next
next

DE | EN
DE | EN
Back to overview

Herbert Hayduck, Leiter des multimedialen ORF-Archivs Archiv 2.0 reloaded - Vergangenheit hat Zukunft Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal des ORF gegenüber anderen Medienunternehmen in Österreich ist sein Archiv: Programminhalte in öffentlich-rechtlicher Qualität aus über 60 Jahren Fernseh- und Radiogeschichte, nach journalistischen Kriterien des "check-recheck-doublecheck" hergestellt, stehen als vitales und einzigartiges Bild- und Tongedächtnis zur Verfügung. Siebenhundertfünfzigtausend Stunden an Zeitdokumenten aus Fernseh- und Radiogeschichte werden seit Jahrzehnten als wertvolle Ressource zur Gestaltung von ORF-Produktionen genutzt - für historische Dokumentationen ebenso wie für alle anderen Programm-Genres, von Sport bis Unterhaltung, von Kultur bis Religion und Gesellschaft. Archiv-Content mit Unikats-Charakter hat hohen Illustrations- und Erklärwert - als Mittel zum Verständnis von Vergangenheit und ihrer Wirkungen in die Gegenwart. Die systematische, jahrzehntelange inhaltliche Erschließung dieser Bestände in Datenbanken garantiert genaue Recherchierbarkeit für User/innen und bietet hohen Nutzwert mit klarem Qualitätsvorsprung gegenüber allen kommerziellen Plattformanbietern.

Auch für die beiden Leitprojekte zur "Digitalen Transformation" des ORF in den nächsten Jahren werden die Content-Ressourcen des ORF-Archivs wichtige Beiträge liefern: die Inbetriebnahme des neuen, multimedialen Newsrooms Mitte 2022 und für den "ORF-Player" als zukunftsfähiges, non-lineares und interaktives Angebot für öffentlich-rechtliche Qualitätsinhalte an alle Publikums- und Altersschichten.

Beide Zukunfts-Initiativen kommen aber nicht "out of the blue", sondern setzen auf langjährige Vorarbeiten und Erfahrungen mit gelungener digitaler Transformation im ORF auf. Wie in einer "case study" lassen sich am Beispiel des ORF-Archivs wesentliche Etappen dieses Innovationsweges nachzeichnen und in die Entwicklungprojekte der kommenden Jahre fortschreiben.

Roadmap ORF-Archiv 2000-2025 - konsequente Schritte in die Zukunft:

Digitale Vorschauvideos zur Jahrtausendwende
Das "going live" des bis Mitte nächsten Jahres noch operativen Fernseh-Newsrooms fand im Jahre 2001 statt - auf dem damals aktuellen Stand der Videotechnik, mit Videobändern als Aufzeichnungs-, Produktions- und Archivierungsmedien. Die durch die damals noch herrschenden technologischen Beschränkungen aus heutiger Sicht "langsamen" Workflows, wurden für die Archivrecherche mit einem hybriden "work around" kreativ umgangen: digitale Vorschauvideos in technisch reduzierter Internet-Qualität wurden für alle Fernsehsendungen in die Archivdatenbank integriert und unternehmensintern online zugänglich gemacht; die redaktionelle Recherche in den ORF-eigenen Videobeständen wurde damit radikal vereinfacht und beschleunigt, in die bandbasierten Produktionsumgebungen mussten nur mehr jene Bänder ausgeliefert werden, die von der Redaktion bereits inhaltlich besichtigt und ausgewählt waren. Der erste Schritt zum selbstständigen, zeit- und ortsunabhängigen Archivzugriff war damit realisiert; konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer/innen bildete die Grundlage für "Archive - anytime, anywhere".

Ein intuitives Navigationstool namens MARCO - auch für die Wissenschaft
Das interaktive Rechercheangebot des Archivs wurde in den folgenden Jahren mit der ORF-internen, web-basierten Suchmaschine MARCO entlang der User/innen-Bedürfnisse weiterentwickelt und auf die Bestände des Radioarchivs ausgeweitet - ein wesentlicher Schritt in Richtung Multimedialität des Archivs. Auch die dringend notwendige Erneuerung der noch aus den 80er Jahren stammenden Fernsehdatenbank hin zu einem zeitgemäßen Expertensystem war ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung des interaktiven Archivs: 2008 trat das ORF-Archiv dem Archivdatenbankverbund der deutschen ARD-Anstalten bei; seither erfolgen Betrieb und Weiterentwicklung der Datenbank FESAD in einem grenzüberschreitenden öffentlich-rechtlichen Medienverbund, der technische und inhaltliche Mehrwerte und günstige finanzielle Konditionen garantiert. 2011 wurde über die Suchmaschine MARCO auch der erste direkte Online-Zugang ins ORF-Archiv für wissenschaftliche Forschung und Lehre am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien realisiert; mittlerweile ist die Zahl dieser "Datenbank-Außenstellen" auf acht Stationen an sechs österreichischen Universitäten angewachsen und hat die Nutzung von audiovisuellen Medien für wissenschaftliche Zwecke deutlich attraktiver gemacht.

