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Dodo Roščić Vielfalt – Diversity ist kein Selbstzweck. Diversity ist jung. "Ladies, Genders and Gentlemen", so begrüssen Hannes Duscher und Roland Gratzer täglich um 13 Uhr ihre Hörer:innen in der FM4 PASST SHOW. Alle Moderator:innen von radio FM4 sprechen das Gender-Sternchen hörbar, so wie ich es hier schreibe. FM4-Mitarbeiter:innen verwenden in ihren E-Mail- Autosignaturen völlig selbstverständlich die Angabe ihres genderneutralen Pronomens. FM4 hatte im Juni 2022 einen eigenen Truck auf der Vienna Pride Parade. FM4 Mitarbeiter:innen stammen aus der ganzen Welt. Das mehrheitlich Englischsprachige am Sender vereint dabei alles, so wie es uns auch als fremdsprachiges Angebot des ORF europäisch macht.

Ich, die Sender-Chefin, bin auch Migrantin. Ist das der Spleen einer abgehobenen weltfremden Truppe, einer "Bubble", die völlig den Anschluss an die Realität da draussen verloren hat? Im Gegenteil. Meine These: Ich bin davon überzeugt, dass es sich um junge Themen handelt. Sie sind nicht entlang partei- oder gesellschaftspolitischer Demarkationslinien aufgestellt, sondern unterscheiden letztlich die tektonischen Platten "jung" von "alt". Wir Alten drohen in diesem Diskurs den Fehler zu machen, "die Jungen" stets zu verwechseln. Die einzig denkbare Jugend, so der Trugschluss, ist die jeweils Eigene! "Immer nur dieser Umweltschutz! Wieso sind sie so brav, diese Jungen? Wir waren damals nicht einmal angeschnallt im Auto, die Eltern haben Kette geraucht und Sonnenschutz hat auch niemand verwendet" - so und ähnlich tönt die Empörung der Älteren über den enttäuschenden Nachwuchs. "Drittes Geschlecht? Was soll das sein?". War damals die fast in Aggression kippende Empörung auch so groß bei Elvis´ Hüftschwung und als die Beatles ihre Haare länger trugen als bis zu den Ohren wie jetzt, wo "they/them" sich aussuchen, auf welche Toilette sie gehen?

In einem oft zitierten Artikel von Jens Jessen erschien in der ZEIT vom 25. August 2022 folgende hilfreiche Einordnung: Es gab noch nie so wenige Junge auf der Welt wie heute. Weniger als 10 Prozent der Weltbevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Sie sind daher selbst unterlegen gegen die hegemoniale Übermacht der Generation X und der Boomer: "Die Jugend ist in den Rang der Minderheit geraten". An anderer Stelle: "Noch nie gab es so wenige junge Menschen wie heute. Gegen die Übermacht der Alten wehren sie sich mit moralischer Rigidität." Der STERN gab vergangenes Jahr die so genannte Rheingold- Studie in Auftrag. Die Antwort auf die Frage der vorherrschenden Charakterzüge der Altersgruppe der unter 25-Jährigen: "Protest gegen die moralische Verfasstheit der Erwachsenenwelt: Deren Rassismen, Sexismen, kolonialistische Überheblichkeiten. "Generaldirektor Roland Weißmann formulierte in seiner Bewerbung sehr deutlich: Der ORF muss die Jungen wieder (mehr) für sich interessieren und Diversität muss in einem Unternehmen wie dem Unseren großgeschrieben werden. Es braucht in Gesellschaften und deren Medien immer einen Vorposten, der ein deutliches Signal aussendet: Wir sind da! Wir verstehen euch! Auch wenn es noch nicht gesamtgesellschaftlich angekommen und mehrheitsfähig ist, gibt es für Themen, die euch bewegen, auch ein Angebot bei uns! Für den ORF übernimmt das FM4.

Neue Themen und soziale Entwicklungen bilden sich in unseren Gesellschaften denklogischerweise immer zuallererst in einem kleinen verdichteten Nukleus und werden dann erst hinaus getragen, anerkannt, umgesetzt - und werden so die neue Norm. Viele Beispiele, von großen Schritten wie der Ehe für alle bis hin zu dem Weg, den Bio-Gemüse aus dem Einkaufskorb des belächelten Ballungsraum-Bobos in die Sortiments aller großen Supermarktketten gefunden hat, bestätigen dies. Wenn der ORF so divers und jung sein will wie "seine" Gesellschaft, dann darf er nie den Kontakt zu eben diesem Nukleus verlieren. Er ist ein Nukleus, daher ist er klein. Doch es wäre fatal, von all diesen Strömungen abgeschnitten zu sein, denn sie definieren das Österreich von morgen. Ein Leuchtturm des ORF muss immer erreichbar sein.

Vergangenes Jahr hat radio FM4 sich mit den postpandemischen Lebensrealitäten der Jungen, Stichwort "Mental Health", auseinandergesetzt, denn die Jungen sprechen offen über ihre Issues. Depressionen und Angstattacken werden nicht versteckt oder kleingeredet. FM4 hat sich in einem einwöchigen Themenschwerpunkt quer durch alle Programmangebote dieser neuen Realität gewidmet und sie lösungsorientiert eingeordnet. Im Februar 2022 beging radio FM4 wieder den Black History Month, um für den ORF seinen Beitrag dazu zu leisten, die Sichtbarkeit in Österreich lebender schwarzer junger Menschen zu erhöhen. Am Beginn des Konfliktes in der Ukraine haben wir täglich einen Ukrainisch-Kurs angeboten mit den wichtigsten Sätzen, die ein junger Mensch braucht, der sich in Österreich in Sicherheit gebracht hat. Im März 2022 feierte FM4 zuerst den 8. März ausführlich und dann erstmals Nowruz, das persische Neujahrsfest, im Namen der großen persischen Community in Österreich. Wir achten bei unseren Moderator:innen und beim Buchen von uns (mit)veranstalteter Konzerte und Festivals auf Gender Balance und diverse Line-Ups. Als junges Public Service Angebot müssen wir immer im Namen des Gesamt-ORF die eine Plattform sein, auf der diese fortschrittlichen, diese neuen Fragestellungen verhandelt werden können. Also Treiber:innen des Diskurses, Spiegel der Gesellschaft - ohne blinde Flecken.

Zahlen, Daten und Fakten zur Leistungskategorie Vielfalt, finden Sie im Datenteil des Public Value Berichts 2022/2023.