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Hanno Settele Orientierung - Motown und frischer Schon die Entstehung von "Dok 1" war irgendwie ungewöhnlich: Programmdirektorin Kathrin Zechner fragte den Autor dieser Zeilen, ob er denn Interesse hätte, "Dokus der etwas anderen Art" für den Hauptabend von ORF 1 zu gestalten. Im Wissen, dass lange Formate für mich immer eine Herausforderung waren - um es elegant zu formulieren - verneinte ich höflich, aber unmissverständlich.

Keine 24 Stunden später stand ein mir völlig unbekannter Mann in meinem Büro, stellte sich freundlich als "Lukas Sturm" vor und begann, die Meriten unserer "kommenden, hoffentlich erfolgreichen Zusammenarbeit im Rahmen von "Dok 1" zu besingen. Ich wähnte ihn und mich im falschen Film. Ein Anruf im Büro Zechner - ja, vor zehn Jahren hat man noch telefoniert - brachte Licht ins Dunkel: "Das mit der Absage hast Du doch nicht ernst gemeint, Hanno", lieferte Kathi Z. eine geradezu entwaffnende Erklärung des Vorgangs. "Lass Dich einfach darauf ein".

Das war vor genau zehn Jahren. Heute, fast 150 "Dok 1"-Ausgaben später, hat sich das Format etabliert. Durchschnittlich 262.000 Zuseher:innen schenken unseren jährlich 30 eigenproduzierten Ausgaben Woche für Woche ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Das ist schön. Besonders auf ORF 1. Außergewöhnlich hingegen ist, dass der Marktanteil der jüngeren Zuseher:innen sich bei 16 Prozent eingependelt hat. Dieser hohe Wert für eine Sendung aus dem Doku-Genre war vielleicht zu erhoffen, aber keinesfalls als selbstverständlich zu erwarten. Es ist zur Königsdisziplin jedes linearen Fernsehsenders geworden: Wie erreicht man in Zeiten, in denen die unter 40-Jährigen in der Regel gar keinen TV-Apparat mehr zuhause haben, jüngere Zuseher:innen? Ohne dabei komplett in Trash und Reality-Gesummse zu versinken? Wobei "jung" relativ zu sehen ist: In der Fernsehwelt endet "jung" bei 49 Lebensjahren … Eine "Dok 1" ist keine klassische Doku.

Eine "Dok 1" ist eine Reise mit offenem Ergebnis. Die großartige Lisa Gadenstätter und ich laden die Zuseher:innen ein, zusammen mit uns ein Thema zu erkunden. Wir führen durch Sendungen, deren Ausgang nicht von vornherein feststeht. Dies geht mitunter so weit, dass wir zu Beginn eine These aufstellen, formuliert und vertreten durch uns, die Hosts. 45 Minuten später ist diese These entweder widerlegt oder vielleicht bestätigt, in jedem Fall aber von vielen Seiten betrachtet. Das ist die Essenz, die Würze dieses Formats: "Dok 1" belehrt nicht. "Dok 1" ist keine digitale Schulklasse. Wo der Fernsehmensch alles weiß, und das geneigte Publikum dankend zusehen darf. Wir wissen eben NICHT alles. Wir möchten aber mehr wissen. Diesen Prozess auf Sendung offen darzustellen, die Momente des Unwissens bewusst nicht wegzuschneiden: Das scheinen unsere Zuseher: innen zu schätzen. Die Sekunde, in der Fernseh-Anchor und Publikum gleichzeitig, und zwar ehrlich gleichzeitig, ihren Horizont erweitern: Das ist die Stärke von Dok 1".

Erinnern Sie sich an die Unruhen in der Türkei, als Präsident Erdogan 2016 von einem "Putsch der Gülenisten" sprach und im eigenen Land brutal durchgriff? Auch in Wien kam es zu Unruhen. Tausende zogen durch die Mariahilferstrasse, es kam zu Gewalttätigkeiten zwischen rivalisierenden türkischstämmigen Gruppen. Unsere "Dok 1" zu diesem Thema startete mit (m)einer These, klar ausformuliert: "Warum tragen die ihre Probleme nicht in Istanbul oder Ankara aus?" Ein Gedanke, den wahrscheinlich nicht nur ich hegte. Wir luden zwei junge Frauen mit Migrationshintergrund in die Sendung ein, die schlicht und einfach mehr wussten als ich. Näher dran waren als der Moderator. Aus eigenem Erleben etwas beitragen konnten. Beide Frauen zerlegten on air mein ein oder anderes Vorurteil. Durch ihr Wissen.

Am Ende der Sendung wurde von niemandem verlangt, gewalttätige Proteste in Österreich gutzuheißen. Es wurde aber ein Einblick in die Thematik geboten, der ein Fenster zum Verständnis ermöglichte. Fast 400.000 Zuseher:innen waren dabei. Mit überragenden Zahlen vor allem beim jungen und ganz jungen Publikum.

Von Anfang an legten wir großen Wert auf vermeintlich kleine Dinge. Exemplarisch sei unsere Musikauswahl erwähnt. Mir persönlich graut vor Hintergrundmusik nur um der Hintergrundmusik willen. Lisa Gadenstätter denkt genau gleich. Dass wir fast zwei Jahrzehnte auseinanderliegen, hat musikalische Vorteile für unsere Zuseher:innen. Motown bei mir, frischerer Sound bei ihr. Fast wöchentlich bekommen wir Anfragen, ob es irgendwo den Soundtrack zu unseren Sendungen gäbe. Das sind kleine, aber feine Triumphe.

Wir wagen uns auch regelmäßig an komplett andere Erscheinungsformen als manch klassische Doku. Wenn uns nach 45 Minuten "Dok 1" E-Mails oder Social Media-Kommentare erreichen, die uns attestieren, dass "Wes Anderson das nicht besser gemacht hätte", dann huscht uns mehr als nur ein Lächeln übers Gesicht. Ein Teamerfolg. "Dok 1"-Kameraleute werden nicht mit einem Thema konfrontiert, dass jetzt bitte in den nächsten fünf Tagen zu bebildern ist. "Dok 1"-Kameraleute werden VOR dem ersten Dreh gefragt, welche Gestaltungsform ihnen dazu einfällt.

Das Ergebnis ist nicht nur in der Branche aufgefallen. Oft will man sie uns abwerben. Aber wir geben sie nicht her. Auch nicht, weil wir auch für 2023 viel vorhaben. Zum Thema Teuerung wird uns mehr als nur eine Sendung einfallen (müssen), auch der Klimaschutz wird uns beschäftigen. Lisa Gadenstätter verschlägt es bis nach Ghana, wo sie unseren riesigen Bergen von Textilien, die wir hier in Zeiten von "Fast Fashion" einfach wegwerfen, wieder begegnet. Außerdem: Wie leben jene rund 130.000 Österreicher:innen, die mit einer Zwangsstörung zu kämpfen haben? Auch das haben wir uns angesehen. Themen, bei denen wir nicht den Zeigefinger erheben werden. Geschichten, deren Ende wir noch nicht gekannt haben, als wir sie begonnen haben. Dokus, wie sie ORF 1 auch 2023 spielen wird.

Zahlen, Daten und Fakten zur Leistungskategorie Orientierung, finden Sie im Datenteil des Public Value Berichts 2022/2023.