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Prof.in Dr.in Barbara Thomaß, Ruhr-Universität Bochum Warum brauchen wir ein öffentlich-rechtliches Internet? Die Frage ist natürlich zugespitzt gestellt. Denn das Internet ist ein Hybridmedium, das unzählige Anwendungsformen erlaubt und vor allem im Dienst von unzähligen Unternehmen und Organisationen mit sehr unterschiedlichen Zielen steht. Doch die Illusion eines freien, dezentralen herrschaftsfreien Netzes, einer autonomen und utopischen Sphäre freier sozialer Interaktion, die gegen äußere Einflüsse immun ist, die in den Anfängen des Internets manche mit Hoffnung erfüllt haben mag, musste schon lange vor der harten Realität kapitulieren: Das Internet wird von einen wenigen machtvollen globalen Konzernen dominiert, die unser aller Leben, welches beschleunigt digitaler wird, bestimmen und vor allem unter Gewinnmaximierungsziele unterordnen. Die Folgen - hier nur in Stichworten - sind bekannt: Überwachungskapitalismus, Erosion des öffentlichen Diskurses, Manipulation der Nutzer*innen im Dienste der Werbekunden, Manipulation von Wähler*innen im Interesse antidemokratischer Kräfte, Aushöhlung der Privatsphäre usf.

Natürlich kann "das Internet" nicht öffentlich-rechtlich werden, aber der Einfluss, die Präsenz, die Wahrnehmbarkeit und die Nutzung gemeinwohlorientierter Angebote im Netz muss gewaltig steigen, damit der Dominanz des kommerziellen, zentralisierten und kommerziell kontrollierten Raumes etwas entgegengesetzt wird. Und hier kommen die öffentlich-rechtlichen Medien ins Spiel.

2017 haben wir in Deutschland einen Aufruf mit dem Titel "10 Thesen für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien" gestartet. Eine der Thesen lautete: "Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten müssen zu Plattformen werden". In dem Public Service Media and Public Service Internet Manifesto lautet eines der Prinzipien: "Ein demokratieförderndes Internet erfordert, dass öffentlich-rechtliche Medien zu öffentlich-rechtlichen Internetplattformen werden, die dazu beitragen, Chancen und Gleichheit in der Gesellschaft zu fördern. Wir rufen dazu auf, die rechtlichen, wirtschaftlichen und organisatorischen Grundlagen für solche Plattformen zu schaffen."

Was sich seit 2017 getan hat:
Wir haben in der EU mehrere Richtlinien, die versuchen, die Macht der großen Tech-Unternehmen einzudämmen, nicht wirklich erfolgreich. In Deutschland ist im November 202 ein neuer Medienstaatsvertrag in Kraft getreten, der Auflagen für Konzerne wie Google und Facebook vorschreibt, welche darlegen sollen, nach welchen Kriterien sie Inhalte von Nachrichtenmedien sortieren und inwieweit dabei Empfehlungsalgorithmen zum Einsatz kommen. Im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Medien fordert der Staatsvertrag eine stärkere Fokussierung auf eine klare Abgrenzung zu den kommerziellen Sendern und eine gemeinsame Plattformstrategie ein.

Es gibt viele Initiativen, die an der Idee digitaler demokratischer Öffentlichkeiten in einem europäischen Rahmen arbeiten. Es gibt einige Initiativen von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die kleine Plattformen mit integrativen und dialogischen Merkmalen einrichten (wie zdfKultur, BBC ideas, European collection asf.) Es gibt Erklärungen von Intendant*innen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sich für ein öffentlich-rechtliches Kommunikationsnetz einsetzen. Aber all das ist nicht genug.

Es fehlt ein großer Schritt vorwärts, die Initiative in den Händen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und von Seiten der EBU sowie der EU, um diese Idee voranzubringen, die eine massive Forderung der Zivilgesellschaft ist.
Institutionen, auch öffentlich-rechtliche Sender können verharrend und schwerfällig sein. Sie wissen, vor welchen Herausforderungen sie stehen, dass sie sich schnell verändern sollten, um relevant zu bleiben, und doch sind sie manchmal bemüht, nur den Status quo zu verteidigen. Und: Medienpolitik und Politiker werden von starken Lobbyisten bearbeitet, die Marktprinzipien und die Interessen der kommerziellen Medien verteidigen, was zum Nachteil der öffentlich-rechtlichen Medien ist.

Demgegenüber stehen die sich intensivierenden Gefahren des zügellosen kommerziellen Internets. Die Spaltung der Gesellschaft in Echokammern und Filterblasen ist eine ständige Bedrohung. Das sinkende Vertrauen in Institutionen, das durch Desinformation entsteht, ist besorgniserregend. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden mehr denn je gebraucht.

Nur in der Öffentlichkeit werden Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt erfahren, gelernt und gelebt. Deshalb werden die öffentlich-rechtlichen Medien gebraucht. Sie wenden sich an Bürger*innen nicht an Konsument*innen, sie erklären die großen Themen unserer Zeit zuverlässig und verständlich. Sie sorgen für Qualitätsjournalismus. Sie übersetzen, vermitteln und kritisieren. Sie schaffen die Foren, die die Demokratie braucht.

Die öffentlich-rechtlichen Medien konnten bisher einen großen Teil der Bevölkerung erreichen. Dies gilt es auszubauen, um eine öffentliche Plattform zu schaffen, einen öffentlichen Freiraum von europäischer Dimension, einen Kommunikationsraum, in dem sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen austauschen und am Reichtum der europäischen Kultur teilhaben können und in dem Qualitätsinformationen Demokratie erlebbar machen.

Die Verwirklichung dieser Ziele auf einer Plattform von relevantem Ausmaß erfordert Anstrengungen, potente Akteure und viel Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen ihre auf Verteidigung gerichtete Strategie überwinden, und offensiv ihren Beitrag zur Verwirklichung eines gemeinwohlorientierten Internets einbringen.