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Andrea Mocellin & Mario Beilhack Blick über die Grenze: Qualitätssicherung in ARD/rbb Die Digitalisierung der Medien und die damit einhergehenden drastischen Veränderungen in der Produktion von medialen Inhalten, deren Verbreitung und vor allem deren Nutzung führten im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) ab 2019 zu einem Wechsel in der Programmangebotsstrategie: Die Reduzierung linearer, klassischer Medienangebote in Radio und Fernsehen zugunsten des Ausbaus einer non-linearen, zeitsouveränen Nutzung unserer öffentlich-rechtlichen Inhalte auf Plattformen wie die ARD-Audiothek und -Mediathek sowie auf den sogenannten Drittplattformen kommerzieller Anbieter. Für das Qualitätsmanagement des rbb - und wohl auch aller anderen öffentlich-rechtlicher Landesrundfunkanstalten der ARD - bedeutet dieser systemische Change eine große Herausforderung in Fragen der Steuerung und Bewertung der Qualität öffentlich-rechtlicher Inhalte. Der vom Gesetzgeber auferlegte Programmauftrag veränderte sich bislang zwar nur geringfügig, wurde aber mit dem neuen Medienstaatsvertrag in Fragen der Programmqualität entscheidend geschärft. Der neue im Ratifizierungsprozess durch die Länderparlamente befindliche geänderte Medienstaatsvertrag sieht eine verstärkte Mitwirkung der Aufsichtsgremien bei der Erfüllung des Programmauftrages in qualitativer Hinsicht vor. Wie diese neuartige Aufsicht aussehen wird, ist gerade im Entstehen und wird bestimmt eine gewisse Dynamik auf die Entwicklung öffentlich-rechtlicher Programmangebote bei ARD und ZDF entfalten. Gleichzeitig entstand eine fast unüberschaubare Anzahl von für unterschiedliche Plattformen und Kanäle produzierten Inhalten für Nutzer:innen, die mit den klassischen linearen Angeboten nur noch schwer oder gar nicht mehr zu erreichen sind. Das trifft vor allem auf die jüngeren Zielgruppen zu.

Die Ausdifferenzierung medialer Angebote kommt hier voll zum Tragen. Die Jüngeren (unter 50 Jahren) präferieren die zeitsouveränen Angebote und die schier grenzenlose Vielfalt an Unterhaltungs- und Informationsmöglichkeiten, die das Netz oder Apps auf den Endgeräten bieten. Aus der Sicht der klassischen Medien hat sich hier ein wahrer "Marianengraben" aufgetan. Hinzu kommt, dass viele zeitsouveräne Inhalte nur eine sehr kurze Lebensdauer haben und deshalb ephemer sind. Die klassischen quantitativen wie qualitativen Verfahren der Reichweiten- und Erfolgsmessung führen hier nicht mehr weiter, eine Unmenge von unterschiedlichsten Nutzungsdaten der digitalen Angebote muss für eine quantitative wie qualitative Verortung erst einmal verstanden und richtig priorisiert werden. Uns war klar, dass das Qualitätsmanagement hier neue Wege beschreiten muss und dass sogenannte "Programmdialoge", wie wir sie im regelmäßigen halbjährlichen bis jährlichen Turnus für die klassischen Angebote erfolgreich durchführten, im Falle der non-linearen Angeboten nicht mehr zielführend erschienen.

Die Erfahrungen aus diesen Qualitätsprozessen waren aber hilfreich bei der Entwicklung eines neuen Qualitätsverfahrens für die non-linearen Inhalte. Um auf die Volatilität dieser non-linearen Angebote und deren Entwicklungsgeschwindigkeit einzugehen und auch zu einer "schnelleren" und effektiven Evaluation zu kommen, führten wir im rbb die sogenannte "Digitale Portfoliomatrix" ein, die im Prinzip alle non-linearen Programmangebote nach qualitativen und quantitativen Kriterien bewertet. "Bewerten" ist hier nicht als endgültiges Qualitätsurteil zu verstehen, sondern als eine Art "Begutachtung" im Sinne von "Review"-Verfahren. Das Ziel ist auch hier wie bei den klassischen Programmdialogen, den programmschaffenden Abteilungen und Redaktionen wertvolle Hinweise für den qualitativen wie quantitativen Erfolg ihrer Formate zu geben. Den bewährten Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Bewertung behielten wir bei, schärften ihn durch eine priorisierende Auswahl der Bewertungskriterien. Wenige qualitative Bewertungsmerkmale und die Festlegung auf "KPIs" für die quantitative Evaluation sollen hier für ein schnelles und Orientierung gebendes "Bild" für alle programmschaffenden Abteilungen sorgen, eine Art "Ampelsystem" farblich visuell signalisieren, welche Angebote zufriedenstellend oder sehr gut performen bzw. wo Handlungsbedarf zur Optimierung besteht. Wichtig ist, dass wir bei der Entwicklung des neuen Verfahrens alle relevanten Akteur:innen miteinbezogen haben, um so größtmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Bewertung herzustellen.



Die Auswahl der Qualitätskriterien und die Festlegung der KPIs müssen von allen programmführenden Abteilungen als "Währung" anerkannt werden, nur so kann die "Portfoliomatrix" wirken und bei Veränderungen bzw. Anpassungen in der Angebotsstrategie helfen. Wichtig ist festzuhalten: Die Qualitätssteuerung über die "Digitale Portfoliomatrix" kann und will keine Programmentscheidungen treffen, sie liefert lediglich eine objektivierte Basis dafür.




Da vor allem die qualitative Evaluation mehr Zeit als die quantitative in Anspruch nimmt, wird mit den programmführenden Abteilungen festgelegt, welche bestehenden Formate oder Kanäle bewertet werden. Neuentwicklungen oder neue Kanäle werden dabei immer vollumfänglich bewertet. Nicht jedes Einzelformat wird dabei geprüft, aber alle, die eine längere Laufzeit haben, oder aus denen ein Erkenntnisgewinn für neue Formate derselben Redaktion gezogen werden könnte (z. B. Podcastreihen ab sechs Folgen). Nach einem halben Jahr werden sie dann einem Review unterzogen. Nicht alle qualitativen Kriterien müssen von jedem Format erfüllt werden, allerdings die zentral für öffentlich-rechtliche Qualität und Public Value stehenden schon. Wichtig sind hierbei auch die bei einer Landesrundfunkanstalt im Fokus stehenden regionalbezogenen Kriterien. Aus dieser Erkenntnis heraus findet die qualitative Portfoliomatrix beim rbb zunehmend auch Eingang bei der Entwicklung klassischer linearer Formate. Die Redaktion überlegt sich jeweils, welche der inhaltlichen Kriterien sie neben den verpflichtenden öffentlich-rechtlichen (Programmauftrag und Core Values) erfüllen will. Insofern ist es ein flexibles Modell, mit dem sich das Portfolio in seiner Angebotsbreite steuern lässt.

Insgesamt kann man festhalten, dass das Qualitätsmanagement durch die Digitalisierung eine gewichtige Rolle in der qualitativen Programmsteuerung zuwächst. Die qualitative Unterscheidbarkeit öffentlich-rechtlicher Inhalte ist im digitalen Zeitalter mit seiner Vielzahl an Kanälen und Plattformen von zentraler Bedeutung und darf nicht hinter der Prämisse der notwendigen Zielgruppenorientierung untergehen. Eigentlich ist diese Unterscheidung genau dann auch ein Erfolgsgarant, wenn sie für diese Zielgruppen in hoher Qualität deutlich wahrnehmbar und zu finden ist.