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Klaus Unterberger "Die Zeit der Naivität ist vorbei" Mit diesen Worten drückte Verá Jourova, Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz ihre Besorgnis zur aktuellen Lage der digitalen Transformation aus. Tatsache ist: Eine Handvoll global agierender Datenkonzerne hat die weitgehende Kontrolle über das Internet übernommen. Google, Facebook, Twitter und TikTok haben neue wirtschaftliche Imperien geschaffen und dominieren mit ihren Social Media-Angeboten die Mediennutzung junger Menschen. Das könnte als bemerkenswerter Geschäftserfolg gewertet werden, wären da nicht gravierende Negativeffekte: Ebenso umfangreiche wie der Öffentlichkeit gegenüber verborgene Datensammlung und -verwertung, algorithmische Steuerung von Information, Fake News und Filterblaseneffekte relativieren die ursprüngliche Begeisterung über das Internet.

Auch der neueste Innovationsschub digitaler Technologie löst nicht nur Faszination, sondern zugleich Ängste aus: Künstliche Intelligenz, die unter Ausschluss menschlicher Kontrolle selbstständig Texte und Bilder gestaltet. Auch die Analyse der Mediennutzung beunruhigt. Zunehmend mehr Menschen suchen keinen Zugang zu redaktionellen Medien und verlassen sich auf den Newsfeed in ihrem Social Media-Konsum. Das besorgniserregende dabei ist: Die "news-will-find-me"-Generation bezieht ihre Information ausgerechnet aus jenen Quellen, denen sie am wenigsten vertraut.2

Wenn aber Medienqualität nicht nur ein Blick zurück - auf die bereits produzierten Leistungen - ist, sondern aus gutem Grund in die Zukunft blickt: Was ist Qualität im Netz? Worauf kann man sich in der Online-Welt verlassen oder eben nicht? Schwemmt die Flut an Social Media-Angeboten alle Qualitätskriterien davon? Können wir akzeptieren, dass Menschen auf dieselbe Frage von ihrer digitalen Suchmaschine komplett unterschiedliche Antworten erhalten, weil künstliche Intelligenz mit Hilfe algorithmischer Datenauswertung personalisierte Information konstruiert? Und noch wichtiger: Können wir diesen Nachrichten vertrauen? Lässt sich Recherche und Nachfragen auf ein "wird schon stimmen" reduzieren?

Es ist offensichtlich: die Qualitätsfrage stellt sich angesichts der massiven Disruptionen in Medienökonomie und Mediennutzung drängender denn je. Auf dem Spiel stehen nicht nur Marktanteile und Shareholder Value, sondern Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit von Information als Grundlage für eine demokratische Öffentlichkeit. Dabei ist die Frage entscheidend, ob Technologien und Künstliche Intelligenz öffentlich kontrolliert werden können. Bei Google, Facebook und TikTok lautet die Antwort: nein. Wie diese Firmen Daten sammeln, nach welchen Interessen sie sie auswerten, wie sie sie verwenden, ob zur kommerziellen Verwertung oder gar zu geheimdienstlicher Überwachung,liegt im Dunkeln. Die US-Regierung hat den chinesischen Betreiber von TikTok aufgrund des Sammelns von Daten von Amerikaner:innen bereits als "Sicherheitsrisiko" eingestuft3.

Wenn das tatsächlich der Fall ist, wären dann nicht auch Google & Co. ein Sicherheitsrisiko für Europäer:innen? Die Frage, wer über digitale Technologien verfügt, ist damit bereits ein entscheidendes Qualitätskriterium: Kann ich der Information im Netz vertrauen? Ist der Kommunikationsraum auch sicher? Wer überprüft Algorithmen und Ausspielwege? Verfügen Medien und jene, die öffentliche Kommunikation verbreiten, über kontrollierbare Regulative und eine funktionierende Qualitätssicherung? Wie können Mediennutzer:innen Qualität im Netz erkennen und woran? ORF Public Value hat dazu in den vergangenen Jahren intensive Analysen initiiert: Mit der Entwicklung des "Public Network Value"4, hat Prof. Thomas Steinmaurer eine Grundlage dafür geschaffen, welche Qualitätskriterien für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags im digitalen Zeitalter relevant sind.

