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Ao.-Univ.Prof. Dr. Thomas Steinmaurer Public Network Value Die digitale Transformation setzte weitreichende Wandlungsprozesse in der Gesellschaft in Gang und bringt auch für den Medien- und Kommunikationsbereich fundamentale Veränderungen mit sich. Mit dem Internet und den Prinzipien der Vernetzung entwickelte sich eine neue digitale Infrastruktur, die ein paradigmatisch neues Ökosystem für gesellschaftliche wie auch individuelle Informations- und Kommunikationsprozesse hervorbrachte. In diesem globalen Netz, das eine egalitäre Kommunikation und Interaktion für alle versprach, haben sich inzwischen neue Player als dominierende Plattformen herausgebildet, die das Spiel der Kräfte dominieren und zu zentralen Drehscheiben nicht nur der Kommunikation, sondern auch ihrer Ökonomisierung und Vermarktung wurden.

Gerade die großen Social Media-Plattformen setzen neue Kommunikations- und Interaktionsprozesse in Gang, die veränderte Formen der Partizipation ermöglichen und auch neue Öffentlichkeiten schaffen, aber auch Tendenzen der Polarisierung und Radikalisierung vorantreiben. Dynamiken der Datafication, eines neu sich entwickelnden "Überwachungskapitalismus" (vgl. Zuboff) oder neuerdings auch die Integration von KI zur Suche, Steuerung und auch Produktion von Inhalten stellen zusätzliche Herausforderungen der Entwicklung dar. Klassische Medien stehen nun vor der Herausforderung, sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen zu müssen und jeweils sinnvolle, ihrem Auftrag entsprechende Transformationsprozesse umzusetzen. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet dies, sich von einem One-to-Many-Medium klassischer Prägung (im Sinne eines "Senders") zu einer Plattform digitaler Informations- und Kommunikationsangebote (im Sinne eines Netzwerks) weiterentwickeln zu müssen.

Dabei hat die Idee im Zentrum zu stehen, auch im digitalen Netz einen "Public Value" für die Gesellschaft zu schaffen. Die Weiterentwicklung des Mehrwerts von Public Broadcastern für die Netzwerkgesellschaft (vgl. Castells) könnte man folglich als den "Public Network Value" bezeichnen, in dessen Rahmen nicht nur die anerkannten, bisher schon gültigen Qualitätsmerkmale die Basis für sämtliche Angebote darstellen, sondern aufbauend darauf neue Qualitätsmerkmale - angepasst auf die sich verändernden Rahmenbedingungen - entwickelt werden müssen (vgl. Steinmaurer/Wenzel 2015). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in digitalen Netzwerken Prozesse der Kommunikation zunehmend undurchschaubar bzw. unübersichtlicher werden und in Bezug auf die Inhalte Manipulation und Fälschung beständig zunehmen, bedarf es der Absicherung von Qualitätsanbietern im Netz, die nicht nur für verlässliche Inhalte stehen, sondern auch neue digitale Formate auf einem technisch hochwertigen Niveau entwickeln können. Ihnen sollte es also möglich sein, innovative digitale Angebote anzubieten, die sich von rein ökonomisch orientierten Anwendungen klar unterscheiden und einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Denn gerade auch im digitalen Ökosystem müssen Public Service-Anbieter daraufhin ausgerichtet sein, sich nicht nur durch die Qualität ihrer inhaltlichen Angebote, sondern auch ihrer Netzwerkinnovationen auszuzeichnen. Ein damit zu erzielender Public Network Value sollte sich dabei der Ratio der gesellschaftlichen Partizipation, digitalen Inklusion und sozialen Integration im Sinne der Etablierung eines Public Open Space orientieren.

Die Zielrichtung bei der Entwicklung neuer Netzwerk-Angebote muss folgerichtig und basierend auf der Idee der Digital Commons dabei auf den Fluchtpunkt eines Public (Network) Values und nicht - wie das große Plattformen weltweit betreiben - eines Shareholder Values ausgerichtet sein. Im Hinblick auf die Ausgestaltung digitaler Innovationen, die in Summe einen Public Network Value ausmachen könnten, sollte es darum gehen, etwa Formen des einfachen Zugangs zu Angeboten zu schaffen, die Sichtbarkeit von Diensten zu verbessern sowie zentrale Funktionen der digitalen Netze zu nutzen. Damit sind Potentiale angesprochen, die auf eine Intensivierung der interaktiven Kommunikation und Interaktion mit dem Publikum abzielen. Um derartige Netzwerk-Qualitäten zu erreichen, bedarf es freilich entsprechender Anstrengungen auf Anbieterseite, um auch für den Kontext digitaler Ökosysteme qualitätsgetriebene Content-Angebote zu machen.

