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Vertrauen ist eine heikle Sache

Public Value Bericht 2015/16: Dr. Josef Seethaler – Österreichische Akademie der Wissenschaften



Egal, ob wir an unsere eigene Geschichte oder an andere Staaten, selbst in nächster Nähe, denken: Das, was eine Demokratie erst zur Demokratie macht, ist Öffentlichkeit. Macht, die etwas zu verbergen hat, hat Angst vor Öffentlichkeit. Nur, wenn politische Entscheidungen transparent gemacht werden und jene, die Entscheidungen treffen, dafür Rede und Antwort stehen müssen, wird Macht kontrolliert. Öffentlichkeit ist Kontrolle. Das ist ihre defensive Funktion.
Ihre offensive Funktion ist: kommunikative Verständigung. Öffentlichkeit ermöglicht allen die Teilhabe an einem freien gesellschaftlichen Diskurs, an kollektiven Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen, und konstituiert so Gesellschaft erst als eine demokratische. Das klingt einfach, ist es aber nicht. John Stuart Mill hat schon 1859 in seinem klassischen Text »On Liberty« betont, dass diese gemeinsame Suche nach „Wahrheit“ nicht als Aufstellen unumstößlicher, meist einfach geschnitzter Dogmen missverstanden werden darf, sondern eine „lebendige Wahrheit“ meint, die immer wieder von neuem zu verhandeln ist. Robert Jensen, Journalismusforscher in den USA, hat dafür das Bild eines »Potluck Dinner« geprägt, bei dem jeder Gast eine Speise mitbringt, die mit anderen geteilt wird: „My contribution doesn’t fight with others’; the dishes aren’t in a battle to determine which one is best, which one will win acceptance in the market. Each dish tells its own story, inviting the diners to taste.”
In einer hoch differenzierten Gesellschaft sind es vor allem die Medien, die die Speisen zubereiten. Beinahe alle Vorgänge in fast allen gesellschaftlichen Bereichen entziehen sich der direkten, persönlichen Wahrnehmung, und es bedarf der Beobachtungsleistung des Journalismus. Solange die zubereiteten Speisen nicht ungenießbar sind, können alle, so unterschiedlich ihre Qualität sein mag, einen Beitrag zum Gelingen des Dinners, zum Gelingen demokratischer Öffentlichkeit leisten. Doch welchem Koch mehr Vertrauen entgegengebracht wird als anderen, hängt wohl davon ab, wer dem Sinn des Dinners nahekommt: „inviting the diners to taste“.Menschen zum demokratischen Dinner einladen Menschen zum demokratischen Dinner einzuladen, ihnen den Mund schmackhaft zu machen, sich auf das Menü und so manche fremde Speise einzulassen, aber auch eigene Zutaten und Kochideen beizusteuern: Das ist ein gesellschaftlicher „Mehrwert“, der einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut ansteht. Man kann das „Empowering“ nennen.
Zu lange haben repräsentative Demokratien politische Beteiligung auf Wahlen und Parteimitgliedschaft verkürzt und als bloße Sicherung von Macht verstanden und damit Vertrauen verspielt. Ähnliches gilt für die Medien, wenn sie nicht auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Immer mehr Menschen verstehen unter „Partizipation“: für persönliche Anliegen einstehen, andere überzeugen, gemeinsam im Interesse einer Sache (nicht einer Partei) agieren. Immer mehr Menschen wollen nicht bloß beim Dinner mitessen, sondern mitwirken.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die besten Voraussetzungen, neue Wege der Kommunikation zu beschreiten: Die Qualitätsstudie der RTR weist für die Informationssendungen aller Fernseh- und Radiosender des ORF hohe Werte für Sachlichkeit und Unparteilichkeit aus – eine Vertrauensbasis, auf der sich aufbauen lässt. Denn einige Programme (wie Ö1, Ö3, orf.at und ORF eins) zeigen durchaus, was heute öffentlich-rechtlich auch heißen könnte: ein Forum neuer Art bieten – nicht nur für die „politisch relevanten Kräfte“, sondern für die Menschen dieses Landes; neue Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs eröffnen; in einer diversen Gesellschaft Dialog und Verständigung ermöglichen. Und das letztlich nicht nur in seriellem TV, nicht nur im Radio, nicht nur auf Websites – sondern in allen möglichen Distributionsformen.

Der Autor
Josef Seethaler ist stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2010 ist er Lehrbeauftragter der Universität Wien am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.



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