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F. Saurwein, T. Eberwein, M. Karmasin, ÖAW Finanzierung macht Publikumserfolg Kennzahlen des öffentlichen Rundfunks in Europa: Input für die aktuelle Debatte zur Reform der Gebührenfinanzierung

Florian Saurwein, Tobias Eberwein und Matthias Karmasin

Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Eine Studie des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung unter-sucht die Rundfunkfinanzierung und Auswirkungen auf den Publikumserfolg in 17 europäi-schen Ländern. Die Ergebnisse liefern einige grundlegende Informationen für die aktuelle Debatte über eine Reform der ORF-Finanzierung.


Öffentlicher Rundfunk spielte in vielen europäischen Ländern lange Zeit eine herausra-gende Rolle. Mit der Liberalisierung der Rundfunkmärkte und der Verbreitung des Internet nimmt die Bedeutung des öffentlichen Rundfunks jedoch ab und seine Sonderstellung im Mediensystem gerät unter Rechtfertigungsdruck. Heute sieht sich der öffentliche Rundfunk in vielen Ländern mit Debatten über Auftrag, Angebotsumfang, inhaltliche Leistun-gen, den öffentlichen Mehrwert seiner Angebote, sowie seine Finanzierung und Kontrolle konfrontiert. Diese Debatten sind nicht neu, haben jedoch in den letzten Jahren wieder an Intensität gewonnen.

Gebührenfinanzierung gerät europaweit unter Druck

Aktuell gerät der öffentliche Rundfunk v.a. aufgrund der Kritik an der Gebührenfinanzierung unter Druck. Zwar dominiert europaweit weiterhin die klassische Finanzierung über Rundfunkgebühren der Rundfunkteilnehmer. Doch in etlichen Ländern wurde das Finanzierungssystem in den vergangenen Jahren reformiert. Finnland stellte 2013 von einer Rundfunkgebühr auf eine Rundfunksteuer um. In Deutschland gilt seit 2013 eine Haushaltsabgabe, die heuer auch in der Schweiz eingeführt wurde. Vorher hatte die Schweizer Bevölkerung die Abschaffung der Rundfunkgebühren 2018 in einem viel beachteten Referendum abgelehnt. In Dänemark erfolgt die Finanzierung seit 2018 aus dem staatlichen Budget und auch in Österreich wird immer wieder eine Änderung der Gebührenfinanzierung zur Diskussion gestellt.

Eine aktuelle Untersuchung des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt liefert für die laufende Reformdebatte einige international verglei-chende Kennzahlen zur Finanzierung des öffentlichen Rundfunks und zu Auswirkungen auf den Publikumserfolg in 17 Ländern. Ergebnisse der Studie (Saurwein, Eberwein & Karmasin 2019) erscheinen unter dem Titel "Public service media in Europe: Exploring the relationship between funding and audience performance" in der Herbstausgabe der internationalen Fachzeitschrift Javnost - The Public.

ORF-Finanzierung: Gebührenhöhe im vorderen Mittelfeld

Die vergleichenden Daten zeigen, dass die Finanzausstattung des öffentlichen Rundfunks in Europa aufgrund von Größenunterschieden erheblich variiert - von 27,0 Mio. Euro in Lettland bis zu 9,8 Mrd. Euro in Deutschland. Österreich bzw. der ORF liegen mit rund 1 Mrd. an Gesamteinkünften aus Gebühren und Werbung im vorderen Mittelfeld. Europaweit werden durchschnittlich 77,7% der Einkünfte aus öffentlichen Mitteln finanziert (Rundfunkgebühren, Staatshaushalt), knapp ein Viertel der Einnahmen kommt aus Werbung. Doch während der öffentliche Rundfunk in den skandinavischen Ländern fast ohne kommerzielle Einnahmen auskommen muss, liegt der Werbungsanteil in Österreich bei 41,8%.

