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Peter Fritz, langjähriger Korrespondent und Redakteur im Aktuellen Dienst Das Herz schlägt 24 Stunden Für wen arbeite ich? Die Frage war einst ganz einfach zu beantworten. "Ich bin beim Radio", das konnte in den Zeiten, in denen meine Generation beruflich gestartet ist, praktisch nur "Ich bin beim ORF" heißen. Andere Möglichkeiten gab es nicht, es sei denn, man wagte sich über Österreichs Grenzen hinaus. Auch als ich bei der "Zeit im Bild" anfing, war "Ich bin beim Fernsehen" eine klare Ansage, um mit den ORF- und nur mit ihm- identifiziert zu werden. Wenige Jahre später, als die ersten Onliner ihr Werk im ORF begannen, da konnte niemand von ihnen mehr so einfach "Ich bin beim Internet" sagen, und eine Verbindung mit dem ORF hätte sich daraus ohnehin nicht mehr zwangsläufig ergeben können. Niemand hat ein Monopol im Internet, die neue, trans- und multimediale Welt kennt keine Grenzen, keine abgegrenzten Sende- und Empfangsgebiete, kein Publikum, das zu bestimmten, vorgegebenen Zeiten auf bestimmte Inhalte wartet. Wie geht eine öffentliche Institution, die einst darauf zugeschnitten wurde, auf ihrem Sektor allein und konkurrenzlos dazustehen, mit der neuen Situation um? Die Antwort fällt eigentlich nicht schwer. Online first! Online only! Mobile first! Die gesamte Medienwelt huldigt derzeit diesen drei Prinzipien, und allzu gerne täten wir vom ORF das auch. Online als erstes Medium, für viele unserer Inhalte sogar als einziges, all unser Tun und Wirken zuvorderst zugeschnitten auf die neue Realität, in der unser Publikum in jeder Lebenslage zuerst einmal aufs Handy blickt.

Bis zur Mitte des Jahres 2022 werden wir technisch und organisatorisch die besten Voraussetzungen dafür haben, diesen Prinzipien mühelos zu folgen. Wir - die Informationsabteilungen von Radio, TV und Online im ORF, ziehen in ein gemeinsames Haus, in den neuen multimedialen Newsroom auf dem Küniglberg. Im verkehrstechnischen Mittelpunkt des Geschehens, dort, wo die die Wege zwischen den Studios und Ressorts einander kreuzen, entsteht der neue multimediale Newsdesk, das 24 Stunden schlagende Herz der neuen gemeinsamen Unternehmung. Dort wird, wie in einer weltpolitischen Erdbebenwarte, schon beim ersten Vorbeben reagiert. Bei aktuellen Neuigkeiten wird in Zukunft am Newsdesk dafür gesorgt, dass alle Medien ihre jeweilige Nase vorne haben können, wenn es um die rasche und korrekte Verbreitung von gesicherter Information geht. Schnell soll die Information hinausgehen, egal, ob über Twitter, TikTok, Teletext, Radio oder TV. Aber noch wichtiger: Das, was hinausgeht, soll schnell und richtig sein. Es wird nicht einfach, diesem hohen Anspruch gerecht zu werden. Denn auch die Quellenlage ist heute ganz anders als in den Zeiten, in denen säuberlich getrennt wurde zwischen denen, die Nachrichten senden, und denen, die auf der Empfängerseite sitzen. Die Sendefunktion nennt nun so gut wie jede Person ihr Eigen, die ein Handy besitzt. Wir reden von "User generated content" und hoffen damit, dass das Publikum uns möglichst viel an selbst aufgenommenem Material zur Verfügung stellt: Der schön gefilmte Sonnenuntergang für den Wetterbericht, das Hauskonzert zu Lockdown-Zeiten - all das hat uns erreicht, und wir haben es mit Freude weitergesendet. Aber wie sieht es mit dramatischem Material aus, das wir zugesandt bekommen, bei dem sich aber Zweifel aufdrängen? Das erste Video von einem Terroranschlag, hochgeladen von einem Augenzeugen, der selbst noch unter Schock steht - schmeißen wir das einfach so sofort auf Sendung? Nicht umsonst wird "Verification", also kritische Überprüfung, eine der Hauptaufgaben am künftigen multimedialen Newsdesk sein. Es geht nicht nur um die Frage, ob Pietäts- und Geschmacksgrenzen überschritten werden, wenn im Extremfall die Tötung vom Menschen unmittelbar zu sehen ist. Es geht um mehr: "Ist das überhaupt echt?" "Ist das wirklich von heute?" "Will uns da jemand Material unterschieben, um uns zu manipulieren oder einfach nur für einen schlechten Scherz?" Wir werden diese Fragen sehr rasch klären müssen in Zukunft, oft schon unter dem Eindruck, dass die Konkurrenz bereits etwas ins Netz gerückt hat, was wir noch mühsam prüfen müssen.

Das ist nur eines von vielen Spielfeldern, auf denen die neue multimediale ORF-Information auflaufen muss. Auch einige der nötigen Spielregeln fehlen uns noch. Nicht alles, was wir in der neuen News-Realität können, dürfen wir auch schon tun. Bewegte Bilder dürfen wir derzeit im Internet - grob gesprochen - eigentlich nur dann senden, wenn sie zuvor schon im herkömmlichen Fernsehen gelaufen sind. Wir können also mehr als wir dürfen. Immerhin, an unseren Fähigkeiten scheitert's nicht.