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Ein guter Grund

#Elisabeth Gollackner, Redakteurin der ORF-TV-Information


Achtung, das könnte wehtun: Was die Entwicklung innovativer ORF-Info-Formate von denen privater Anbieter unterscheidet. Am Beispiel von „Nationalraten“.

Guten Tag, sagte der Herr am anderen Ende der Leitung, und zwischen den Zeilen sagte er: Bitte setzen Sie sich in die Nesseln. Ein Text darüber, was die Entwicklung innovativer ORF-Info-Formate von denen privater Anbieter unterscheidet? Was für eine heikle Angelegenheit. Denn gerade, wenn es um Sendungsentwicklung geht, wird es unkonkret. Wir befinden uns noch vor den Toren, noch in den nebeligen Gegenden vor Ausstrahlung, Reichweite und Untertitelung für Hörgeschädigte. Dinge, die man in Zahlen fassen kann, sind leicht erklärbar. Doch hier geht es um Ideen und deren geplante Umsetzung. Was unterscheidet unsere Projekte also von denen der Privatsender? Was macht sie öffentlich-rechtlich? In meinem Kopf gehe ich vergangene Entwicklungen durch und bleibe bei „Nationalraten“ hängen. Die Quiz-Talkshow zur Nationalratswahl 2017. Wie so viele Ideen ist auch diese aus einem Impuls heraus entstanden. Eigentlich aus einem Moment des Ärgers. Eine politische Schlagzeile dominierte die Medien, und beim ersten Lesen war nicht klar, von welcher Partei dieser Vorstoß kam. Zu ähnlich waren die Wahlkampfthemen, zu einheitlich das Feindbild. Der Impuls wurde zum Kern einer Idee, wurde größer und größer, nicht nur an Inhalt, sondern auch an Personal. Vom Vier-Augen-Gespräch zur ersten redaktionellen Feedbackrunde. Kopfschütteln, Daumen hoch, neue Ideen bringen, Dinge verwerfen, Teile umgestalten. Ab in die nächste Feedbackrunde. So weit, so normal. Jede andere Redaktion dieses Landes arbeitet genauso.

Doch mit jedem Schritt, den ich in meinem Kopf gehe, wird der Unterschied klarer. Der Unterschied liegt im Boden, auf dem wir uns bewegen, dieses Territorium namens Österreichischer Rundfunk. Ein solides Fundament, das nicht ignoriert werden kann. Bohrt man nach unten, kommen die Schichten zutage, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Die große Bedeutung beim Aufbau einer Republik, die beginnt, sich selbst als Gemeinschaft wahrzunehmen. Der Blick in die Welt und das aufkeimende Selbstverständnis, Teil von etwas Größerem zu sein. Das Sprachrohr der Jungen, die die Krawatten ablegen und über den Tellerrand tanzen. Das Geländer am Weg zu neuen Medien und neuen Kanälen der Kommunikation. Die vielen Gesichter, die uns durch die jüngere Geschichte Österreichs begleiten und Einordnung, Übersicht und Kontinuität bieten.

Im Zweifel für Integrität
Einen Schritt im ORF zu setzen – und sei es auch nur gedanklich – bedeutet, einen Schritt auf diesem Grund zu gehen. Sich der Verantwortung bewusst zu sein, welche Rolle ein öffentlich-rechtliches Medium im besten Falle einnehmen kann. Und in seiner Arbeit geschützt, begleitet und ja, auch kontrolliert zu werden von Redakteursversammlungen, Verhaltenskodex und Ethikrat. Und bevor der Pathos in diesem Text überhandnimmt, möchte ich kurz einwerfen: Ja, klar sitzen auch wir bis spät in die Nacht bei Chips und Bier und denken uns Blödsinn aus. Und natürlich lachen wir uns schief über Jugendsünden von Politiker/innen oder Aussagen von Interviewpartner/innen.

Die Frage ist, was wir damit tun. Ob wir die peinlichen Momente, wie in unserem Fall, für ein politisches Quiz verwenden oder nicht. Und egal, ob man auf diesem Boden geht oder, wie in unserem Fall, in versifften Kellerräumen seinen Klappstuhl darauf abstellt, unser Auftrag bleibt der gleiche: Wir entscheiden im Sinne der Ausgewogenheit. Wir entscheiden uns gegen den billigen Lacher, der keinen Erkenntnisgewinn bringt. Wir entscheiden uns ohne Druck von außen, weder wirtschaftlich noch politisch. Wir betrachten uns als Journalistinnen und Journalisten, mit allem, was dazugehört. (Das klingt so logisch, doch hört man sich im Medienbereich um, ist es das leider nicht mehr.) Und wir entwickeln ein Produkt für den ORF, und das bedeutet: Im besten Falle qualitativ hochwertige Information für ein großes Publikum. Im Zweifel für die journalistische Integrität und gegen die Quote.

Und es wäre gelogen, würde ich behaupten, nie neidisch auf die Kolleginnen und Kollegen am privaten Grundstück nebenan zu schielen, wenn sie wendig und schnell ihre Ideen rausschießen und ausprobieren. Ohne öffentlich-rechtliche Auflagen. Ohne der Bürde der Verantwortung eines großen Namens. Und dann beobachte ich ihre Produkte und spüre den Unterschied. Und ich weiß, dass ich es anders machen würde, anders machen darf, gemeinsam mit dem beeindruckenden Team, mit dem ich arbeite. Bei „Nationalraten“ beispielsweise war es die bewusste Entscheidung, diesem hektischen, lauten Wahlkampf ein Format mit langen, unaufgeregten Interviewpassagen entgegenzusetzen. Parteien nicht als Ein-Mann-Shows zu inszenieren, sondern den einen Mann (und die eine Frau) auf die andere Spielfeldhälfte zu setzen, wo sie zuhören und zusehen, wie ihre Parteien wahrgenommen werden. In spielerischer Form Bildungsfernsehen zu machen. Und das alles in einem Format, wo das tainment der Info schon an den Fersen klebt. „Nationalraten“ war eine riskante Entscheidung. Noch dazu eine, die im Vorfeld lautstark kritisiert wurde. Nachher ist man immer klüger, und nachher sagt man leicht: Wir hatten einfach einen guten Riecher. Doch das wäre gelogen. Wir haben gemacht, was wir in diesen chaotischen politischen Wochen als ORF-Journalistinnen und Journalisten für richtig hielten. Und die Gefahr war groß, sich damit in die Nesseln zu setzen. Warum wir es trotzdem gemacht haben und weiterhin machen werden? Weil wir es dürfen und auch sollen. Der ORF ist ein guter Grund. Und das macht den Unterschied.


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