Die Finanzausstattung des Rundfunks bildet wegen Größenunterschieden der Länder und Unterschieden bei Wirtschaftsleistung, Lohn- und Preisniveaus jedoch keine geeignete Grundlage für internationale Vergleiche. Welchen Beitrag die Bevölkerung für den öffentlichen Rundfunk leistet, lässt sich besser anhand der Einnahmen aus öffentlichen Mitteln pro Kopf der Bevölkerung unter Berücksichtigung der länderspezifischen Kaufkraft verdeutlichen (Abb. 1 siehe oben).

Diese Einkünfte aus öffentlichen Mitteln liegen europaweit im Schnitt bei 52 Euro pro Jahr und weisen sogar kaufkraftbereinigt eine hohe Bandbreite auf: von 102 Euro pro Kopf in Deutschland bis 7 Euro in Polen. Im europäischen Vergleich werden in Deutschland, Norwegen und der Schweiz besonders hohe öffentliche Beiträge bezahlt, mit jährlich über 80 Euro pro Einwohner. Dahinter folgen im Sample der Studie Finnland, Schweden, Österreich und Großbritannien auf einem ähnlichen Niveau von rund 67 Euro. Deutlich geringer sind die öffentlichen Einnahmen pro Kopf in Irland, Spanien, Italien, Portugal, Lettland und Polen.

Leistung des öffentlichen Rundfunks: von Programmoutput bis Publikumserfolg

Die Frage, welche Leistungen des öffentlichen Rundfunks dieser Finanzierung gegenüber stehen ist schwer zu beantworten und kann nur annäherungsweise über verschiedene Indikatoren erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass an öffentlichen Rundfunk andere Anforde-rungen gestellt als an normale Wirtschaftsunternehmen, die Gewinnmaximierungsziele verfolgen. Trotzdem stehen auch öffentliche Rundfunkveranstalter unter dem Druck, ihre Angebote effizient zu erstellen und keine öffentlichen Mittel zu verschwenden. Die Effizi-enz der öffentlichen Angebote kann z.B. anhand der Kosten pro Sendestunde im Sinne einer Input-Output-Relation verglichen werden. Länderübergreifend beträgt der durchschnittliche Aufwand für eine Sendestunde 2014 rund 6.000 Euro (vgl. Eberwein, Saurwein, Karmasin & Vogl 2019, 197f).

Auch bei den Kosten pro Sendestunde wirken sich die Ländergröße, die Verfügbarkeit von entsprechend großen Gesamtbudgets und die länderspezifischen Kostenniveaus deutlich aus. Das Spektrum reicht von 12.378 Euro in Deutschland bis zu 342 Euro in Lettland. Vergleicht man einzelne Länder, so zeigt sich, dass die Schweiz und Finnland in etwa im europäischen Durchschnitt produzieren, der österreichische ORF liegt etwas darüber, die norwegische NRK etwas darunter. Rein ökonomische Kennzahlen zum Verhältnis von Input und Output können jedoch kein solides Gesamtbild zur Beurteilung der Leistung des öffentlichen Rundfunks vermitteln, u.a. weil dabei die Qualität des Angebots nicht ausrei-chend berücksichtigt ist.

Publikumserfolg: hohe Bedeutung des ORF als Nachrichtenquelle

Der Erfolg von Medienunternehmen wird deshalb auch anhand des Erfolges am Publikumsmarkt beurteilt. Als wichtige Indikatoren für Akzeptanz seitens des Publikums gelten hohe Reichweiten und Marktanteile sowie eine starke Nutzung speziell der aktuellen Nachrichtenangebote. Im europäischen Schnitt erreicht öffentliches Fernsehen einen Marktan-teil von 30,3% und seine Informationsprogramme bilden für 29% der Bevölkerung die Hauptnachrichtenquelle außerhalb des Internet (Fernsehen, Radio, Zeitung). Im Online-Bereich liegt die Bedeutung des öffentlichen Rundfunks als Nachrichtenquelle deutlich niedriger bei 10%. Man sieht, dass die Nachrichtenkonkurrenz für den öffentlichen Rundfunk im Internet erheblich und lediglich einen Klick entfernt ist.

