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Märzenbecher und Transistorradio

Matthias Schrom, Chefredakteur der ORF 2-Information


Corona hat uns auseinandergebracht und für Distanz gesorgt – Freundinnen, Freunde konnten einander nicht treffen, diskursfreudige Journalist/innen nicht in Meetings Themen diskutieren. Corona hat uns aber auch zusammengebracht – etwa vor die Fernseher wie zuletzt zu Zeiten der Mondlandung oder Shows in den 70er-Jahren.
Corona hat unsere Welt enger gemacht – das Homeoffice als Stätte für Freizeit, Arbeit, Schlafen, Essen. Das Reisen um die Welt und Kennenlernen anderer Kulturen ist der Sommerfrische am kühlen See um die Ecke gewichen.
Corona hat uns neue Begriffe gelehrt: Homeschooling, Homeoffice, Replikationszahlen, Cluster, PCR-Tests. Corona hat es sogar geschafft, die beharrlich Krisen aller Art wie Kriege, Skandale, Diktaturen ignorierenden allmächtigen Sportverbände IOC und UEFA zu Absagen ihrer Großveranstaltungen zu bringen. Corona hat aber auch einer ÖVP-Grün-Regierung die eigentlich erwartbaren ideologischen Grabenkämpfe erspart und sie zur gemeinsamen Kommunikation und Bewältigung der größten Krise der Zweiten Republik gezwungen.
Tja, und Corona hat einen auf Austerität getrimmten österreichischen Kanzler dazu gebracht, die Wirtschaftskrise im Kreisky´schen Sinne meistern zu wollen, „koste es, was es wolle“.
Corona hat aber auch eines bewiesen, was wir schon seit der Ibiza-Affäre ahnen. Wenn es ernst oder wirklich wichtig wird, vertrauen die meisten Menschen öffentlich-rechtlichen Medien. Eine Reuters Studie belegt dies und zeigt auch, dass die lineare Fernsehnutzung weltweit stark zugenommen hat – interessanter Weise speziell unter den Jungen. Auch im ORF verzeichnet die Information nie erreichte Reichweiten- und Marktanteilrekorde.
Und nicht nur zu Zeiten des Lockdowns konnte die ZiB1 weit über 2,5 Millionen Menschen erreichen. Normalerweise sind die ZiB-Macher/innen mit einer Million Zuschauer/innen hochzufrieden, aber immer noch liegen die Zuschauerzahlen um mehr als 30 % über dem üblichen Niveau im Sommer. Vieles deutet darauf hin, dass jüngere Menschen auch über die Social-Media-Aktivitäten der ZiB ebendiese erstmalig entdeckt haben und zumindest vorerst geblieben sind. Bei allen Zukunftsüberlegungen zeigt sich: Lineares Fernsehen funktioniert immer noch als Hauptinfoquelle in Krisenzeiten in allen Altersstufen. Wir als ORF-Fernsehinformation müssen in diesem Wissen den Menschen und dem Publikum noch besser entgegenkommen, das Publikum noch bessere einbinden, auf Communitybuilding (wie Ö3) setzen und uns noch mehr um das Publikum bemühen. Das Liveevent, die Krise, die Hintergrundinfo, die Einschätzung, die Unmittelbarkeit – das ist es, was Fernsehen stark macht. Es wird aber weitere und schnellere Distributionswege brauchen, es wird natürlich eine sinnvolle Bündelung von Ressourcen brauchen, es wird mehr Kreativität und Flexibilität in der Produktion geben müssen – aber Corona lehrt uns auch, dass es hier ein Fundament gibt, auf dem die Zukunft gebaut werden kann.
Je länger die Krise andauert, umso hörbarer werden auch kritische Stimmen. Wir hätten die Angstmacherei der Politik verstärkt, überhaupt geistert das böse Wort vom Staatsfunk durch die Social-Media-Welt. Tatsache ist, dass es tatsächlich eine schwierige Gesamtgemengelage war: Die unzweifelhaft zu erfüllende Informationspflicht rechtfertigt natürlich die Übertragung von Pressekonferenzen der Regierung, die Maßnahmen verkündet, die alle betreffen. Man stelle sich vor, der ORF hätte diese Pressekonferenzen nicht übertragen, die Kommerzsender wie Ö24 oder Puls24 jedoch sehr wohl. Eine offensiv kommunizierende Regierungsspitze kann kein Ausschließungsgrund sein. Jede Pressekonferenz, jeder Auftritt wurden eingeordnet und hinterfragt. Grundsätzlich geht es nicht darum, die Erwartungen von Austrotwitter, sondern den Informationsauftrag im Sinne des Publikums zu erfüllen. Dass es für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt, besonders auf Ausgewogenheit zu achten, ist unbestritten. Nicht zuletzt konnte aber auch die Expertise der Wissenschaftsredaktion und die zahlreichen Expert/innen-Interviews zu ebendieser Ausgewogenheit beitragen. Ein nationaler Schulterschluss, wie er sich zu Beginn der Krise in der Politik dargestellt hat, stellt öffentlich-rechtliche Medien naturgemäß vor eine besonders große Herausforderung, kritische Stimmen von Verschwörungstheoretikern zu unterscheiden. Faktenbasierte Recherchen und verantwortungsvolle Berichterstattung sind immer noch am besten in öffentlich-rechtlichen Medien gewährleistet.
