13 - Wo habt's denn das schon wieder her?

Ulla Kramar-Schmid & Martin Thür, ORF News

Investigativjournalismus gilt vielen Redakteurinnen und Redakteuren als höchste journalistische Aufgabe: lange, tief und umfassend zu recherchieren, Fakten zu prüfen, Daten zu erhärten, und dann eine große Story zu veröffentlichen. Die „Panama-Papers“ waren eine solche Geschichte, nur möglich mithilfe grenzüberscheitender Zusammenarbeit zahlreicher Redaktionen. In Österreich sind die Affären oft kleiner, aber mitunter trotzdem folgenschwer, etwa die Storys um Immobiliendeals in Grafenwörth, Wiener Schrebergärten oder die Ereignisse rund um René Benko. Viele Zuschauer, Hörerinnen, Leser und Leserinnen fragen sich dann oft: „Wo habt‘s denn das schon wieder her?“

Ulla Kramar-Schmid und Martin Thür, beide ORF News, geben Antwort.

Das ist eine der häufigsten mehr oder weniger begeisterten Fragen, die in unserer Branche immer dann gestellt werden, wenn eine heikle Geschichte auf dem Tisch liegt. Die Antwort ist simpel: von Politikern, Anwältinnen, Beamten, Unternehmerinnen, einfachen Angestellten, stillen Beobachterinnen und und und. Was sie alle gemeinsam haben: Sie müssen sich darauf verlassen können, dass wir ihre Identität nicht preisgeben. Daran geknüpft ist das Redaktionsgeheimnis. Das schützt eigentlich nicht unbedingt Redaktionen, sondern vor allem deren Quellen. Warum ist das so? Zum einen gehen unsere Kontakte ein hohes Risiko ein, wenn sie heikles Material nach außen tragen. Mitunter sogar ein strafrechtliches Risiko, wenn sie selbst Geheimnisträger sind – und dazu muss man nicht beim Geheimdienst arbeiten. Es reicht, in einem Amt, einer Bank, einer Steuerberatungskanzlei zu arbeiten. Bis heute wissen wir etwa nicht, wer jener „John Doe“ ist, der die Unterlagen einer panamesischen Anwaltskanzlei an das Internationale Consortium für Investigativen Journalismus (ICIJ) geleakt hat – und aus dem der ORF als einer der weltweiten Medienpartner die sogenannten Panama Papers veröffentlicht hat.

War das legal? Selbstverständlich. Die daran arbeitenden Journalistinnen und Journalisten konnten die Echtheit verifizieren, die daraus resultierenden Geschichten ordentlich recherchiert, das überwiegende öffentliche Interesse – wie Prominente steuerschonend ihr Geld anlegen – fraglos gegeben. Und das ist es, was schlussendlich bei jeder Veröffentlichung zählt: die Qualität der Recherche und das überwiegende öffentliche Interesse. Wen also kümmert es, wer John Doe ist? Im November des Vorjahres bekommen wir eine Tonbandaufnahme zugespielt: Darauf ist der einst mächtigste Mann im Justizministerium, Christian Pilnacek, zu hören, wie er über Interventionen der ÖVP in der Justiz redet. Die wichtigste Frage, die zuerst zu klären war: Sind die Aufnahmen echt oder sinnentfremdend geschnitten? Der ORF beauftragt zwei Gutachten, die diese Fragen, so gut es eben geht, beantworten sollen. Zweifelsfreie Sicherheit können sie aber auch nicht bieten. Deshalb treffen wir die Ersteller der Aufnahmen mehrfach, wir überprüfen ihre Angaben, durchleuchten auch sie. Erst als all diese Überprüfungen nach zwei langen Wochen abgeschlossen sind, beginnen wir die Geschichte aufzuschreiben. Eine ethische Frage bleibt bis zuletzt: Die Aufnahme war in privater Runde entstanden, ohne Pilnaceks Wissen, und sie ist erst nach seinem Ableben an zwei Medien gegeben worden. Darf, kann man das veröffentlichen? Auch hier überwog unserer Ansicht nach das öffentliche Interesse, wenn der Verdacht besteht, dass eine Regierungspartei zu ihren Gunsten in der Justiz interveniert haben könnte (es gilt – auch an dieser Stelle – die Unschuldsvermutung).

In diesem Fall waren es Bekannte von Pilnacek, die das Tape an Medien und damit die Öffentlichkeit gebracht haben, in anderen Fällen sind es frustrierte Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, nicht selten der politische Gegner. Mindestens ebenso wichtig ist es aber, dass der Journalismus selbst bislang geheime Informationen von Behörden anfordert. Das ging schon bisher über das Auskunftspflichtgesetz und soll künftig mit dem neuen Informationsfreiheitsgesetz weiter erleichtert werden.

Der ORF hat in den vergangenen Jahren dazu wegweisende Judikatur vor den Höchstgerichten erkämpft, die es möglich macht, die Politik und die Verwaltung bei ihrer Arbeit zu kontrollieren. So ermöglicht es eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, dass Journalistinnen und Journalisten nach Grundbesitz von gewissen Personen suchen dürfen, etwas, das bisher nur Rechtsanwälten vorbehalten war. Eine Entscheidung des VfGH zur Gehaltsfortzahlung von Politikerinnen und Politikern sichert sogenannten „public watchdogs“, die wir Journalistinnen und Journalisten sind, Zugang zu Informationen von Behörden. Diese Entscheidung führte später sogar zu Gerichtsverfahren gegen eine ehemalige Ministerin. Das neue Informationsfreiheitsgesetz ändert für den Journalismus da vergleichsweise wenig. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses war längst durch europäische Judikatur geltende Rechtslage. Das neue Gesetz schafft einen erweiterten Rechtsrahmen, der Fristen neu ordnet und Instanzenzüge festlegt sowie die Anzahl der auskunftspflichtigen Organisationen erweitert. Auch der ORF selbst wird künftig Fragen beantworten müssen.

Die Kontrollfunktion des investigativen Journalismus geht aber weit über das Zitieren von zugespielten Aktenbestandteilen hinaus. Sehr oft muss man Akten, Informationen und Dokumenten wochen- oder monatelang nachlaufen, sie danach prüfen, einordnen, die enthaltenen Informationen über weitere Quellen bestätigen und am Ende so zusammenfassen, dass auch die Zuseherinnen und Zuseher die Brisanz und Relevanz einordnen können.

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