In zahlreichen Beiträgen, wissenschaftlichen Analysen und einer internationalen Studie hat der "Transform"-Prozess die digitale Transformation des ORF behandelt5, die von einer Reihe von öffentlichen Debatten im "ORF-DialogForum"6 begleitet wurde. Aktuell behandelt die Public Value-Studie "Unterhaltung im digitalen Zeitalter" die Frage, wie sich öffentlich-rechtliche Medien angesichts des Ansturms von Netflix, Disney und Amazon Prime verhalten sollen.7 Auch international ist die Suche nach einem vertrauenswürdigen Internet, das nicht nur marktkompatibel, sondern auch demokratiekompatibel ist, voll im Gang: Als richtungsweisender Anfang, wie digitale Transformation bereits heute für einen grenzüberschreitenden Public Service genützt wird, kann das Projekt "A European Perspective"8 gelten: an der pan-europäischen Initiative unter der Leitung der "European Broadcasting Union" beteiligen sich 11 öffentlich-rechtliche Sender. Ihr Ziel ist es, einen digitalen europäischen Newsroom zu entwickeln. Dabei werden Newsstorys der beteiligten Broadcaster gesammelt, von einem automatisierten Übersetzungssystem für die einzelnen nationalen Sprachen aufbereitet.

Der Vorteil für Mediennutzer:innen: Es entsteht ein Angebot qualitätsgeprüfter, aus unterschiedlichen europäischen Ländern stammender Berichterstattung, das auf Knopfdruck den Zugang zu authentischer Information ermöglicht. Zudem wird an der Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Algorithmus gearbeitet, der unter Beachtung bestehender journalistischer Qualitätsstandards sowie der Richtlinien zum Persönlichkeits- und Datenschutz und vor allem unter öffentlicher Kontrolle für eine vertrauenswürdige Informationsquelle herangezogen werden könnte. "A European Perspective" leistet damit Pionierarbeit in der Entwicklung und Implementierung digitaler Technologien jenseits kommerzieller Interessen und schafft damit einen Beitrag zur oft geforderten europäischen Öffentlichkeit.

Gerade darum geht es im "Public Service Internet Manifesto"9, das unter Mitarbeit von rd. 200 Wissenschafter:innen weltweit erarbeitet wurde. Es richtet sich an die europäische Medienpolitik, aber ausdrücklich auch an die öffentlich-rechtlichen Medien. Gefordert wird eine gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur, die als Alternative zu den kommerziellen Plattformen nicht nur "Shareholder Value", sondern vor allem "Stakeholder- und Public Value" produziert. Öffentlich-rechtliche Medien, ihre Ressourcen, aber auch ihre Kompetenzen sollten dabei eine maßgebliche Rolle spielen. Innerhalb weniger Monate wurde der "Call for Action" von mehr als 1.300 Wissenschafter:innen und Medienexpert:innen weltweit unterstützt, darunter Jürgen Habermas, Noam Chomsky, Evgeny Morozov u. v. a.

Der ORF kann jedoch nicht auf europäische Lösungen warten. Die Qualitätsfrage muss aufgrund der aktuellen Herausforderungen digitaler Medienproduktion praxisnah beantwortet werden. Daher betreffen alle Regulative des ORF, insbesondere seine "Social Media Guidelines"10 nicht zuletzt die Online-Medienproduktion. Das ist auch in der ORF-Qualitätssicherung11 der Fall. Ob Publikums- oder Expert:innengespräche, Qualitätsprofile oder Quality-Checks, ob Public Value-Studien oder Public Value-Berichte: sie alle beziehen die Dimension digitaler Transformation mit ein. Im Mittelpunkt stehen dabei die öffentlich-rechtlichen Aufträge, deren Erfüllung auch im digitalen Zeitalter verpflichtend ist. Haben wir damit alle Fragen beantwortet? Nein. Die Entwicklungen und die Innovationsgeschwindigkeit technologischer Entwicklung erlauben keine abschließenden Antworten der Qualitätsfrage.

Bis dahin gilt: Wer Qualität im Netz behauptet, muss sie auch nachweisen. "Der Weg ist das Ziel"12 ist dabei eine ebenso praktische wie zielführende Orientierung. Immerhin ändern ja auch Mediennutzer:innen gelegentlich ihre Meinung, insbesondere, wenn sich die Medienwelt ändert. Immerhin sucht auch die Demokratie immer wieder neue Wege, um sich gegen Korruption und autoritäre Anmaßung, gegen Populismus und alternative Wahrheiten, nicht zuletzt um sich gegen Daten-Oligarchien, Überwachung und Manipulation durchzusetzen. Wenn die "Zeit für Naivität" tatsächlich vorbei ist, stellt sich die Frage, was eigentlich Medienqualität ist und wem sie nützt, umso drängender. Gerade angesichts der zahlreichen Krisen, angesichts von Krieg und Klimanotstand, angesichts von Zukunftsangst und Verunsicherung ist Public Value, der nachweisbare öffentliche Wert, den Medien für die Gesellschaft produzieren, von besonderer Bedeutung. Vor allem, wenn es darum geht, eine "res publica", eine demokratische Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter aufrecht zu erhalten und zukunftsfähig zu entwickeln.