Gerade in Zeiten der unsicheren Informationsqualitäten im Netz, in denen Fake News und Verschwörungstheorien schnell Verbreitung finden können, ist es zentral, dass qualitätsorientierte Medienplattformen zu faktenorientierten Clearing-Stellen für "digitalen Content" werden (können). Dazu gehören Aufgaben wie einer verstärkt notwendigen Validierung und Kontextualisierung von Inhalten auf journalistischer Ebene. Ebenso zählen dazu aber auch Kooperationen mit anderen Qualitätsanbietern aus dem Feld der klassischen Medien, wie dies im Fall von Recherchenetzwerken bereits in ersten Schritten realisiert wurde. Auf strukturell-technischer Ebene sollten mit qualitätsgetriebenen Anbietern und Plattformen im Netz sowie Vernetzungen und Verlinkungen aufgebaut werden, die einen Mehrwert für Public Network Values schaffen. Dazu könnten Verlinkungen wie z. B. zu Plattformen der EBU oder Archiven öffentlich-rechtlichen Charakters ebenso zählen wie Informations-Hots von Bibliotheken oder Web-Anbietern wie Wikipedia. Diese Formen aktiver Netzwerkbildungen könnten öffentlich-rechtliche Broadcaster darin stärken, ihre Identität als Qualitätsknoten im Netz zu festigen. Und zu Qualitätsmerkmalen von PSM sollte es auch gehören, ihre Archive in einer avancierten, d. h. journalistisch kuratierten Form zugänglich zu machen, da sich damit vielfach kulturelle und gesellschaftlich relevante Inhalte erschließen lassen.

Zu weiteren Dimensionen eines Public Network Value sind darüber hinaus noch Aspekte zu zählen, die darauf abstellen, mit entsprechenden Formaten schließlich auch noch Angebote zu entwickeln, die das Publikum über die Möglichkeiten und Chancen, aber auch Risiken und Gefahren des Umgangs mit digitalen Angeboten und den Stellenwert der Digitalisierung für die Gesellschaft generell informieren. Denn wie es auf Anbieterseite der Entwicklung innovativer Angebote bedarf, ist auch dafür zu sorgen, dass auch die Nutzerinnen und Nutzer digitaler Infrastrukturen über die entsprechenden Kompetenzen und "Digital Skills" verfügen, um sich nicht nur als passive Konsument:innen, sondern als aktiv partizipierende Bürger:innen im Netz bewegen zu können (vgl. Digital Skills). In Summe zeichnet sich das Konzept des Public Network Value dadurch aus, ein Modell der Weiterentwicklung des klassischen Public Value-Modells für die Weiterentwicklung der PSM für ihre digitalen Transformation vorzuschlagen. Im Zentrum beider Innovationsrichtungen muss für Public Service Anbieter der Anspruch stehen, jeweils die für sie festgelegten Maßstäbe der Qualität abzusichern und zu garantieren. Denn gerade für die in den digitalen Netzen sich aktuell darstellenden Herausforderungen ist es als eine demokratiepolitische Aufgabe zu sehen, dass sich die Gesellschaft die Entwicklung qualitätsgetriebener Netzwerkplattformen im Sinne von "Public Service Networks" leistet. Damit kann eine Alternative und ein Gegenpol zu global agierenden Plattformen geschaffen werden, die auf den Zielwerten des gesellschaftlichen Gemeinwohls und der Sicherung einer demokratischen Öffentlichkeit basiert. Die damit angesprochenen konzeptiven Entwicklungslinien sind vor dem Hintergrund einer jeweils nationalstaatlichen Medienpolitik zu sehen, die aufgerufen ist, den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegnen. Dabei sollte es das Ziel sein, sowohl Strukturen der Vielfalt und pluralen Öffentlichkeit zu sichern, als auch Anbieter zu stärken, die auf die Schaffung demokratiepolitisch notwendiger Informations- und Kommunikationsqualitäten sowie gemeinwohlorientierter Netzwerkinnovationen abstellen.

Der Medienpolitik muss es daher neben marktorientierten Erwägungen gerade im Kontext digitaler Rahmenbedingungen auch um die Qualitätssicherung gesellschaftlicher Kommunikationsinfrastrukturen gehen. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Perspektiven, die es für die Entwicklung einer qualitäts- und demokratieorientierten Medien- und Kommunikations- Infrastruktur zu bedenken gilt, kann im Rahmen einer vielfältigen Anbieterstruktur die Absicherung eines Public Service-Anbieters per se als eine Maßnahme der Qualitätssicherung gelten. Gerade für den Kontext der Digitalisierung und dem damit verbundenen "neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit" (vgl. Habermas) wird daher nicht zu Unrecht vor dem Hintergrund einer sich weltweit durchsetzenden Kommerzialisierung und Ökonomisierung des Internets die Idee der Etablierung vermehrt "öffentlich-rechtlicher" Netzwerkanbieter - wie immer diese ausgestaltet sein mögen - diskutiert und auch eingefordert (vgl. Internet-Manifesto).

