss, im mittleren Drittel der Eindruck, dass privilegierte Gruppen das politische System für ihre Eigeninteressen nutzen.

Diese Vertrauensverluste gehen über die politischen Institutionen hinaus. So zeigt Jakob-Moritz Eberl anhand von Daten des Austrian Corona Panels, dass Teile der Bevölkerung auch dem Wissenschaftsbetrieb und wissenschaftlichem Wissen ihr Vertrauen entzogen haben. So ist etwa ein Viertel der Bevölkerung der Meinung (September 2021), dass man sich mehr auf den gesunden Menschenverstand und weniger auf wissenschaftliche Studien verlassen sollte. Auch die Medien sind einer generellen Kritik der Schönfärberei betroffen, und im Demokratiemonitor 2022 stimmt eine Mehrheit von 59 Prozent der Aussage zu, dass "Politik und Medien unter einer Decke stecken".

Diese Veränderung in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fordert auch die Sicherung der öffentlich-rechtlichen Medienqualität heraus. Denn, wie Neuberger festhält, die "substanzielle Klärung öffentlich-rechtlicher Leistungserwartungen" ist die unerlässliche Basis für jedes operative Qualitätsmanagement. Mit anderen Worten: Aussitzen und "business as usual" sind gefährliche Strategien. Vielmehr kann einer drohenden Erosion der Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umso eher begegnet werden, je breiter und offener die Debatte um seine Legitimität geführt wird. Die traditionellen Massenmedien verlieren an Vertrauen, weil sie gegenüber der Gesellschaft zu wenig offen, zu wenig responsiv sind, formulierte der Kommunikationswissenschaftler Otried Jarren und wünschte sich für Deutschland eine breite Debatte über die Zukunft der Öffentlich-rechtlichen. Denn öffentlich-rechtliche Medien bedürfen entsprechender Leitbilder. Und diese können nur im gesellschaftlichen Diskurs entstehen.

Angesichts teils polarisierter politischer Eliten, sind Publikum bzw. Bürger:innen wichtige Verbündete gegen die Aushöhlung eines gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der ORF sollte sich daher weiter öffnen und Diskursräume, Interaktion und Partizipation fördern, wo immer es möglich ist. Nähe und Einbindung stärken Vertrauen. Bürgerräte und Citizen Science liefern dafür mögliche Anregungen. Dabei sollten Transparenz, Integrität und die gleiche Chance auf Repräsentation unabhängig von Einkommen und formaler Bildung wesentliche Leitlinien sein.

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Vom Qualitätsprofil zum "Quality Check"

Um die in der ORF- Qualitätssicherung gewonnen Erkenntnisse auch in der täglichen Produktionspraxis zu berücksichtigen, hat der ORF eine zusätzliche Maßnahme entwickelt, die sicherstellen soll, dass Kritik und veränderte Erwartungshaltung auch in die zukünftige Programmarbeit einfließen. Der ORF-"Quality-Check" ist ein mehrstündiger Workshop, der mit (jeweils) einer programmproduzierenden ORF-Hauptabteilung durchgeführt wird. Dabei werden den Redakteur:innen und Programmmitarbeiter:innen aktuelle Ergebnisse der

laufenden ORF Qualitätssicherung, insbesondere die Evaluierung des jeweiligen Qualitätsprofils präsentiert. Ziel ist es, in einem partizipativen Prozess die laufende Medienproduktion zu diskutieren, eine kritische Selbstreflexion durchzuführen und auf der Basis einer Stärken/Schwächenanalyse konkrete Schlussfolgerungen und ggf. Zielsetzungen für die künftige Qualitätsmedienproduktion abzuleiten. Dabei werden externe Expert:innen und Kolleg:innen anderer ORF-Medien zur kritischen Betrachtung und Vertiefung besonderer Aspekte und aktueller Herausforderungen beigezogen.