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Prof. Dr. Christoph Neuberger, Freie Universität Berlin Öffentlich-rechtliche Vermittlungsleistung Der digital weiterentwickelte öffentlich-rechtliche Auftrag sollte die folgenden Punkte umfassen:

(1) Bereitstellen von geprüftem Wissen:
Die zentrale Aufgabe des Journalismus ist auch im Internet die Nachrichtenproduktion. Weit und breit ist keine Alternative in Sicht, die den professionellen Journalismus ersetzen könnte - weder Algorithmen (Computational Journalism) noch Amateure (Citizen Journalism) können Vergleichbares leisten. […]
Neben Nachrichten stellt der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch noch andere Arten von Wissen bereit, um seinen Bildungs- und Beratungsauftrag zu erfüllen. Das Internet vereint die Stärken eines Online-Mediums, d. h. die Möglichkeit der permanenten und raschen Verbreitung, mit jenen eines Offline-Mediums, d. h. der Speicherfähigkeit und damit der permanenten Verfügbarkeit. Es kann deshalb Neuigkeiten mit Archiviertem vernetzen und diese dadurch in einen größeren inhaltlichen Zusammenhang stellen. Der Journalismus erweitert sich im Internet in Richtung der Archivierung und Aufbereitung von zeitbeständigem, allgemeinem (Expert*innen-)Wissen. Um Menschheitsfragen wie Klimawandel, Migration, Demokratie, Populismus, Fundamentalismus und Pandemie diskutieren zu können, muss zunächst eine gemeinsame Wissensbasis geschaffen werden, die den Stand der Forschung wiedergibt. Das Wissen sollte verständlich dargestellt und attraktiv aufbereitet sein, um einen Diskurs mit möglichst breiter Beteiligung anzustoßen.

(2) Verweise auf Fremdpubliziertes:
Der öffentlich-rechtliche Auftrag, die Qualität von Wissen zu sichern, erstreckt sich nicht mehr nur auf das eigene Angebot, sondern auch auf fremdpubliziertes Material. Weil jede*r im Internet publizieren kann, steigt die Angebotsmenge. Im Internet herrscht daher nicht mehr eine Knappheit an Verbreitungskapazität (wie in den traditionellen Massenmedien, wo die Zahl der Pressetitel und Rundfunksender gering war und geblieben ist), stattdessen mangelt es nun dem Publikum an Verarbeitungskapazität. Der neuralgische Punkt hat sich damit von der Medien- auf die Publikumsseite verschoben: Rezipient*innen haben zwar einen ungefilterten Zugriff auf eine Fülle von Angeboten, zugleich müssen sie aber selbstständig Aufgaben wie die Suche, Prüfung und Interpretation übernehmen - oder aber diese Aufgaben wieder an geeignete Vermittler delegieren. […]

(3) Organisation und Moderation von Diskursen:
Organisation und Moderation des öffentlichen Diskurses gewinnen im Internet fraglos an Bedeutung. Dabei geht es darum, zur Teilnahme zu motivieren und Interaktionen zwischen den Diskutierenden so zu lenken, dass sie deliberativen Qualitätsansprüchen wie Rationalität, Respekt, Responsivität und Kohärenz gerecht werden, um einen zivilen Umgang zu sichern. Die bisherige Forschung zeigt, dass die Diskursqualität stark von der Ausgestaltung von Online-Foren und den Teilnehmenden abhängt. Nach einer Metaanalyse wird sie positiv beeinflusst, wenn die Kommunikation asynchron, nicht-anonym, moderiert und thematisch fokussiert ist, wenn die Teilnehmenden eine Diskussion als beeinflussbar wahrnehmen und wenn korrekte und relevante Informationen gepostet werden. Auch der Moderationsstil beeinflusst die Diskursqualität.

(4) Unterstützung von Produktion und Publikation: Vermittler können die Teilnahme an öffentlicher Kommunikation ermöglichen, indem sie Nutzer*innen leicht bedienbare Werkzeuge zur Gestaltung eigener Beiträge und Angebote zur Verfügung stellen und sie anleiten, wie damit umzugehen ist. Bereits in den offenen Kanälen des Rundfunks gab es solche Produktions- und Publikationshilfen für Amateure. Heute sind es besonders die digitalen Plattformen, die eine solche Beteiligung in sozialen Medien ermöglichen, wohingegen sie auf professionell-journalistischen Angeboten selten anzutreffen sind.

(5) Vernetzung und Integration von Ebenen:
Das Internet versammelt alle denkbaren Kommunikationsformen und -inhalte. Dadurch wird es schnell unübersichtlich - oft ist unklar, nach welchen Regeln und zu welchem Zweck an einem bestimmten Ort kommuniziert wird. Dies schafft Unsicherheit, führt zu Missverständnissen oder eröffnet Möglichkeiten der Manipulation. So verschwimmen die Grenzen zwischen bezahlter Werbung und unabhängiger Berichterstattung oder zwischen privater und öffentlicher Kommunikation. Hier sollten zunächst Kontexte klar bestimmt und Regeln des Umgangs definiert werden, um Orientierung zu geben. Das aber bedeutet nicht, dass isolierte Zonen eingerichtet werden. Vielmehr kommt es darauf an, die Übergänge zwischen diesen Kontexten zu regeln. Dies betrifft z. B. auch das Verhältnis zwischen Nähe und Ferne, zwischen regionaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene. Der bereits föderal organisierte Rundfunk bringt gute Voraussetzungen mit, diese Ebenen zu verbinden.
Eine europäische Medienplattform wäre eine Erweiterung dieser Architektur, wobei Übergänge zwischen sprachlichen und kulturellen Grenzen zu gestalten sind. Ein solcher Austausch schafft die notwendigen Voraussetzungen für Mitgefühl und Mitverantwortung über nationale Grenzen hinaus. Um den horizontalen Diskurs zwischen den europäischen Ländern zu fördern, sollten Beiträge aus nationalen Medien wechselseitig übersetzt werden. Die Plattform sollte auch einen "paneuropäischen Blick" vermitteln. […]

(6) Vermittlung von Publikumskompetenz:
Weil die Anforderungen an den Einzelnen in der digitalen Öffentlichkeit steigen, sollte die Kompetenz des Publikums für die rezeptive und kommunikative Beteiligung gefördert werden (Media Literacy).

(7) Entwicklung von Qualitätsstandards und Förderung des Qualitätsdiskurses:
Eine positive Ausstrahlungswirkung kann auch gegenüber anderen Anbietern angestrebt werden. Speziell dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird - neben der Vermittlung von Medienkompetenz für das Publikum - eine Leitbild- und Innovationsfunktion zugeschrieben: Mit ihren Programmen sollen die Anstalten allgemeine Standards für Qualität setzen und anderen Anbietern als Vorbild dienen können. Auch die Förderung des Qualitätsdiskurses kann hier zugeordnet werden, also die Anregung, öffentlich über publizistische Qualität zu reflektieren. Maßstab sollten dafür die Werte der liberalen Demokratie sein.



Die Langversion dieses Artikels ist in der Public-Value-Jahresstudie "Die STUDIE: Digitale Transformation" (S. 22-32) erschienen.