Auch bei solchen publikumsbezogenen Performance-Indikatoren schneiden die öffentlichen Veranstalter in Europa sehr unterschiedlich ab. Marktanteile reichen von hohen 45% für ARD, ZDF und die Dritten Programme in Deutschland bis zu niedrigen 13% Marktan-teil für den öffentlichen Rundfunk in Lettland (OBS 2015).

Der ORF liegt gemessen an Marktanteilen mit 35% (2014) im besseren Mittelfeld, erreicht aber als Nachrichtenquelle absolute Spitzenwerte. Für 46% der Bevölkerung stellen die Nachrichtenangebote des ORF die Hauptnachrichtenquelle außerhalb des Internet dar (Newman et al. 2016). Im Internet bildet das ORF-Online-Angebot immerhin für 21% die Hauptnachrichtenquelle. Spitzenreiter als Nachrichtenquelle im Online-Bereich ist die BBC mit 36%. Die Internet-Angebote der deutschen Rundfunkanstalten haben als Haupt-nachrichtenquelle weit weniger Relevanz (7%).

Publikumserfolg steigt mit Höhe der öffentlichen Mittel

Die verfügbare Datenbasis ermöglicht auch die Überprüfung von Zusammenhängen zwischen der Finanzierung des Rundfunks und dem Publikumserfolg. Dabei zeigt sich, dass Rundfunkveranstalter mit hoher öffentlicher Finanzierung tendenziell mehr Erfolg am Publikumsmarkt erreichen als ressourcenschwache Veranstalter. Je höher die verfügbaren Mittel, desto höher die Marktanteile und die Bedeutung als Nachrichtenquelle. Veranstalter mit hohen öffentlichen Mitteln werden von der Bevölkerung zudem als unabhängiger von politischem Druck eingeschätzt (Abb. 2).

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Finanzierung des öffentlichen Rundfunks und Vertrauen in Freiheit von politischem Druck


Quelle: Saurwein, Eberwein & Karmasin (2019). Eigene Darstellung und Kalkulation auf Basis von Daten der Europäischen Kommission (2016), Eurostat (2016), OBS (2015), Weltbank (2016).

Die vergleichenden Daten zeigen, dass die finanzielle Unterstützung, der Publikumserfolg und das Vertrauen in die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks in den Staaten Nord- und Mitteleuropas besonders hoch sind. In Mittelmeerländern und Osteuropa verfügt öf-fentlicher Rundfunk tendenziell über weniger Ressourcen und geringeren Publikumserfolg, wobei es jedoch durchaus interessante Ausnahmen gibt. So erreicht die RAI in Italien überdurchschnittliche Marktanteile (38%) und Česká televize (ČT) in Tschechien einen hohen Stellenwert als Nachrichtenquelle (44%). Rádio e Televisão de Portugal (PRT) wird von einem hohen Anteil der Bevölkerung als "frei von politischem Druck" (47%) wahrgenommen, was für südeuropäische Rundfunkveranstalter eher untypisch ist.

Staatsfinanzierter Rundfunk wird als stärker politisch abhängig wahrgenommen

Damit erreicht PRT in Portugal bei der Einschätzung der Unabhängigkeit von politischem Druck einen ähnlich hohen Wert wie der ORF in Österreich (48%). Spitzenreiter in punkto Unabhängigkeit ist YLE in Finnland. 65% der Finnen denken, dass ihr öffentlicher Rund-funk frei von politischem Druck agiert (vgl. Europäischen Kommission 2016). Deutlich unterdurchschnittlich ist dieser Wert u.a. in Spanien (20%), Lettland (25%) und Ungarn (30%). Das sind jene Länder, deren Finanzierung aus dem Staatshaushalt erfolgt. Damit wird beispielhaft die Vermutung bestätigt, dass eine Budgetfinanzierung politischen Druck erhöhen und damit die Unabhängigkeit einschränken kann - zumindest in der Wahrnehung der Bevölkerung.

