16 - Wandel oder Krise? Klima im ORF

Anita Malli, Umwelt und Nachhaltigkeit im ORF

73% der Befragten der Publikumsratsstudie 2022 finden, dass der Programmauftrag "über Natur-, Umwelt- sowie Konsumentenschutz informieren und Verständnis für Nachhaltigkeit fördern" wichtig oder sehr wichtig ist. Tatsächlich berichtet der ORF zum Thema in vielfältiger Weise.



Aber wie konkret über das Klima - ganz abseits von Wetterprogrnosen in täglichen meteorologischen Sendungen - sprechen? Soll es z.B. "Klimawandel" oder doch besser "Klimakrise" heißen? Oder gar "Klimakatastrophe"? Mehr dazu von Anita Malli, der Leiterin der Nachhaltigkeit im ORF.

Welche Begriffe in der Klimaberichterstattung vorkommen sollen, ist eine Frage, die sich viele Journalistinnen und Journalisten seit einigen Jahren verstärkt stellen. Innerredaktionelle Empfehlungen, wie sie 2019 "The Guardian" in seiner Gestaltungsrichtlinie publiziert hat, sind rar. Die Argumentation der Chefredakteurin Katherine Viner für diesen Schritt: Klimawirkungen sollen berücksichtigt werden. "Wir wollen sicherstellen, dass wir wissenschaftlich präzise sind und gleichzeitig klar mit den Leser:innen zu diesem sehr wichtigen Thema kommunizieren. Der Begriff 'Klimawandel' zum Beispiel klingt eher passiv und sanft, wenn Wissenschaftler:innen von einer Katastrophe für die Menschheit sprechen", so Viner zum Schritt der britischen Tageszeitung. Journalist und Medienmanager Wolfgang Blau, der sich als Mitgründer des "Oxford Climate Journalism Network" weltweit einen Namen gemacht hat, sieht das Dilemma, mit dem Journalist:innen im Alltag konfrontiert sind, und schlägt eine andere Lösung vor. Sein Zugang: "Wie so oft im Journalismus lässt sich ein Terminologiedilemma wie dieses am besten durch die sogenannte lexikalische Variation lösen - durch den Wechsel zwischen […] Begriffen, einschließlich globaler Erwärmung, globaler Erhitzung, Klimasituation, Klimanotstand oder einfach: 'die Klimafrage'. Das Wort 'Krise' beschreibt ein vorübergehendes Phänomen mit einem Anfang und einem Ende. […] Aus diesem Grund ist 'Klimakrise' kein sehr präziser Begriff. Der Punkt hier ist, dass der Klimawandel ein so gewaltiges Phänomen ist, so systemisch, so beispiellos in seinem Ausmaß und seiner Geschwindigkeit, dass es uns schon schwerfällt, zu entscheiden, wie wir ihn nennen sollen."

Ein Blick in Österreichs Medienlandschaft zeigt, dass man hier eher Blaus Ansatz verfolgt. "Wichtiger als eine Sprachguideline ist das Mitdenken der Klimaauswirkungen in allen Bereichen jedes einzelnen Ressorts", heißt es von Sandra Walder, Leiterin der Chronik-Redaktion der APA. Sie gründete 2021 das Klima-Team der Nachrichtenagentur. Bei der APA wie auch in "Der Standard" werden die verschiedenen Begriffe parallel verwendet. Auch Marcus Wadsak, Wetterredakteur im ORF, verwendet neben Klimawandel auch Klimakrise oder Termini wie "menschengemachte globale Erwärmung". Wadsak und viele Kolleginnen und Kollegen haben einen ähnlichen Zugang wie die führenden Österreichischen Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die zum Thema Klima forschen und arbeiten. Einer von ihnen ist Daniel Huppmann, Mitglied des CCCA, des Climate Change Centers Austria, der Vereinigung österreichischer Klimaforscher. Huppmanns Forschung - er arbeitet für das renommierte IIASA in Laxenburg - hat Eingang in Sachstandsberichte des IPCC gefunden, des "International Panel on Climate Change". Für Huppmann - wie auch für ORF-Redakteur Wadsak - ist "Klimawandel" der Name der wissenschaftlichen Disziplin, rein physikalisch geht es auch um einen Wandel, der allerdings nichts über die Auswirkungen sagt. Spricht er von Auswirkungen, verwendet Huppmann "Klimakrise". So betitelt er die Auswirkungen extremer Wetterereignisse in seinen Vorträgen, etwa das abgedeckte Dach einer Kirche nach einem Sturm, als Klimakrise. Ähnlich sieht es Sigrid Stagl, Professorin für Umweltökonomie an der WU Wien. Klimakrise sei der jüngere Begriff, der allerdings - dies bestätigt ein Blick in Datenbanken mit wissenschaftlichen Publikationen - immer häufiger vorkommt. Sie selbst verwende in ihren Vorlesungen den Begriff "Climate Heating", weil er den schon spürbaren Auswirkungen - man denke an Waldbrände in Kanada, die sogar im Winter andauern, Dürren und Hitzewellen in Griechenland und Spanien - am ehesten entspricht. Aber auch "Klimawandel" wird von Stagl verwendet.

Im ORF gibt es keine Sprachregelung: Journalismus ist frei. Gleichzeitig werden wissenschaftliche Standards ernst genommen, um bestmöglich zu informieren. In einem Prozess wie dem Klimawandel, der ökonomisch und sozial einige Gewinner und Gewinnerinnen, vor allem jedoch viele Verluste zu Tage fördert, eine herausfordernde Aufgabe, die Wissen um den Klimawandel bzw. die Klimakrise sowie die Auseinandersetzung mit Sprache und Bildern benötigt.

Der ORF ist übrigens selbst Gegenstand der Nachhaltigkeitsberichterstattung und veröffentlicht entsprechende Berichte regelmäßig hier.

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