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Karl Petermichl, Büroleitung Technische Direktion #95 Wieviel Technik kommt in die Zukunft? „Digitalisierung“ als Metapher
Die generelle Aufgabenstellung der „Digitalen Transformation“ eines Unternehmens erfordert zur praktischen Umsetzung die Definition von konkreten Zielbildern, Arbeitspaketen und Parametern. Für manche bedeutet „Digitalisierung“, dass etablierte Vorgänge vor allem schneller und billiger erledigt werden sollen, andere erwarten sich völlig neue Produkte und Erlebnisse. Manche verstehen darunter einen Paradigmenwechsel in der Organisationsstruktur und Unternehmenskultur, andere wieder wünschen sich „coole neue Tools und Gadgets“ für ihren täglichen Arbeitsalltag. In der Praxis ist die „Digitalisierung“ wohl eine Mischung aus all diesen Elementen, wobei entsprechend der ORF-Strategie 2025 dem effektiv erfahrbaren Wert für unser Publikum höchste Priorität zukommt. In diesem Sinne richtet auch die ORF Technik ihre interne Veränderung entlang dieser Erwartungen aus und unterstützt damit die Digitalisierung des ORF auf vielfache Art und Weise – die Technik wird damit zum entscheidenden „Enabler“ dieser Transformation.

Spezifika der ORF-Transformation
Bei Firmen mit physischer Produktfertigung wie auch bei Medienprodukten, die bisher nur auf Papier erhältlich waren, ist die Stoßrichtung der digitalen Transformation völlig klar: Weg vom realen Geschäftsbetrieb hin zu Webshops, weg von der Druckerpresse hin zu Webseiten und Apps, Logistik und Lieferwege optimieren, Kundenzufriedenheit über digitale Wege messbar machen. Für den ORF aber, dessen Produkte schon bisher rein „elektronisch“ angeboten werden, bei dem die interne Produktion bereits vollständig digital erfolgt, die Verbreitungswege Großteils bereits „digitalisiert“ sind und auch zahlreiche Messwerte und Kennzahlen digital erfasst werden – was gibt es für die Technik konkret dabei eigentlich noch zu tun?

Transformation nach Außen
Sehr viel gibt es tun, das wird auch durch den hohen Stellenwert der Technik in denjenigen Unternehmen dokumentiert, an denen sich die ORF-Angebote messen müssen: Egal ob Netflix, Amazon, YouTube oder Apple – das sind im Kern Technologieunternehmen, die den Maßstab in ihren jeweiligen Kernbereichen setzen und von dort speisen sich die Erwartungen unseres Publikums nicht nur bezüglich „Content“, sondern auch hinsichtlich Funktionalitäten, Innovationskraft und Verfügbarkeit. Mit diesen Attributen kann man auch das nach außen hin sichtbare Aufgabenfeld der ORF Technik zur Befähigung der digitalen Transformation sehr gut umreißen: Erstens die Produkte jederzeit, auf jedem Gerät, in der besten Qualität und mit höchster Zuverlässigkeit bereitzustellen. Zweitens die einzelnen Angebote funktionell zu optimieren hinsichtlich Flüssigkeit, „User Experience“ und Komfort. Drittens werden diese Aufgaben nie abgeschlossen sein, es bedarf immer weiter laufendender Innovationen und Verbesserungen, Entwicklungen und Anpassungen.
Als konkretes Produkt stehen dabei die Module des „ORF-PLAYER“ für die sichtbaren Ergebnisse der unmittelbaren Zukunft. Die längerfristigen technischen Neuerungen im Konsumentensektor liegen im Bereich von Ultra High Definition, Next Generation Audio, Virtual und Augmented Reality, Personalisierung sowie Interaktion und Partizipation.


