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Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Musikschaffende in Österreich

Wolfgang Seierl & Franz Hergovich


Die bewegte Geschichte des Radios ist in gewissem Sinn ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen. Dabei bildet die aktuelle Diskussion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich das Dilemma ab, das sich als eines zwischen Demokratie und der massenmedialen Vereinnahmung charakterisieren lässt.

Der aktuelle Interessenkonflikt der Politik, die die gesetzliche Grundlage für den Rundfunk erstellt, ist im ÖR Rundfunk wie auch in der gesamten österreichischen Medienlandschaft abgebildet.

Die Forderung nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Information, Bildungsangebot und Unterhaltung wirft die Frage auf, was der grundsätzliche Unterschied zwischen diesen Bereichen ist. Denn im ursprünglichen Sinn des Wortes kann Unterhaltung durchaus bilden und Bildung dementsprechend unterhalten. Der Medientheoretiker Vilém Flusser hat eindringlich festgestellt, dass in einem Massenmedium im Grunde aber alles Werbung sei. Damit ist die Frage beantwortet, ob öffentlich-rechtliche Sender das senden, was ihr Publikum hören will oder hören soll: Gesendet wird, was wir hören sollen, so wie wir entsprechend den Regeln des heutigen Marktes und der damit verbundenen manipulativen Werbestrategien auch kaufen, was wir kaufen sollen.

Das von Bertolt Brecht 1933 wahrgenommene demokratische Potenzial des Radios liegt heute – so betrachtet – mehr denn je brach. Aber gerade in einer Zeit, in der die demokratischen Strukturen ins Schwanken geraten, ist das Nachdenken über grundsätzliche Fragen wie »was wollen bzw. sollen wir hören?« wichtig und notwendig.

Werbung, solange sie nicht manipulativ ist, ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Auch in der Schule wird für Wissen und Bildung geworben, die die Grundlagen für das gesell-schaftliche Leben und auch die Demokratiefähigkeit sind. Bildungsdefizite weisen aber oft wesentlichen Bereichen unserer Kultur einen Platz in der Nische zu. Minderheiten, die im ÖR Rundfunk zugunsten des Mainstreams nicht gerne berücksichtigt werden, sind auch Opfer verfehlter Bildungspolitik.

Bildungsdefizite, einmal entstanden, lassen sich nicht von heute auf morgen ausgleichen. Wenn schon das allgemeine Bewusstsein um den Wert der jeweils aktuellen, also zeitgenössischen Musik dezimiert ist, ist der Bildungsauftrag des ÖR Rundfunks eindeutig in Hinblick auf die Wiederherstellung dieser Werte zu sehen und damit heute besonders wertvoll.

Formate wie »Zeit-Ton« und »Leporello« auf dem werbungsfreien Kultursender Ö1 oder »Trost und Rat« auf Radio Wien und »Im Sumpf« auf FM4 sind hier als wertvolle Beiträge für qualitativ hochwertige Berichterstattung über österreichische Musik abseits des Mainstreams zu nennen. Unabhängigen und gleichermaßen ansprechenden Formaten wie diesen kommt in Zeiten, in denen Payola zumindest in Form von Gegengeschäften mit Anzeigen- oder Marketingredaktionen noch immer allgegenwärtig ist, eine enorme Bedeutung zu.

Aber nicht nur die Berichterstattung über bedeutendes Musikschaffen in Nischen, sondern auch die Reichweite der Programme, machen den ORF zum wichtigsten Partner der heimischen Musikschaffenden, besonders in Krisenzeiten, in denen das Überleben für diese besonders schwer ist.

Mit dem Erreichen einer großen Öffentlichkeit ist auch große Verantwortung verbunden. Im Kontext der erwähnten massenmedialen Manipulationsmaschinerie ist es schwer, Vertrauen aufzubauen. Die österreichischen Musikschaffenden wie Musikliebhaber brauchen mehr denn je seriöse und kompetente Auseinandersetzung mit der subtilsten aller Künste, der Musik. Kunst braucht Öffentlichkeit, und besonders die jungen öster-reichischen Urheber brauchen Werbung im positiven Sinn des Wortes, um eine Karriere beginnen und überleben zu können. Das Publikum muss wissen, dass es sie gibt, um sie später in Konzertsälen und Plattengeschäften wieder finden zu können. Der österrei-chische Musikmarkt braucht die Aufmerksamkeit der Medien und muss in der aktuellen heiklen Situation mehr denn je umsorgt werden.

Die ORF-Radioprogramme verfügen über unterschiedliche Angebote für junge österreichische Musikschaffende. Etwa den »Ö3 Soundcheck«, den größten Bandwettbewerb Österreichs, der jungen Bands diese Aufmerksamkeit auf dem reichweitenstärksten Sender des Landes bietet, was sämtlichen bisherigen Gewinnern zu Chart-Platzierungen verholfen hat. Oder die FM4-Initiative »Soundpark«, die sich wie auch die »Ö1 Talentebörse« zu einer wichtigen Präsentations- und Kommunikationsplattform für heimische Newcomer entwickelt hat.

Wir alle brauchen die Musik, die heute um uns herum entsteht, Musik als wesentliche Information und Beitrag zu Kommunikation und Austausch. Und gerade für diesen Austausch – wir befinden uns längst in einem weltweit ausgelegten Netz – ist auch die Information darüber, was in der außerösterreichischen und außereuropäischen Musikwelt geschieht, von großem Interesse, in hohem Maße gerade für die Musikschaffenden selbst.


Schlussendlich zeigt auch die als Ergebnis eines mit der Parlamentarischen Enquete zum Thema »Zukunftsmusik – aktuelle Herausforderungen und musikalische Entwicklungsperspektiven in Österreich« im Jahr 2008 begonnenen Diskussionsprozesses zwischen dem ORF und den österreichischen Musikschaffenden Ende 2009 erzielte Vereinbarung über die Erhöhung des Anteils österreichischer Musik in den ORF-Radios, dass sich der ORF seiner großen Verantwortung bewusst ist. Die Entwicklung tauglicher Formate zur Vermittlung zeitgenössischen Musikschaffens auch im Fernsehen wäre ein nächster wünschenswerter Schritt.

Der ORF muss dieser wichtige und starke Partner der österreichischen Musik bleiben. Initiativen wie das RSO-Panoptikum (Orchesterminiaturen in Zusammenarbeit mit dem Radio-Symphonieorchester) geben neben der schon erwähnten Selbstverpflichtung Anlass zur Hoffnung, dass die Marke Musikland Österreich nicht zur leeren Floskel verkommt.


Über die Autoren:

Wolfgang Seierl ist Komponist und Vorstandsvorsitzender der mica – music austria

Franz Hergovich ist Fachreferent mica – music austria




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Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Musikschaffende in Österreich
Wolfgang Seierl & Franz Hergovich
Texte 1, u.a. mit Beiträgen von Dieter Segert, Thomas A. Bauer und Rotraud A. Perner abspielen
Texte 1
u.a. mit Beiträgen von Dieter Segert, Thomas A. Bauer und Rotraud A. Perner