Dabei ist es nicht nur von Bedeutung, die Qualität ihrer journalistischen Produktionen laufend und aus unterschiedlichen Blickwinkeln - auch im Sinne einer regulierten Selbstregulierung - zu überprüfen und wenn nötig auch zu korrigieren. Es wird in Zukunft auch darum gehen müssen, die Qualität ihrer digitalen Innovations- und Entwicklungsperspektiven unter dem Aspekt ihres Beitrags für eine demokratische Kommunikationskultur zu bewerten und einzuschätzen. Dies wird auch im Einklang mit den aktuell (jeweils) gültigen europarechtlich vorgegebenen beihilferechtlichen Vorgaben zu erfolgen haben, die ja auch gerade auf die Notwendigkeit der Einhaltung eines genuinen öffentlich-rechtlichen Auftrags von Public Service-Anbietern abstellen. Vor diesem Hintergrund wird es entscheidend sein zu überlegen, welcher digitalen Dienste bzw. Angebotsformen meritorischer Natur es bedarf, um einen expliziten demokratischen Mehrwert zu schaffen. Im Hinblick auf mögliche Pfade der Weiterentwicklung von Public Service Media zu Public Service Networks oder digitalen Plattformen für die Gesellschaft wird auch zu definieren sein, welche Qualitätsmerkmale von einem derart neu definierten Anbieter gesellschaftlich erwartet werden (können) bzw. erbracht werden müssen.

Welche Formen der Vernetzung und auch der Kooperation mit anderen Qualitätsanbietern oder auch nicht-kommerzielle orientierten Plattformen im Netz sowohl national wie auch auf europäischer Ebene oder international sollen entwickelt werden? Mit welchen Aktivitäten kann es auch Public Service-Anbietern im digitalen Netz gelingen, ihren Public Network Value als "return on society" sicher zu stellen? Und wenn es darum geht, darüber nachzudenken, wie überhaupt Qualitätssicherungsmaßnahmen für die Weiterentwicklung der digitalen Transformation zu setzen sind, stehen unterschiedliche Zugänge zur Wahl. Neben den bereits erprobten Instrumenten wird darauf zu achten sein, Formen einer flexiblen und jeweils adaptiven Qualitätssicherung zu finden, da sich auch spezifische Notwendigkeiten jeweils immer neu stellen. Waren und sind es auch noch heute etwa Probleme durch Fake News, Deep Fakes oder Verschwörungstheorien, auf die durch bestimmte Maßnahmen - wie z. B. dem Fact Checking - zu reagieren ist, entstehen durch digitale Innovationszyklen sehr rasch neue Herausforderungen, wie wir das aktuell im Feld der Künstlichen Intelligenzen beobachten. Auch darauf haben qualitätsgetriebene Anbieter mit ihren Möglichkeiten zu reagieren und Antworten auf allenfalls kritische oder bedenkliche Entwicklungen zu finden.

Insofern gilt es Qualitätsentwicklung für den Kontext digitaler Rahmenbedingungen daher auch als einen flexiblen Entwicklungspfad zu begreifen. Versteht man schließlich Entwicklungsschritte der digitalen Transformation durch PSM als Dimensionen im Rahmen auch der Herstellung eines Public Network Values, lässt sich ein derartiges Modell generell als ein Qualitätssicherungssystem für digitale Ökosysteme verstehen. Denn es hat das Ziel - dem Modell der "Digital Commons" folgend - gesellschaftlichen Mehrwert innerhalb digitaler Netzwerke zu stiften, Qualitäten alternativ zu rein datenökonomischen Modellen zu entwickeln und auf eine Stärkung eines "Digital Citizenship" abzuzielen.

Nicht ohne Grund finden wir auf europäischer Ebene inzwischen bereits unterschiedliche Konzepte und Initiativen, um Alternativen zu global agierenden Playern aufzubauen. Auch wenn derartige Anstrengungen mit großer Verspätung antreten und gerade wegen ihrer nicht-kommerziellen Ausrichtung in keiner Form den großen globalen Plattformen ihre Position streitig machen können, ist es demokratiepolitisch notwendig, Qualitätsknoten und qualitätsgetriebene Netzwerke mit einem gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Denn die Absicherung einer kommunikativen Infrastruktur, die den Zielwerten einer funktionierenden demokratischen Öffentlichkeit verpflichtet ist und zur Qualitätssicherung von Information und Kommunikation einen wichtigen Beitrag leisten kann, ist als eine demokratiepolitisch zentrale Aufgabe für die Netzwerkgesellschaft zu betrachten.