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Vom Bohren in harten Brettern

Public Value Bericht 2015/16: Christine Kaiser – ORF-Humanitarian Broadcasting


Wer gibt eigentlich die Themen für den jeweils aktuellen Public-Value-Bericht vor? Wenn mein Kollege Konrad Mitschka zu Jahresbeginn durchruft, dann hat er ein Zauberwort auf den Lippen: 2014 war’s »Haltung«, 2015 hieß es »Wohin?« und heuer wurde die Parole »Aufmachen« ausgegeben. Schreiben kann dann eigentlich jeder, was er mag – aber mir gefällt es, wenn ich so ein bisschen eine gedankliche Fährte gelegt bekomme, an der ich mich entlanghanteln kann.

Ja, und zum Thema Aufmachen fällt mir doch sofort die Vorjahresfrage ein: wohin nämlich? Das Wort Aufmachen hat noch dazu im Jahr 2015 eine ungeheure politische Brisanz erhalten. Aufmachen als das Gegenteil von Zumachen wurde viel diskutiert, angesichts Hundert-tausender Menschen, die Österreich auf der Suche nach Schutz und Sicherheit passierten, sowie mehr als 80.000 Personen, die hier ihren Asylantrag stellten. Aufmachen ist dabei eindeutig sympathischer als Zumachen, für das man dann auch mehr oder weniger gelungene Synonyme setzte: »Türl mit Seitenteilen«, »technische Sicherheitsmaßnahme« oder »kontrollierter Grenzübertritt«.

Was haben wir Medienmacher/innen damit zu tun? Was können oder sollen wir aufmachen? Grenzen oder Zäune? Öffnen wir die Archive? Oder doch eher unsere Herzen und vermittelten Haltungen? Lange wurde im ORF darüber diskutiert, was man angesichts der historischen Ausnahmesituation, mit der die nicht versiegen wollenden Flüchtlingsbewegungen aus den kriegsführenden Ländern des Mittleren Ostens ganz Europa vor in diesem Ausmaß noch nicht da gewesene Herausforderungen stellten, als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen unternehmen könnte. Nur darüber berichten schien, nachdem Bilder und Berichte vom heillos überfüllten Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen im Sommer 2015 wochenlang die Berichterstattung dominierten, einfach zu wenig. Die Zivilgesellschaft hatte sich schon längst nach Traiskirchen aufgemacht, um dort, wo Politik und Behörden mit gegenseitigen Schuldzuweisungen versagten, Hilfe zu organisieren, Decken, Zelte, Nahrungsmittel, Kleidung und Spielzeug zu verteilen. Zeit zu schenken, mit Flüchtlingen zu kochen, mit Kindern zu spielen, Abwechslung zu bieten, erste Deutschkenntnisse zu vermitteln oder einfach nur: da zu sein und ein freundliches Gesicht von Österreich zu zeigen.

Ungarns Zaun war schon fertig gebaut, der Höhepunkt der Willkommenskultur in Deutschland und Österreich erreicht bzw. der Zenit schon fast überschritten, denn die Frage, die sich aufdrängte, war: »Aufmachen, ja – aber mit welchem Ziel und wie lange noch?«. Die deutsche »FAZ« titelte dann auch nicht ganz unironisch »Jausenstation Österreich«, denn die Menschen, die sich über die Balkanroute durchgekämpft hatten, wurden hier empfangen, versorgt und – im Geiste deutsch-österreichsicher Freundschaft – nach Deutschland oder weiter nach Norden durchgewinkt.

Am 15. September startete der ORF dann mit »HELFEN. WIE WIR.« eine neuartige Form der Hilfeleistung. Keine klassische Spendensammelaktion. Keine Kampagne, die rekordverdächtige Einnahmen erwarten ließ. Vielmehr eine Plattform des ORF mit NGOs, die Bürgerbeteiligung voraussetzt. Eine Informationsdrehscheibe zwischen Hilfswilligen und Hilfsorganisationen. Eine Website, die Bürgernähe braucht: Menschen, die bereit sind, Wohnraum zur Verfügung zu stellen; Unternehmen, die ihre CSR ernst nehmen und bereit sind, Sachspenden zur Verfügung zu stellen, die wiederum von Menschen zu den Menschen gebracht werden müssen; Menschen, die bereit sind, ihre Zeit zur Verfügung zu stellen oder Menschen, die auf das gemeinsame Aktionskonto für die Flüchtlingshilfe einzahlen. Mit großartiger Unterstützung von »ORF Kontakt«, dem ORF-Kundendienst, als zentrale Anlaufstelle und Info-Hotline, von Ö3 durch die »Team Österreich-Flüchtlingshilfe«, getragen von so vielen Redaktionen und allen Medien des Hauses wurde »aufgemacht«, um die Menschen in die gemeinsame Sache einzubinden: »HELFEN. WIE WIR.«

Der Erfolg nach gut drei Monaten ist ungefähr so wie das Bohren harter Bretter – eine Bilanz des zähen Ringens um Lösungen für Probleme, für die es eigentlich keine Lösung gibt. Dennoch, das Ergebnis ist eines, das tausendfach besser als keines ist. Im Zeitraum September 2015 bis Jänner 2016 wurden über die Aktionsplattform »HELFEN. WIE WIR.« Geldspenden in Höhe von 2,1 Millionen Euro lukriert, Wohnraum für 2.050 Personen vermittelt, 272 Sachspenden abgegeben und insgesamt 13.847 Freiwillige über das »Team Österreich« – eine Initiative von Hitradio Ö3 und dem Österreichischen Roten Kreuz – für die Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe registriert. Insbesondere im Bereich der Versorgung von Transitflüchtlingen waren und sind bis zu 30 Prozent »Team Österreich«-Helfer/innen im Einsatz. In Summe konnten auf der Homepage helfenwiewir.at seit Start 206.129 Unique Clients, 261.888 Visits und 602.470 Page Impressions verzeichnet werden.

Im März 2016 startet »HELFEN. WIE WIR.« mit einem neuen Schwerpunkt rund um das Thema Integration. Nachdem Sprache ein Schlüssel dazu ist, möchte »HELFEN. WIE WIR.« mit Hilfe von Spenden qualitätsvolle Sprachkurse für Asylsuchende in Österreich ermöglichen. Denn Sprache heißt nicht nur Verständigung, sondern vermittelt auch Haltungen, gibt Orientierung, schafft Gemeinschaft.

Wie vielen Asylwerberinnen und Asylwerbern oder anerkannten Flüchtlingen »HELFEN. WIE WIR« bis dahin zu einem höheren Sprachlevel in der deutschen Sprache verhelfen konnte? Ob der ORF die erste Nachrichtensendung in arabischer Sprache anbieten wird? Ob es eine multilinguale Refugees-App mit Informationen in Deutsch, Englisch und Arabisch geben wird? Wie Sprache auch unsere Medienlandschaft und unser Miteinander verändern wird… ?

Die Autorin
Christine Kaiser ist Redakteurin des Humantarian Broadcastings im ORF.


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