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Konrad Mitschka Expert:innengespräch Woher weiß der ORF, was Medienqualität eigentlich ist? Bestimmt er das selbst? Wer definiert Ansprüche und Erwartungen? Eine Antwort darauf geben Expert:innengespräche im Rahmen der ORF-Qualitätssicherung. Dabei steht der Blick externer Expertise im Mittelpunkt: Was sagt die Wissenschaft? Was verlangen Medienfachleute? Was erwarten sich die Stakeholder:innen des ORF? Um das herauszufinden, lädt der ORF zum "Expert:innengespräch". Vom ORF-Stiftungsrat als Teil des ORF-Qualitätssicherungssystems beschlossen, stellt es in seiner Form der moderierten Gruppenveranstaltung eine Maßnahme dar, den Dialog zwischen Programmvertreter:innen und Fachleuten im jeweils thematisierten Bereich zu vertiefen. Der Expertise und Meinung von mit dem jeweiligen Thema befassten Expert:innen wird dadurch breiter Raum gegeben.

Im Jahresrhythmus werden auf der Basis der Ansprüche des ORF-Kernauftrages und der ORF-Programmrichtlinien die Inhaltsbereiche Information, Kultur/Religion, Sport, Unterhaltung sowie Wissenschaft/Bildung/Lebenshilfe jeweils in den Medien Fernsehen, Radio, Teletext und Internet thematisiert und durch externe Reflexion überprüft. Die "Expert:innengespräche" werden vom Public Value-Kompetenzzentrum des ORF organisiert, das zur Vorbereitung die jeweils betroffenen ORF-Fachredaktionen miteinbezieht. So werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Basis von Recherche und redaktionellem Fachwissen, vorliegenden Publikationen und einschlägiger Kompetenz bestimmt. Um die Heterogenität der externen Perspektive zu berücksichtigen, werden immer wieder neue Wissenschaftler:innen und Expert:innen eingeladen. Seitens der Redaktionen nehmen verantwortliche leitende Redakteurinnen und Redakteure am Gespräch teil. Einer Schwächen- bzw. Stärkeanalyse der Medieninhalte folgend stehen dabei die Erwartungen der Expert:innen im Mittelpunkt. Kritik und Anspruch ergeben zwangsläufig eine anspruchsvolle Reflexion der Medienqualität, die aufgrund der mehrstündigen Dauer der Gespräche, oft in einzelnen Arbeitsgruppen durchgeführt, immer wieder konkrete Medieninhalte betrifft. Zentraler Bezugspunkt ist auch in den Expert:innengesprächen die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages durch den ORF. Dazu werden die Public Value Qualitätsdimensionen und Leistungskategorien herangezogen. Um die Veränderungen im Zuge der digitalen Transformation miteinzubeziehen, werden in verstärktem Umfang auch junge Menschen eingeladen, die es ermöglichen sollen, aktuelle und oftmals provokante Einwände und Forderungen zu berücksichtigen. 2022 wurde eigens ein dialogischer Workshop mit jungen Menschen aus ganz Österreich durchgeführt, an dem seitens ORF u. a. Mitglieder der ORF-Geschäftsführung teilnahmen. Im letzten Drittel der Gespräche werden die Erwartungen der Expert:innen thematisiert, um einen Blick auf die zukünftige Qualitätsmedienproduktion zu richten. Dadurch soll ein konkretes Anforderungsprofil entwickelt werden, das dem ORF dabei hilft, zu erwartende Herausforderungen zu bewältigen.

Aus ORF-Sicht kann aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den Expert:innengesprächen festgestellt werden, dass sie eine kompetente Reflexion der ORF Medienproduktion darstellen, die Qualitätskontrolle der bereits vorhandenen Leistungen und Orientierung für die Zukunft gleichzeitig ermöglicht. Da auch Sendungsverantwortliche sowie Redakteurinnen und Redakteure der jeweiligen Programmbereiche zu den Gesprächen eingeladen werden, entsteht ein direkter, diskursiver Austausch zwischen Medienpraxis und Medienkritik. Um zu gewährleisten, dass alle Ansprüche der Fachleute offen angesprochen und diskutiert werden können, findet der Dialog nicht öffentlich statt. Dabei geht es mitunter sehr kritisch zu. So meinte ein bekannter Kabarettist im jüngsten, 2022 zu Unterhaltung ausgerichteten Gespräch, dass "der Bildungsauftrag in der Unterhaltung droht, verloren zu gehen", und ein hochrangiger Manager aus dem Unterhaltungssektor äußerte die Befürchtung, dass über den ökonomischen Druck "das Niveau nach unten nivelliert" werde. Andere, wie eine bekannte Podcasterin, betonten den Mehrwert einzelner Programme - in diesem Fall FM4 - oder forderten wie eine aufs Thema spezialisierte Hochschulprofessorin Akteursvielfalt ein.

