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Patrick Budgen, Redakteur ORF Wien #18 Besser schnell als richtig? "Heftige Schießerei am Schwedenplatz. Großeinsatz der Polizei", das waren um 20 Uhr 13 eine der ersten Infos, die ein Journalist am Abend des 2. November 2020 auf Twitter veröffentlicht hat. Er war zufällig in der Nähe des Anschlagsortes. Es war nicht nur der Beginn einer der dunkelsten Nächte in der Bundeshauptstadt, sondern auch der Start von stundenlangen Spekulationen und Mutmaßungen. Ist es ein Amoklauf oder ein Terroranschlag? Ist es ein Täter oder gleich mehrere? Haben er oder sie einen Sprengstoffgürtel umgeschnallt? Gibt es eine Geiselnahme in einem Lokal auf der Mariahilfer Straße? Fast im Minutentakt haben immer wildere Gerüchte die Runde gemacht, die auf den unterschiedlichsten Kanälen auch ihren Weg in die Öffentlichkeit geschafft haben.

Wir im ORF haben uns daran nicht beteiligt. Im ersten Moment mag das für die Zuschauerinnen und Zuschauer so wirken, als wäre unsere Berichterstattung zu langsam oder behäbig. Denn während wir an diesem Abend noch recherchiert haben, um valide Informationen und kompetente Interviewpartner zu bekommen, sind auf anderen Sendern bereits in Dauerschleife Bilder und Videos des Anschlages gezeigt worden. Durch Beharrlichkeit und Engagement ist es uns schließlich gelungen, das erste offizielle Interview mit einem Vertreter des Innenministeriums zu bekommen.

In dem rund zehnminütigen Gespräch (das über zwei Millionen TV-Zuschauerinnen und -zuschauer verfolgten) wurden gegen 22 Uhr valide Informationen über Attentäter, Tatorte und Verletzte geliefert und so eine Form von Ruhe und Ordnung in die Situation gebracht. Genau das ist auch die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einem so unersichtlichen Geschehen wie an diesem Abend. Durch die gute, interne Vernetzung war das Interview binnen weniger Minuten auch auf den Online-Kanälen des ORF abrufbar, ob auf orf.at, der TV-Thek oder auch auf Facebook. Verbesserungspotenzial gibt es wohl bei der Einbindung unserer Seherinnen und Seher. Die ganze Innenstadt war voll von Menschen, die die Situation hautnah miterlebt haben und Informationen aus erster Hand liefern konnten. Nur: wo sollen sie diese deponieren? Wo laufen alle zusammen? Und wer überprüft diese dann auf Richtigkeit? Es wäre wohl sinnvoll ein prominentes (und gut beworbenes) Online-Tool zu installieren, dass die Partizipation des Publikums in solchen Fällen erleichtert. Doch auch hier gilt im Fall des Falles: besser richtig als schnell.