Neues Finanzierungsmodell: gesellschaftliche Debatte vor politischer Reform

Insgesamt verdeutlichen die Studienergebnisse, dass die Rundfunkfinanzierung mit dem Publikumserfolg in Zusammenhang steht. Dabei darf jedoch nicht pauschal von einseitigen, monokausalen Effekten der Finanzierung auf den Publikumserfolg ausgegangen werden. Denn umgekehrt kann sich Erfolg am Publikumsmarkt auch positiv auf die gesellschaftliche und politische Bereitschaft zur Unterstützung und Finanzierung des öffentlichen Rundfunks auswirken. In Summe ist daher von Wechselwirkungen zwischen Finanzierung und Publikumserfolg auszugehen, die dazu geeignet sind bestehende Trends durch feedback-loops weiter zu verstärken.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks und Reformüberlegungen sensible Themen sind, bei denen es nicht nur um die "budgettechnischen" Fragen geht, ob, in welchem Umfang und über welchen Posten Steuerzahlerinnen und -zahler entlastet werden können. Es geht auch darum, welche Effekte damit für den öffentlichen Rundfunk verbunden sind, wie stark der öffentliche Rundfunk in Österreich sein soll und welche Leistungen von ihm erwartet werden. Dabei sind auch die Eigenschaf-ten des österreichischen Medienmarktes zu berücksichtigen, der durch schwierige Finan-zierungsbedingungen aufgrund der Kleinstaatlichkeit, den starken Next Door Giant Deutschland und eine beispiellos hohe Boulevardkonzentration gekennzeichnet ist, und in dem die Bedeutung der internationalen Internet-Plattformen am Publikums- und Werbemarkt steigt. Daraus resultieren zunehmend schwierige Bedingungen für nationale Qualitätsmedien, die jedoch weiterhin einen wesentlichen Teil der Infrastruktur der Demokratie bilden.

Eine politische Finanzierungsreform ohne eine breite gesellschaftliche Debatte über die Erwartungen an den öffentlichen Rundfunk im Kontext der aktuellen Entwicklungen am Medienmarkt greift zu kurz. In der Schweiz wurde diese Debatte im Vorfeld einer Volks-abstimmung intensiv geführt. In Österreich sollte sie vor einer tiefgreifenden Reform ebenfalls geführt werden.

Referenzen

Eberwein, T., Saurwein, F., Karmasin, M., & Vogl, N. (2019). Kennzahlen des öffentlichen Rundfunks - ein internationaler Vergleich. In: J. Krone, & A. Gebesmair (Hrsg.), Zur Ökonomie gemeinwohlorientierter Medien. Massenkommunikation in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Baden-Baden: Nomos, 187-207.

Europäische Kommission (2016). Special Eurobarometer 452: Media pluralism and de-moc-racy. URL: http://data.europa.eu/euodp/en/data/dataset/S2119_86_1_452_ENG

Eurostat (2016). Vergleichende Preisniveaus. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tec00120&plugin=1

Jõesaar, A. (2011). Different ways, same outcome? Liberal communication policy and de-velopment of public broadcasting. TRAMES - A Journal of the Humanities and Social Sci-ences 15 (1): 74-101.

Newman, N. Fletcher, R., Levy, D.A., & Kleis Nielsen, R. (2016). Reuters Institute Digital news report 2016. Oxford: Reuters Institute for the Study of Journalism.

Saurwein, F., Eberwein, T., & Karmasin, M. (2019). Public service media in Europe: Ex-ploring the relationship between funding and audience performance. Javnost - The Public, 27 (3) 2019. https://doi.org/10.1080/13183222.2019.1602812

OBS - Europäische Audiovisuelle Informationsstelle (2015). Jahrbuch 2015. URL: http://yearbook.obs.coe.int

World Bank (2016). GDP per capita. PPP (current international USD). URL: http://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.PP.CD?year_high_desc=true



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