Transformation im Inneren
Für die Verfertigung dieser Erlebnisse bedarf es auch tiefgreifender Veränderungen in den internen Abläufen und Systemen – es muss multimedial, schneller und effizienter produziert werden. Bisher örtlich fixierte und getrennt voneinander geführte Arbeitsschritte müssen dafür einerseits dezentral und hochmobil erfolgen können, andererseits aber dürfen Überblick und Steuerung im Sinne der erwarteten Vielfalt bei gleichzeitiger Ressourcenoptimierung nicht verloren gehen.
Technisch gesehen bedeutet das, responsive Datenbanken und interdisziplinäre Tools zur Verfügung zu stellen, Media-Asset- und Content-Management-Systeme neu zu denken und alle bisher standortgebundenen Applikationen und Arbeitsmittel auch hochmobil und über das „Homeoffice“ zugänglich zu machen. Nicht zuletzt durch die Umstellungen im Zuge der COVID-Maßnahmen wurden dafür bereits erhebliche Leistungen der Technik aufgebracht – wie etwa der großflächige Übergang von PCs zu Notebooks, die komplette Umstellung der Telefonanlage auf ein konzernweites Audio/Video-Konferenzsystem, die Bereitstellung von Kollaborationstools oder die Möglichkeit von hochprofessioneller Audio/Video-Bearbeitung mittels Smartphone und Standard-Laptop. Für Interviewschaltungen wurden völlig neue Streaming-Schaltungen eingerichtet, bei Live-Events kommt vermehrt die sogenannte „Remote Produktion“ zum Einsatz, bei der viel weniger Personal und Geräte als bisher wirklich vor Ort sein müssen.
Für die Umsetzung der Angebote im Rahmen des Projekts „ORF-PLAYER“ gilt es, bestehende Anlagen der Broadcast-Technik mit Online-Systemen zu verbinden, neue Funktionen im Frontend- und Backendbereich zu programmieren sowie die ständig steigenden Anforderungen an Speicherplatz, Datenverknüpfungen und Netzwerkressourcen zu realisieren. Für die Umsetzung der Produktionsmethodik im neuen Newsroom werden automatisierte Kameras, innovative Studiokonzepte, neue Lichtdesigns und ein multifunktionales Themen-Management-Portal implementiert.

Transformation der Technologie
Auf der fundamentalsten Ebene dieser Betrachtung geht es darum, welche Änderungen innerhalb der ORF Technik selbst, bei den Technologien, Prozessen und Organisationsformen unternommen werden müssen, um die beschriebenen Services und Systeme auch tatsächlich leisten zu können. Die wichtigsten Begrifflichkeiten dafür sind „IP-Netzwerke“, „Cloud“, „Virtualisierung“, Architektur“ und „Agilität“, die auch aufeinander aufbauen und einander bedingen. Nur durch die Umstellung von bisher zwar schon digitalen aber noch proprietären Signalwegen und Schnittstellen auf offene Standards und IP-Netzwerke kann man Applikationen in die Cloud bringen und dadurch wiederum hochmobil verwenden. Nur durch die Virtualisierung von Servern und Containern kann man Services maßgeschneidert und effizient skalieren. Nur durch ein stringentes Architektur-Management behält man den Überblick, welches Signal welchen Weg nimmt, welches Material wo verarbeitet wird, welche Ressource wie eingesetzt wird. Nur durch eine agile Vorgehensweise kann man rasch genug auf Veränderungen reagieren, Probleme beheben und Produkte iterativ voranbringen. Diese Veränderungen der Technologie und der Prozesse verändert auch die Unternehmenskultur, steigert die Flexibilität und befähigt neuartige Kooperationen mit Partnerfirmen, Bildungseinrichtungen und Start-ups. Technische Innovationen auf dieser Ebene sind in den Bereichen Automatisierung, dem umfassenden Einsatz von „Artificial Intelligence“ sowie von Domain-spezifischen Datenmodellen zu erwarten. Eine der wichtigsten Herausforderungen ist dabei auch die Gewährleistung der IT-Sicherheit – je mehr Arbeitsschritte hochmobil, vernetzt und über die Cloud abgewickelt werden, umso größer ist das Potenzial an Eintrittsvektoren für unbefugten elektronischen Zugriff.
Als konkretes Herzstück der Transformation der technischen Kernprozesse gilt dabei das Projekt „Content Management Center“. Dabei werden nicht nur die auch weiterhin wichtigen Funktionalitäten wie Sendungs-Playout und Material-Ingest auf Basis der neuesten Technologien implementiert, sondern auch sämtliche für den ORF-Player und den Newsroom maßgeblichen Transcoding-, Schaltungs- und Monitoring-Vorgänge auf effiziente Art und Weise realisiert.

Fazit
Wie anhand der Ausführungen ersichtlich, gibt es für die Umsetzung der „Digitalisierung“ kein fertiges Patentrezept und auch nicht das eine technische „Tool“, mit dem man alle Aufgabenstellungen auf einmal erledigen kann. Vielmehr bedarf es der sorgfältigen Analyse, des adaptiven Designs und der konsequenten Umsetzung vieler einzelner Aufgaben, Schritte und Maßnahmen. Nur durch die Gestaltung und Lösung eines Puzzles aus Technologien, Projekten und Prozessen kann die ORF Technik ihre internen und externen Leistungen in die strategisch vorgegebene Richtung transformieren und damit jene Effekte erzielen, die dann letztlich auch praktisch für unser Publikum erfahrbar werden: nützliche, unterhaltsame, herausfordernde, interessante und hochwertige digitale Inhalte und Services für die gesamte Öffentlichkeit – „Public Value“ eben.