Einig waren sich die Fachleute darin, dass der ORF alles unternehmen solle, um seine Inhalte umfassend online darbieten zu können. Hier stießen sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen insbesondere an der sogenannten "Sieben-Tages-Grenze" (also dem Verbot, Inhalte länger als eine Woche nach Ausstrahlung online zu veröffentlichen) oder an der Unmöglichkeit, ein österreichisches "funk" zu errichten. Immerhin, so ein Manager der Kreativindustrie, habe "der ORF die Pflicht, ein Leitmedium zu sein". In thematisch anders ausgerichteten Gesprächsrunden wurde etwa eine regelmäßige informelle Begegnung mit der Wissenschaft gefordert oder eine Erhöhung des Anteils an Wissenschaftsberichterstattung angeregt. Barrierefreiheit und Unabhängigkeit von der Politik waren ebenso Thema wie kritische Auseinandersetzung mit Patriotismus im Sport, die Förderung von Randsportarten oder die Verifizierung von Inhalten durch das Interviewen von Fachleuten, wofür insbesondere Ö1 gelobt wurde. In die Zukunft gerichtet betonten die Expert: innen, dass es ein öffentlich-rechtliches Gegenangebot zu kommerziellen Algorithmen geben müsse. Ein Vertreter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften besprach auch den Zusammenhang zwischen Künstlicher Intelligenz und öffentlich-rechtlicher Berichterstattung; er sah eine mögliche Rolle von Redakteurinnen und Redakteuren darin, "moderierende Tätigkeiten im Sinne von mehr Partizipation zu übernehmen." Zuletzt 2020 zur Informationsleistung des ORF befragt, äußerten sich Vertreter:innen der Wissenschaft positiv ("Fels in der Brandung", wie ein Studienleiter einer FH meinte; oder "Politische Information in Österreich ist ohne ZiB nicht denkbar", wie es ein Vertreter der ÖAW formulierte), forderten aber dringend etwa "eine ständig zu erweiternde Palette an Personen, die in Informationssendungen eingeladen werden" (so ein Vertreter der Universität Salzburg) und insbesondere die verstärkte Produktion von Erklärvideos (eine Vertreterin der Universität Innsbruck) ein.

Aus ORF-Sicht kann summarisch festgestellt werden, dass die Gespräche eine dem Alltag enthobene Reflexion der eigenen Leistung darstellen, die Orientierung bietet. Es geht nicht zwangsläufig darum, einzelne Forderungen umgehend umzusetzen. Das wäre - etwa bei Forderungen nach mehr Präsenz im Netz - auch aus gesetzlichen Gründen unmöglich oder stünde allgemein im Sinn einer unmittelbaren Verpflichtung der gebotenen journalistischen Freiheit entgegen. Sehr wohl aber geht es darum, Hinweise zur künftigen programmlichen Ausrichtung zu erhalten und in die programmlichen Überlegungen miteinzubeziehen. So wurde etwa der gelebte Patriotismus im Sportkommentar in anderen qualitätssichernden Maßnahmen intensiver diskutiert oder eine Expertinnendatenbank zur Förderung der Akteurs- und Akteurinnenvielfalt eingerichtet. Diese Maßnahmen sind nicht auf einzelne Ursachen zurückzuführen, fundieren aber auch in der ORF-Qualitätssicherung.

Insgesamt hatten die Redakteurinnen und Redakteure des ORF durch die Expert:innengespräche die Gelegenheit zum Kontakt mit über hundert Fachleuten aus verschiedenen Wissensgebieten. Religion war thematisch ebenso dabei wie beispielsweise Kultur, Sport oder Unterhaltung. Vertreterinnen erfolgreicher sozialer Medienangebote konnten ihre Stimme genauso erheben wie Verantwortliche diverser zivilgesellschaftlicher Einrichtungen. Maßgebliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, erfolgreiche österreichische Kreative, und auch Repräsentantinnen der jungen Generation, sie alle konnten sich in den Expert:innengesprächen Gehör verschaffen. Diesen Weg des Miteinanders, des qualifizierten aufeinander Hörens, der auf Fragen der Qualität konzentrierten Begegnung wird der ORF weiter beschreiten, um seine Rolle als Medium der Gesellschaft auch in Zukunft zu sichern - und seinen Nutzerinnen und Nutzern gegenüber die Verpflichtung zum Public Value zu erfüllen.