Content-Produktion und -Archivierung "fully digital"
2012 vollzog der ORF den technischen Quantensprung in die vollintegrierte, digitale Fernsehproduktion in filebasierter Form - Videobänder gehörten im Vorwärtsbetrieb der Vergangenheit an. Seit nahezu zehn Jahren entstehen also alle Fernsehinhalte - vom einzelnen ZiB-Beitrag bis zu fiktionalen Langformaten - "born digital" und werden ebenso rein digital für Gegenwart und Zukunft archiviert. Realisiert wird dies in einer komplexen Speicherarchitektur, die durch Abspeicherung jedes Programminhalts in drei voneinander unabhängigen Langzeitspeichern höchste Sicherheit und dauerhafte Verfügbarkeit garantiert. Diese erprobten Produktions- und Speichersysteme bilden - in ihren jeweils aktuellen Versionen - auch die technischen Archiv-Fundamente des kommenden Multimedialen Newsrooms.

Digitalisierung der wertvollen historischen Archivbestände
In einem strategischen Schwerpunktprojekt werden seit 2015 die wertvollen historischen, analogen Programmbestände aus Radio und Fernsehen digitalisiert und gemeinsam mit der täglich dazuwachsenden Neuproduktion nahtlos in die Gesamtsystematik des Archivs integriert. 300.000 Stunden an historisch und programmlich wertvollen Fernsehinhalten seit 1955, sowie ca. 150.000 Stunden an ebenso wertvollen Radioproduktionen aus demselben Zeitraum werden dauerhaft und digital für die Zukunft gesichert und verfügbar gemacht. Dieses Zukunftssicherungs-Projekt läuft, auch in Kooperation mit externen Dienstleistern, exakt im Plan und wird entsprechend 2024/25 seinen Abschluss finden - auch das "analoge" Gedächtnis wird dann vollständig digitalisiert sein.

Zusammenführung aller ORF-Archive - "Das Multimediale Archiv"
Mit 1.1.2016 wurden die bisher organisatorisch getrennten Bereiche des Radioarchivs im ORF Funkhaus und des Fernseharchivs im ORF-Zentrum zu einer standortübergreifenden Einheit als "Multimediales Archiv" innerhalb der Programmdirektion zusammengeführt. In dieser neuen Struktur wurde erstmals auch ein "Unternehmensarchiv" mit Zuständigkeit für alle Schriftgutsammlungen des ORF formell eingerichtet; gleichzeitig wurde eine "Richtlinienkompetenz" dieses zentralen Archivs für die Erfassungsstandards in den dezentralen Archiveinheiten der neun Landesstudios etabliert. Im Rahmen dieser multimedial arbeitenden Struktur entstehen seither laufend inhaltliche und personelle Synergien; die endgültige räumliche Übersiedlung des Radio-Archivs aus dem Wiener Funkhaus an den Standort ORF-Zentrum im Jahr 2022 wird damit wesentlich unterstützt.

Automatisierte Inhaltserschließung - KI in progress
Qualitätvolle Inhaltserschließung ist die zentrale Voraussetzung für den Nutzwert jedes Archivs und jeder Sammlung - egal ob in analoger oder digitaler Form. "Digitale Medieninhalte ermöglichen es, die intellektuelle Erstellung von Beschreibungsdaten ("Metadaten") durch software-basierte Verfahren mit Machine-learning zu unterstützen und perspektivisch immer weiter zu übernehmen - unter laufender Qualitätskontrolle der so entstandenen Beschreibungen. Im Rahmen der ARD/ORF-Datenbank-Kooperation werden solche Automatisierungsverfahren seit einigen Jahren pilotiert, weiterentwickelt und schrittweise in Betrieb genommen: Spracherkennung ("speech to text"), Sprecher/innen-Erkennung, Szenen- und Gesichts-Erkennung sind die zentralen Innovationsfelder für die Mediendokumentation in den nächsten Jahren.

ORF-Archiv goes public - anytime, anywhere
All diese Innovationsmaßnahmen der letzten Jahre bilden eine breite Basis für die dringend notwendige weitergehende Öffnung des ORF-Archivs direkt für sein Publikum. Eine wesentliche technische Voraussetzung für diese Öffnung - nämlich die großflächige Digitalisierung der historischen Bestände - ist weitgehend geschaffen, die redaktionelle Kompetenz des Archivteams für Programmgestaltung und kuratierende Inhaltsauswahl hat sich über Jahre bewährt und wird ständig weiterentwickelt. Dem Aufbau eines umfassenden Archivmoduls im Rahmen des kommenden ORF-Players steht nur mehr wenig im Wege - die dafür notwendigen rechtlichen Anpassungen des geltenden ORF-Gesetzes vorausgesetzt.