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Die Cultural-Memory-Funktion

Public Value Bericht 2015/16: Mag.a Dr.in Corinna Wenzel – Universität Salzburg



Aktuelle Migrationsströme beeinträchtigen die kollektive Identität Österreichs; die Flüchtlingskrise führt zu einer Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft oder zumindest des öffentlichen Diskurses. Gesellschaftliche Individualisierungs- und Differenzierungstendenzen haben überdies zur Konsequenz, dass die Bedeutung der subjektiven Identität zu-, während jene der kollektiven Identität abnimmt. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie kollektive Identität, insbesondere auch Integration und gesellschaftliche Kohäsion, in Zukunft gesichert werden können. Die Studie »Public Social Value« stellt die These auf, dass

a) vor allem das kulturelle Erbe bzw. Gedächtnis (englisch: Cultural Memory) kollektiv Identitätsbildend wirkt, und

b) vor allem öffentlich-rechtliche Medien dazu im Stande sind, diese kollektive Identitätsbildung durch die Präservierung des kulturellen Gedächtnisses zu unterstützen.

Sie profitieren dabei auch und insbesondere von der Digitalisierung und den Möglichkeiten, die das Internet zur Speicherung, Bereithaltung und Bearbeitung kulturellen Materials bietet. Dieser Beitrag behandelt daher die Frage, wie sich diese Funktion öffentlich-rechtlicher Medien konkret empirisch manifestiert:

- Inwieweit haben europäische öffentlich-rechtliche Medien ihre Funktion im Rahmen der Bildung der kollektiven Identität erkannt und welche Best-Practice-Beispiele der kollektiven Identitätsbildung durch kulturelle sowie zeitgeschichtliche Archive können im internationalen Vergleich identifiziert werden?

- Welche Handlungsempfehlungen und Konsequenzen ergeben sich daraus für den Österreichischen Rundfunk (ORF) und den österreichischen Gesetzgeber?

Insbesondere der ORF hat sich der kollektiven Identitätsbildung verschrieben, und zwar im Public-Value-Report unter dem Titel Österreichwert (vgl. ORF 2015a). Der Beitrag versucht daher auch herauszuarbeiten, wie der ORF zur Generierung, Formung und Festigung eines österreichischen kulturellen Gedächtnisses und damit einer kollektiven Identität (besser) beitragen kann.

Sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privat-kommerziellen Rundfunkbereich wurden bereits einige Projekte umgesetzt, die versuchen, kollektive Identität durch ein kulturelles Gedächtnis zu fördern, und dabei Neue Medien einzubauen. In der Studie werden einige Beispiele erläutert, die gut illustrieren, wie und in welcher Form das kulturelle Gedächtnis Teil einer multimedialen öffentlich-rechtlichen Plattform werden könnte, etwa das BBC World War One Centenary Season, das Singapore Memory Project, De Oorlog in den Niederlanden, EUscreen, an dem sich auch der ORF beteiligt, oder das ORF-Projekt TVthek goes School. Damit stellt der ORF (im Übrigen auch Mitglied der europäischen Archivplattform Europeana) in Archivform Videomaterial zu zeit- und kulturhistorischen Themen für Bildungszwecke online. Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Wiener Stadtschulrat durchgeführt und startete im April 2014. Dabei wurde das Material entlang von zentralen Themenbereichen - darunter die Europäische Union, die DDR (Fall des Eisernen Vorhangs), die Zeit im Bild 2 (Interviews), der Erste Weltkrieg sowie die Geschichte der österreichischen Bundesländer - klassifiziert.

Grundsätzlich sind auch Online-Archive in ihrer Verweildauer durch das ORF-Gesetz begrenzt. Alle Materialien, die keinen Sendungsbezug aufweisen, dürfen nicht länger als sieben Tage abrufbar sein. Durch eine Sondergenehmigung im Rahmen einer Auftragsvorprüfung (vgl. ORF 2015b) wurde jedoch die längere Bereithaltung dieser Inhalte mit Bildungscharakter ermöglicht und dem ORF damit die Erfüllung seines Bildungsauftrages erleichtert.

Um die kollektive Identitätsbildung durch kulturelle Wissensarchive realisieren zu können und die CulturalMemory-Funktion zu erfüllen, ist die Beachtung einiger Qualitätskriterien notwendig. Insbesondere reicht es nicht, die Information oder das Material einfach nur zur Verfügung zu stellen oder zu solchem Material zu verlinken. Vielmehr muss dieses auch adäquat und vor allem crossmedial in die Berichterstattung eingebunden werden. Konkrete Formate, die Cultural Memory fördern könnten, sind Mediatheken, Themenschwerpunkte sowie sendungsbezogene Projekte (vgl. Helmreich 2008). In der Studie werden einige einschlägige Qualitätsmerkmale erläutert, die unter anderem auch aus den genannten Best-Practice-Beispielen abgeleitet werden konnten:

- Vertiefung, Komplexitätsreduktion und Kontextualisierung

- Dialog und Interaktion

- Permanenz und Additivität

- Perspektivenvielfalt

- Authentizität

- Multiplatform Storytelling

- Hybridität und Dynamik

- Orientierung

Die Cultural-Memory-Funktion öffentlich-rechtlicher Medien (siehe Steinmaurer/Wenzel 2015) erfordert abschließend jedoch in jedem Fall die Erweiterung von Wissensarchiven und -beständen öffentlich-rechtlicher Medien. Dies ist ein Ziel, das ausschließlich mit dem intensiven Einsatz von digitalen Technologien erreicht werden kann. Wie Pajala treffend formuliert hat: »The contemporary multi-channel, cross-media television environment offers new possibilities for associating television with memory« (Pajala 2010: 142). Digitale Netzwerke können dabei helfen, ein Digital Network Memory zu schaffen; eine neue Form des kulturellen Gedächtnisses, das durch lebende Archive entwickelt wird. Diese Living Archives enthalten Material, das kontinuierlich bearbeitet, ergänzt und neu interpretiert wird. Online-Plattformen schaffen daher eine neue Form von kulturellem Gedächtnis und kollektiver Identitätsbildung, die sich in mehreren Aspekten vom traditionellen Rundfunk unterscheidet. Für den österreichischen öffentlich-rechtlichen Veranstalter bestehen hier jedoch rechtliche Beschränkungen, die vor dem Hintergrund seines Potenzials zur Förderung einer gemeinsamen kollektiven Identität überdacht werden sollten.

Die Autorin
Corinna Wenzel ist Senior Scientist am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg.

[Download Studie "Public Social Value"]
[Download Public-Value-Bericht]



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