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Der Tag der Jogginghose und sein Dilemma

Public Value Bericht 2015/16: Mag. Hubert Huber – »Kurier«


In der Welt der Journalisten hat »aufmachen« eine Doppeldeutigkeit, derer sich viele nicht so bewusst sind, die jedoch gleichzeitig sehr gut ein Dilemma der Medienwelt beschreibt. Hauptsächlich wird das Wort in seiner Bedeutung von »öffnen« verwendet. Für Journalisten heißt jedoch die Zeitung/Sendung »aufmachen«: Was ist die wichtigste Geschichte, die ich allen anderen voranstelle? Es bedeutet also fokussieren, eingrenzen, nach Bedeutung und Relevanz gewichten – und damit auch vieles auszuschließen.

Neulich in der Redaktion: Über E-Mail flattert die Bitte herein, an einem Fotoshooting teilzunehmen, weil die Kollegin / der Kollege eine Geschichte zum Tag der Jogginghose vorbereite. Begründung, warum das eine Geschichte wert sei: Vier Grazer Schüler hätten das ins Leben gerufen, die Aktion hätte immerhin schon mehr als 600.000 Zusagen auf Facebook und sei in die Wikipedia-Liste der Gedenktage aufgenommen worden. Das sei doch eine »nette« Geschichte, wir sollten doch offen für Neues sein. Natürlich ist der Tag der Jogginghose eine der vielen Belanglosigkeiten, die unter der Tarnung des Neuen, Innovativen die Redaktionen überfluten: Alle Möglichkeiten stehen offen, Social Media, das Internet, die Konkurrenz und was alles noch an Informationsquellen auf die Journalistinnen und Journalisten einstürmt. Nicht zu vergessen die Postings und Leser/innen-Beiträge. Man hat sich für die neuen Ideen geöffnet und geht darin unter.

Das Problem dabei: Alle diese Neuerungen kommen aus der Medienwelt, von medienaffinen Menschen, die meist nichts anderes tun, als sich den Kopf zu zerbrechen, wie sie noch schneller noch toller Information übermitteln können. Jede einzelne Erneuerung für sich hat wie üblich ihre Vor- und Nachteile, in ihrer Gesamtheit überfordern sie sowohl die Redaktionen also auch die Nutzer/innen. Die vielfach beschworene Freiheit der Auswahl stimmt nur bedingt, zu viel des Guten verwirrt auch, für das Nachdenken bleibt zu wenig Zeit. Gleichzeitig stehlen die Medien Zeit, weil sie ihre Leser/innen / Hörer/innen / Seher/innen mit Wiederholungen und Banalitäten zu binden versuchen.

Das spiegelt sich auch in den Medien wieder. Vergleicht man die Onlineportale diverser Medien, so sehen sie vielleicht anders aus, doch inhaltlich steht überall fast dasselbe drin. Wie können da neue Leser/innen akquiriert werden?

Fragt man die vielfach beschworenen Leser/innen / Hörer/innen / Seher/innen, klagen viele über die Belanglosigkeit und die Menge der Nachrichten, über Ängste und Sorgen, die sie auslösen. Sie wünschen sich objektivere und positive Nachrichten, beides allerdings Begriffe, die unter Journalisten als sehr problematisch eingeschätzt werden.
Die Öffnung in Richtung mehr und noch schneller erzeugt also auf beiden Seiten (Produzenten/Rezipienten) vor allem Unzufriedenheit. Die andere, journalistischere Bedeutung des Wortes »aufmachen« bietet da eine echte Alternative: Einen Rahmen finden, der dem jeweiligen Publikum entspricht, klare Richtlinien für die Redaktion erarbeiten, die helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen, und Nachrichten zu fokussieren, das heißt: Ich bringe, was mein Publikum nicht nur interessieren könnte, sondern was auch relevant ist, und zwar eben nur das Wichtigste.
Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die eine Entlastungsthese untermauern: Google hat die Suche im Internet auf eine einzige Zeile reduziert und damit ein Wirtschaftsimperium aufgebaut. Österreichs meistgewählte Internetseite, nämlich die vom ORF, ist schlicht und übersichtlich. William Binney, ehemaliger technischer Direktor der NSA, bemerkte in einem Interview Ende 2015, dass die ganze Datensammlerei kaum etwas brächte, weil sie mehr verwirren als brauchbare Resultate bringen würde. Für ihn wäre die gründliche Analyse von Situationen und danach die gezielte Auswahl von zu ermittelnden Daten die bessere Lösung.

— Dieser Ratschlag gilt natürlich auch für Redaktionen. Wie gründlich werden also Analysen gemacht?
— Gibt es überhaupt gezielte Strategien, um die Bedürfnisse von LHS zu erfassen?
— Abgesehen von den rituell durchgeführten Befragungen: Wann wurden zuletzt die Rezipientinnen und Rezipienten befragt?
— Wurden die Redaktionen bei der Erstellung der Fragen eingebunden?
— Kennen die Journalistinnen und Journalisten die Wünsche der Leser/innen?
— Kennen die Chefredakteur/innen / Chefs und Chefinnen vom Dienst / Ressortleiter/innen die Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Kolleginnen und Kollegen?
— Gibt es klar formulierte Direktiven und Richtlinien für die Qualität der journalistischen Produkte und wenn ja, kennen sie die Kolleginnen und Kollegen?
— Wann wurde zuletzt entrümpelt?
— Wurde je darüber nachgedacht, vielleicht weniger zu produzieren, das dafür besser und origineller?

Der Fragenkatalog, der als Anregung gedacht ist, könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Tatsächlich ist es enorm viel Arbeit, den Informationsmüll beiseite zu räumen und sich auf das wesentliche zu konzentrieren, aber alle haben etwas davon: Die Geschäftsführung könnte mehr Leser/innen / Hörer/innen / Seher/innen lukrieren; die produzierende Mannschaft würde weniger aus dem letzten Loch pfeifen; die Leser/innen würden entlastet – und diese Art der Dienstleistung sollte man als Journalist/in nie unterschätzen.

Der Autor
Hubert Huber arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Journalist, zuletzt als Chef vom Dienst bei der Tageszeitung »Kurier«. Jetzt ist er vor allem in der journalistischen Aus- und Weiterbildung tätig.


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