So lässt sich letztlich auch der große Publikumszuspruch erklären. Gemeinhin gelten öffentlich-rechtliche Institutionen wie der ORF als relativ starr. Corona hat dazu geführt, dass wir mehr oder weniger gezwungen waren, intern Schritte zu setzen, denen üblicherweise monatelange Diskussionen vorausgehen.
Da wäre einmal die Liveschaltung ins Homeoffice. Gut, das alte Transistorradio in der Wohnung von Italien-Korrespondentin Katharina Wagner wurde ebenso berühmt wie der Jahreszeit entsprechende Blumengestecke oder Bücherwände in den Wohnungen verschiedener Redakteur/ innen – und auch hier gilt die ehrliche Erzählung: wie Millionen von Zuseher/innen haben eben auch die Reporter/innen und Kommentator/ innen von zuhause aus gearbeitet, so sie nicht in Isolation im ORF-Zentrum waren. Aber wir haben gelernt, schneller, aktueller und von überall zu schalten – mit einem Smartphone im Wesentlichen. Das Publikum verzeiht vieles an ungewohntem Setting, wenn der Infogehalt stimmt. Aktualität und Kompetenz gehen vor – ein wichtiges „Learning“ für die Zukunft.
Wir haben aber auch gelernt, wie vielfältig und flexibel wir arbeiten können. Redakteur/innen, die im Homeoffice Beiträge schneiden – bis vor kurzem undenkbar, mittlerweile von vielen Kolleg/innen als Möglichkeit der Arbeitserleichterung empfunden. Wir vermissen den informellen und diskursiven Austausch in unseren Sitzungen, wir schätzen aber auch die ungemeine Pünktlichkeit und Effizienz bei Skype-Sitzungen. Auch wenn wir einander wieder gegenübersitzen und in die Augen blicken können, so werden wir Meetings auch in Zukunft via Skype für alle verfügbar halten. Wir haben auch gelernt, über interne Tellerränder zu blicken und besseres Verständnis für journalistische Kolleg/innen in anderen Abteilungen zu bekommen. Die Verstärkungen aus Sport, Kultur und Unterhaltung wurden in der Information allesamt und durchgehend als Bereicherung empfunden. Auch zwischen den Ressorts wurden Hürden überwunden – Corona wird auch den multimedialen Newsroom nicht zu Fall bringen, im Kleinen haben wir gesehen, wie übergreifende Zusammenarbeit auch im Großen und disloziert funktionieren kann.
Was also bleibt von der ersten Corona-Welle? Bei manchen Angst. Bei den meisten Respekt. Und bei allen Zusammengehörigkeit und Zuversicht: Für die zweite Welle sind wir gerüstet.


Durch die Corona-Krise mit der ZIB, Interview mit Matthias Schrom, Chefredakteur ORF 2 Information abspielen
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Durch die Corona-Krise mit der ZIB
Interview mit Matthias Schrom, Chefredakteur ORF 2 Information
Medienqualität in Zeiten von Corona, TEXTE 24 abspielen
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Medienqualität in Zeiten von Corona
TEXTE 24
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Krise, aber diesmal wirklich
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Wo der Professor rund um die Uhr „Hallo!“ sagt
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Daten, Modelle und Medien
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Märzenbecher und Transistorradio, Matthias Schrom, Chefredakteur der ORF 2-Information abspielen
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Märzenbecher und Transistorradio
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Berichterstattung im Ausnahmezustand
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Öffentlich-Rechtliche sind nicht bloß Lautsprecher, Prof.em Roger Blum, Universität Bern abspielen
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Öffentlich-Rechtliche sind nicht bloß Lautsprecher
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Von der Corona-Ausnahme zur Regel?
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Berichterstattung in der Krise, Auf einen Kaffee mit Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell abspielen
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Berichterstattung in der Krise
Auf einen Kaffee mit Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell